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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


am Ende desselben führt in ein Vorgemach des großen Turmes, das freilich ebenfalls mit der Kirche Verbindung hat. Von dem anstoßenden Kreuzgang des Ostflügels aber blickt man gerade auf sie hin.

Kreuzgang mit der Thür zum großen Turm.

Diese Goldene Pforte, in der Mitte des 14. Jahrhunderts eingefügt, ist das Entzücken aller Kunstkenner und Laien. Herr von Quast sagt – und ich kann nichts Besseres thun, als ihn hier sprechen lassen: „Das vielgegliederte Portal selbst mit dem Reliefschmuck seiner Säulenkapitäle, und den noch reicheren Figuren und dem Laubwerke, beides von edelster Bildung, an den konzentrischen Leibungen des Spitzbogens, ebenso die so edel wie reich geschmückten Nischen in der Mauerdicke zu beiden Seiten des Portals, wo über Eck- und Mittelsäulchen von trefflichster Profilierung sich phantastische Bogen verschiedenster spitzbogigen und anderer Formbildungen ineinander einlegen und wieder Platz gewähren, um Reliefgruppen einzufassen, gehören schlechthin zu dem Edelsten, was im Ziegelbau geschaffen worden ist. Ja, ich stehe nicht an, es auszusprechen, daß, was zierliche, bis in die einzelnen Formen durchgeführte Detailbildung anbetrifft, mir im gesamten deutschen Ziegelbau nichts vorgekommen ist, was dieser ihren Namen im edelsten Sinne des Wortes mit Recht führenden Goldenen Pforte gleichkäme.“

Die Kirche selbst ist ein im Chor von acht hohen Spitzbogenfenstern von farbigem Glas erleuchteter Raum von etwa 130 Fuß Länge, 30 Fuß Breite und 45 Fuß Höhe. Die Decke zeigt vier quadratische Gewölbsysteme mit Polygonschluß. Vor den Fries, welcher in 13 Fuß Höhe vom Fußboden unter den Fenstern hinläuft, treten 18 Konsolen vor, auf welchen ebenso viele Heilige stehen. Sie haben über sich steinerne Baldachine, auf denen sich Konsolenpfeiler von halbachteckiger Grundform, wie im Kapitelsaal, erheben, mit Kapitälen von Laubwerk abschließend, von denen die Rippen des die ganze Breite des Raumes überspannenden Sterngewölbes aufsteigen. Rundum zieht sich eine Reihe von Spitzbogen mit bemalten Wandfeldern. Die alte Malerei ist unter der Tünche vorgefunden und wird wieder hergestellt. Im Chor stehen die mit Holzschnitzerei verzierten Stühle der Ordensbrüder. An drei Altären konnte gebetet werden. Dazu verpflichtete die Ordensregel die Ritter zu bestimmten Gezeiten des Tages und der Nacht. Ob beim Austritt aus dieser Kirche von der oben erwähnten, auf unserem nebenstehenden Bilde sichtbaren Turmthür, oder aus der Hauskapelle im Mittelschloß der Hochmeister Werner von Orseln am 18. November 1330 von einem Bruder ermordet ist, mag dahingestellt bleiben.

Die Goldene Pforte.

An die Kirche schlossen sich im Ost- und Südflügel die großen Schlafsäle der Ritter. Wie viel Konvente zu zwölf Brüdern die Marienburg hatte, steht nicht fest; man nimmt drei bis vier an. Der Bestand war sicher wechselnd, und die Konvente brauchten nicht immer vollzählig zu sein. Nach den Ordensstatuten schliefen die Ritter gemeinsam in einem des Nachts erleuchteten Raum. Sie hatten nur je einen Bettsack, ein Kissen, ein Betttuch und eine wollene Decke zum Zudecken. Federbetten waren nur den Kranken gestattet, die Brüder schliefen in ihren Unterkleidern. Von der Abend- bis zur Morgenandacht durfte nicht gesprochen werden. War dies in dringenden Notfällen doch erforderlich, so war die Uebertretung des Gebots durch eine geistliche Uebung zu sühnen. Die Thüren des Schlafsaals standen offen. Da die Ritter kein Eigentum besaßen – selbst Kleider und Waffen galten nur als ihnen geliehen –, so gab es für sie auch nicht verschließbare Behältnisse. Zur Kirche gingen sie in ihren weißen Mänteln mit schwarzem Kreuz und auf Schuhen. Besondere Wohnungen hatten nur im Nogatflügel zwei höhere Beamte: der Hauskomtur und der Tressler. Sie bestanden in Stube und Kammer. Der Tressler verfügte daneben über ein Gemach, in welchem er den Tressel, die Kasse, aufbewahrte.

Wie die Brüder gemeinsam schliefen, so speisten sie auch gemeinsam, und zwar eine Treppe höher im Südflügel in einem großen Saal, dem Speiseremter, dessen Gewölbe von sieben Säulen getragen wurden, an langen Tischen. Es gab gut zubereitete Hausmannskost und dazu Bier, mitunter an Festtagen auch Met. Die Speisen wurden in einem Aufzug von der Küche im Erdgeschoß hinaufbefördert. Auch während der Mahlzeit durfte nicht gesprochen werden, doch hielt ein Vorleser eine Lektion ab. Neben diesem großen Saal befand sich ein kleinerer, die von drei Säulen getragene Konventsstube; hier durften die Brüder sich nach aufgehobener Tafel über ernste Dinge unterhalten und am Schachspiel, jedoch nicht Würfelspiel um Geld, vergnügen. Um das Auftragen der Speisen zu erleichtern, waren die Arkaden auf dieser Seite um ein Stockwerk erhöht, wodurch ein bequemer Verbindungsgang außerhalb der Säle geschaffen wurde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0685.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)