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in Regensburg geworden; doch Friedrich Wilhelm I wollte den seltenen Mann ausschließlich in seinen Diensten haben, und so erhielt er 1732 seine Entlassung vom Herzog von Gotha mit einer jährlichen Pension von 1000 Thalern und wurde preußischer bevollmächtigter Minister am Wiener Hofe mit einem Gehalt von 15000 Gulden. Doch Gotter war oft der rauschenden Vergnügungen überdrüssig; auch zeigten sich bei ihm die Folgen eines genußsüchtigen und ausschweifenden Lebens; er sehnte sich zur Wiederherstellung seiner Gesundheit nach ländlicher Ruhe. So kaufte er in der Heimat das Rittergut Molsdorf nicht weit von Arnstadt und auch das Ritter- und Lehngut zu Dietendorf, wo er Wollenzeugfabriken gründete und wohin er zahlreiche Arbeiter aus dem Auslande zog. Seine Neubauten erhielten anfangs den Namen Neugottern, später wanderten die Herrnhuter ein und nannten den Ort Gnadenthal; heute heißt er Neudietendorf.

Zu Molsdorf aber schuf Gotter ein Thüringer Versailles; kaum einer der fürstlichen Parks des Landes konnte mit dem seinen wetteifern. Das reiche Rokokoschloß war, wie eine Moschee mit Koransprüchen, mit zahlreichen Inschriften geschmückt, welche alle die Weisheit des Epikur predigten: Hora rapit diem (Die Stunde raubt den Tag), Placida quies (Behagliche Ruhe), Fugaces labuntur anni (Flüchtig enteilen die Jahre), Hic summum bonum libertas (Hier ist das höchste Gut die Freiheit) und Hospes hic bene manet (Hier ist gutes Verweilen für den Gastfreund). Diese beiden letzten Sprüche standen als gastliche Einladungen am südlichen Eingang in den Garten. Doch mit solchen Sprüchen allein wurden die Ankömmlinge nicht abgespeist. Wer das Schloß vom Garten aus betrat, der fand dort einen Weinhahn, den er bloß zu öffnen brauchte, um sich mit einem köstlichen Trunk zu erfrischen, der durch ein Druckwerk herbeigezaubert wurde. Die Zimmer waren mit dem größten Luxus ausgestattet; Oelgemälde schmückten die Wände: Porträts der hervorragendsten Persönlichkeiten der Zeit, des Königs Friedrich Wilhelm I, der Maria Theresia, der Herzogin Louise Dorothea, der berühmten Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, der berühmten Tänzerin Barbarini. Wie es scheint, spukte hier die Schönheitsgalerie des Münchener Residenzschlosses vor; denn es gab ein „Damenzimmer“ mit lauter Damenporträts, ein Tänzerinnenzimmer mit reizenden Schauspielerinnen und Sylphiden.

Der Park war ganz im französischen Stil: schnurgerade Alleen, die zu schmiedeeisernen Einfahrtsthoren führten, durchschnitten ihn in seiner ganzen Länge; alle Wege waren mit geschorenen Taxushecken eingefaßt, die Bäume zu allerlei Figuren zurechtgeschnitten. Den Vorplatz am Schloß bildete ein breiter Kiesplatz, auf welchem von Mitte Mai ab die reiche Orangerie des Grafen, 746 ausländische Gewächse, darunter 168 größere Bäume in Kübeln, aufgestellt war; dann folgte ein kreisrundes Rosenparterre mit Prunkbeeten und südlich davon, im Mittelpunkt des Gartens, ein geräumiges Wasserbecken, in welchem sich eine Statue des Herkules erhob. Ueber seine rechte Schulter hing die Haut des nemeischen Löwen den Rücken hinab; die Keule hatte er in seiner Hand erhoben und zu seinen Füßen krümmte sich die vielköpfige Hydra, aus deren einem Haupte ein starker Wasserstrahl emporstieg. Dieser Herkules war offenbar ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack; er konnte für den Besitzer des Gartens keine symbolische Bedeutung haben; denn was hatte seine Diplomatie mit der Keule des Herkules zu thun? Da war ein Schlangenbändiger mehr am Platz, der, statt der Hydra den Kopf zu spalten, den Schlangen Lieder vorpfiff, daß sie mit geschmeidigem Gehorsam seinem Willen folgten. Gotter war allerdings von kräftiger imposanter Persönlichkeit, und so mochte er den Herkules vielleicht als eine steinerne Schmeichelei sich selbst zu Ehren in seinem Garten aufgestellt haben. Jedenfalls waren nach seinem persönlichen Geschmack mehr die aus den Nischen der Taxushecken hervorleuchtenden Olympierinnen. Auch die oberen Götter fehlten nicht; nur dem häßlichen Vulkan hatte er keinen Platz eingeräumt; soweit ging seine mythologische Gewissenhaftigkeit nicht, die schöne Venus mit einem so unschönen Ehemann zu belästigen. Dagegen waren neben den oberen Göttinnen auch die unteren cour- und parkfähig: Flora und Pomona leuchteten in blendender Marmorschöne mit Blumen und Früchten aus der gründunkeln Umrahmung hervor.

Auch an Wasserwerken und Wasserkünsten war der Park von Molsdorf so reich wie etwa der Garten der Villa Pallavicini in Pegli bei Genua. Auf einem in den Park hineinragenden Hügel war ein Reservoir angebracht, welches von den Ichtershäuser Teichen gespeist wurde. Von hier aus ergossen sich die Wasser in Kaskaden in einen Teich herab, den sechs wasserspeiende Figuren umgaben und in dessen Mitte ein Schwan einen Wasserstrahl hoch in die Luft schleuderte; auch sonst stiegen durch ein künstliches Wasserwerk aus Muscheln von Wassergöttern, aus Schnäbeln von Adlern und Schwänen, aus den Hälsen von Schildkröten, Eidechsen und Fröschen Wasserstrahlen in die Höhe. Außerdem enthielt der Park nahe der Umfassungsmauer noch vier Teiche und in jedem dieser Teiche hielt Gotter eine besondere Art von Fischen, die nicht bloß eine Augenweide für den Naturfreund bildeten, sondern auch der Küche des Gourmands zu gute kamen.

Das war eine glänzende Scenerie, das waren prunkende Dekorationen; doch wir müssen die Bühne mit den handelnden Personen des vorigen Jahrhunderts beleben. Da versammelte sich der Eremitenorden, dessen Losung Vive la joie! (Es lebe die Freude!) und dessen Priorin die feingebildete lebensfrohe Herzogin von Gotha, Louise Dorothea war. Diese Fürstin und ihre Begleiterin, die Oberhofmeisterin Juliane Franziska von Buchwald, waren oft Gotters Gäste, denen zu Ehren er die prunkvollsten Feste feierte. Louise Dorothea und ihre Freundin waren von makelloser Tugend und es ist charakteristisch für den damaligen Zeitgeist, daß sie mit einem verrufenen Wüstling wie Gotter so freundschaftlich verkehrten. Doch nicht immer waren tugendsame Eremiten und Eremitinnen in dem prachtvollen Schloß und Park versammelt; es gab auch Orgien, wo die Bacchantinnen die erste Rolle spielten; dazu wurden aber jene vornehmen Damen nicht geladen. Auch Volksfeste für die Bewohner des Ortes vevanstaltete er: da lud sie ein Trompeter in den Schloßhof ein, und alle kamen, wie sie gerade waren, ohne ihren Sonntagsstaat anzulegen; sie erhielten hier Trank und Speise. Gotter ordnete Spiele und Tänze an, beteiligte sich selbst daran, indem er die hübschesten Mädchen herumschwenkte. Dies naturwüchsig Ländliche hatte für den Epikuräer einen eigentümlichen Reiz.

Doch die Muße, deren Gotter auf seinem glänzenden Tuskulum genoß, war nicht von langer Dauer; der Thronwechsel in Preußen machte derselben ein Ende. König Friedrich II, dem man von Hause aus mehr Sympathien für den Lebemann und Freigeist Gotter zutrauen durfte als dem gestrengen Friedrich Wilhelm I, und der, ein Freund geistreicher Unterhaltung, die glänzenden Gaben dieses zu früh zur Ruhe gesetzten Diplomaten zu würdigen wußte, berief ihn im Mai 1740 wieder nach Berlin und ernannte ihn zum Oberhofmarschall und geheimem Staats- und Kriegsrat; auch gab er seine Genehmigung dazu, daß Gotter die Reichsgrafenwürde annahm, die Kaiser Karl VI ihm verliehen hatte; ferner wurde Gotter Generaldirektor der Großen Oper. Für seine Befähigung zu dieser Stelle sprach die glänzende Inscenierung seiner Feste in Molsdorf und der prächtige dekorative Hintergrund, den er dort geschaffen hatte. Als ihm das halberstädtische vakant gewordene Kanonikat an der Liebfrauenkirche zufiel, zu welchem ihm schon Friedrich Wilhelm I in einem Dekret die Anwartschaft gegeben hatte, da wandelte Gotter wieder die Lust an, aus dem Staatsdienst auszuscheiden und mit dem Erträgnis dieser Pfründe ein angenehmes Stillleben zu führen; doch Friedrich II lehnte dies Gesuch in einem zwar schmeichelhaften Schreiben, aber mit aller Entschiedenheit ab. Er erklärte, daß Gotter seine Gelder nur in Berlin zu verzehren habe und vor Jahresfrist überhaupt keinen Urlaub erbitten dürfe; sonst habe er von ihm nichts zu erwarten. Friedrich der Große gehörte zu den Selbstherrschern, mit denen, um einen volkstümlichen Ausdruck zu gebrauchen, es nicht gut Kirschen essen war. Das sollte Gotter ebensogut erfahren wie Voltaire und viele andre – auch dem vertrauten Tischgenossen gegenüber kehrte der König plötzlich die rauhe Seite hervor, besonders wenn die Staatsraison dabei mitzusprechen hatte. Als Gotter seidene Stoffe aus Lyon hatte kommen lassen und um Erlassung der Zollabgaben bat, da ließ der König ihm sagen, daß er keine Ausnahme vom Gesetz machen dürfe und daß der Graf besser gethan hätte, diese Stoffe im Inlande zu kaufen. Auch ließ sich der König von Gotter, der, obgleich

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