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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Bitte sich nicht zu derangieren, Vetter Rassow,“ sagt sie. „Wir können ja für ein paar Stunden das Kriegsbeil begraben. Der Himmel scheint das ausdrücklich zu wünschen. Ich behalte wohl auch am besten den Mantel an, es ist nicht übermäßig warm hier.“

„Ich bringe gleich noch Kohlen,“ fällt die Frau ein. „Es ist nur gut, daß mein Mann schon vor einer Stunde sagte: Heize die gute Stube, ich glaube nicht, daß der Zug weiterkommt. Er hatte eben einmal revidiert.“ Damit ging sie.

„Sehr erfreut, Cousine, daß meine Gegenwart Ihnen nicht ganz so unerträglich ist, wie ich dachte,“ lächelt er. Das Lächeln hat einen ironischen Beigeschmack. „Vielleicht gruppieren wir uns um diesen Kanonenofen – ist’s Ihnen recht?“

„Gewiß … danke!“ Sie nahm auf dem Stuhl Platz, den er ihr hingesetzt hatte, und nestelte an Schleier und Hut. „Sie können ja nicht erwarten, daß ich Ihnen besondere Begeisterung entgegenbringe, denn selbst gesetzt, das Recht wäre auf Ihrer Seite, so ist es doch keine Kleinigkeit, wenn man in Gefahr gebracht wird, ein Rittergut zu verlieren, das man mit Selbstverständlichkeit als sein Eigentum betrachtet hat. In unserem Fall aber, wo ich nicht einmal überzeugt bin, daß Sie selber an Ihr Recht glauben, ist’s doppelt begreiflich, wenn ich wenig nett über Sie denke …“

„Oho, dagegen muß ich doch protestieren, Cousine, das geht mir an die Ehre! Wie kommen Sie auf diese Ueberzeugung?“

Sie legte, sich ein wenig vorneigend, die Hände übereinander, von denen sie noch nicht die Handschuhe gestreift hatte, und sah ihn mit gut gespielter Verwunderung an. „Also doch? Ja – warum haben Sie mir dann einen Vergleich angeboten? Aus Gemütsrücksichten?“

Er lachte gezwungen auf. „Alle Achtung vor der Schärfe Ihrer Logik, Cousine Rassow, aber – verzeihen Sie – wie käme ich gegen Sie zu Gemütsrücksichten? Man hat mich doch in Schlowitten nicht danach behandelt, weder Onkel noch Sie selber. Ein Prozeß ist eben ein Prozeß – man kann nie wissen, wie er ausfällt, Sie auch nicht; ich dachte, es wäre uns beiden damit gedient, wenn ich Ihnen eine gute Hypothek auf Schlowitten eintragen ließe. Wie wär’s, Cousine? Entschließen Sie sich! Ich bin noch immer bereit.“

„Ich danke,“ sagte sie. „Sehen Sie, Vetter, das ist der Unterschied von uns beiden: Sie glauben nicht an Ihr Recht, denn sonst würden Sie, wie ich, Ihr ganzes Recht verlangen. Sie versuchen nur, ob Sie Recht bekommen. Ich würde nicht einen Finger rühren, um mir einen Vorteil zu verschaffen, wenn ich nicht davon durchdrungen wäre, daß er mir gebührt.“

„Teufel auch, mit Ihnen ist schlecht disputieren, Cousine. Sie fassen die Sache persönlich, wie alle Frauen in solchen Fällen. Ich fasse sie sachlich und denke als einfacher praktischer Mann: was das Gericht mir zuspricht, kann ich ehrlich an mich nehmen. Man braucht schließlich doch nicht fest zu glauben, man kann auch vermuten, daß man Recht hat; man läßt die Gerichte darüber befinden, bekommt man Recht, nachher glaubt man.“

„Sie nicht, Vetter,“ betonte sie hartnäckig. „Ich stelle das als meine Privatüberzeugung hin. Aber – da kommt ja – sorgen wir lieber für eine warme Stube.“

Die Hausfrau brachte einen Korb voll Kohlen herein und schüttete sie in den hölzernen Kasten beim Ofen – Hans Jochen von Rassow war aufgestanden und hatte seinen Sessel überseite gerückt, jetzt stand er gebeugt, die Arme über der Lehne verschränkt, und sah zu, wie die Frau mit der Schaufel Kohlen aufwarf, während er zwischendurch mit raschem Aufblick die interessante Cousine streifte. Wahrhaftig, sie war es wert, daß man sich angelegentlichst mit ihr befaßte; wer sie zur Frau gewann, konnte sich mit ihr sehen lassen. Sie hatte nicht viel Meinung für ihn – er wußte ganz gut, wie sein Ruf beschaffen war, und Onkel schon hatte schwerlich damit gegen sie hinterm Berge gehalten. Aber im Grunde: man konnte ihm keine ehrenrührigen Dinge nachsagen. Weshalb sollte er nicht Aussichten haben? Seiner Schulden halber? Bah – Sabine hatte mit dem Vatererbe genug hinter sich, um aufzubessern; und es ist eine Kleinigkeit, einem jungen Mädchen, wenn es eine Neigung gefaßt hat, einzureden, daß man sich ändern wird.

Sie hat ihn einst nicht empfangen wollen – hier hat man sie mit aller Sicherheit neben sich. Man kann nichts besseres thun, als die günstigen Umstände nutzen. Daß der kecke Versuch, den Prozeß zu gewinnen, eine recht fragwürdige Sache für ihn ist, davon ist er weit mehr überzeugt als Sabine. Wenn man sie gewinnen könnte, so wäre das ein entzückendes Mittel, den verzweifelten Flibustierzug zu einem guten Ausgang zu bringen!

Während er so denkt, schwatzt die Wirtin, indem sie im Oefchen schürt, auf Sabine ein: von dem schauderhaften Wetter, und daß die aus dem Dorf geholten Leute schon bei der Arbeit sind, und wie lange sie wohl gebrauchen würden, um den freien Raum zu schaffen, den der Wind immer wieder zuweht … und nebenan wird die Abwesenheit der Mutter benutzt, um zu trommeln und zu trompeten … „Nein, diese Kinder! Wollt ihr gleich ruhig sein …“

„So,“ sagt Hans Jochen von Rassow, als sich die Thür hinter der Gefälligen schließt. „Wollen wir noch weiter disputieren, Cousine? Ich denke nicht.“

„Ganz einverstanden,“ nickt sie lächelnd. Sie hat recht wohl bemerkt, welchen Eindruck sie auf den Vetter macht. Mein Gott, wenn es ihr gelänge, ihn von diesem unseligen Prozeß abzubringen, der sie so unbeschreiblich quält – so unbeschreiblich, wie niemand sich denken kann, der das nicht weiß, was sie weiß … Sie bezaubert ihn, es kann nichts schaden! Ist das perfid von ihr? – ah, perfid ist dieser Prozeß, der sie um ihr Erbe bringen will … dieser Vetter da …

„Ja, was dann?“ sagt er. „Hier so trocken sitzen, am Heiligabend? Ich habe mir den besten Karpfen aus dem Fischkasten in die Küche befördern lassen und mecklenburgischen Punsch bestellt; wenn nicht das – etwas müssen wir doch genießen. Haben Sie keinen Hunger? Wir sitzen die halbe Nacht sicher hier fest.“

„Meine schöne Weihnachtsfeier! Die vermisse ich reichlich ebensosehr wie mein Abendessen. Mir liegt’s auf der Seele, ob wohl meine Leute sich haben abhalten lassen, ihren Baum anzuzünden und ihr Vergnügen zu haben. Am liebsten ginge ich in die Nebenstube, um wenigstens einen Christbaum zu sehen.“

„Wissen Sie was, Verehrteste? Wir werden hier ein reguläres Weihnachten feiern,“ ruft er, plötzlich lebhaft aufspringend. „Ist Ihnen das recht?“

„Wie denken Sie sich das?“ fragt sie zweifelnd.

„Ueberlassen Sie mir das Arrangement. Trinken Sie Punsch?“ Er zieht den Pelz an.

„Vorausgesetzt, daß ich mein Maß einhalten darf – warum nicht?“

Er steht schon bei der Thür zum Nebenzimmer, in dem man die Bahnaufsehersfrau mit den Kindern sprechen hört, und jetzt öffnet er und läßt sie allein. Sie hört ihn drüben reden, mit seiner harten, knarrenden Stimme, versteht jedes Wort.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0666.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2023)