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durch klingende Münze dankbar erwiesen. Im Jahre 1822 war er bereits im Besitze einer kleinen Geldsumme, die ihn in stand setzte, an Stelle des alten hölzernen Häuschens, in dem er geboren war, ein steinernes zu errichten. Dies war um so mehr nötig, als manche Kranke bei Prießnitz blieben, bis sich ihr Leiden besserte, und aus Mangel an Raum in Scheunen und Ställen nächtigen mußten. In einer Kammer des Hauses wurde ein großer Trog aufgestellt, den die Hausquelle mit Wasser speiste. Das war der Anfang der Kaltwasserheilanstalt, die später einen Weltruf erlangte.

Mit seinen Erfolgen konnte der junge Wasserdoktor zufrieden sein; sein Wissen mehrte sich, und allmählich baute er seine Heilmethode aus; er führte nach und nach das Schwitzen, Bäder und Duschen ein, aber je größer sein Ruf wurde, desto üppiger schoß der Neid der Nachbarn auf. Es hieß bald, daß er sich als Wunderdoktor gebärde, geheime Worte bei Abwaschungen murmele und allerlei Hexenzeichen mache. Diese Verleumdung veranlaßte die Geistlichkeit zum Vorgehen gegen den „schlechten Propheten und seinen verderblichen Aberglauben“. Die Aerzte der Umgegend erblickten in Prießnitz einen gefährlichen Kurpfuscher, gegen den von Rechts wegen eingeschritten werden sollte. In der That wurde er auch bald in Untersuchungen und Prozesse verwickelt. Es blieben ihm die Kämpfe nicht erspart, die jeder Neuerer bestehen muß: aber die Verfolgung war nicht hart. Im Gegenteil, wenn man die damaligen Gesetze in Betracht zieht, drückten die Behörden eher ein Auge zu. Nur vorübergehend und für kurze Zeit wurde seine Badeanstalt geschlossen, dann ließ man Prießnitz ungehindert kurieren.

In dieser Zeit der Kämpfe führte Prießnitz die Schulzentochter Sophie Prießnitz aus Böhmischdorf als Frau heim. Anfangs waren die Eltern der Erwählten gegen die Verbindung. Nachdem aber Prießnitz die Mutter von der Gicht kuriert hatte, durfte er die Hand der Tochter als Honorar erbitten.

Vincenz Prießnitz.

Im Jahre 1830 wurde die kleine Badeanstalt auf dem Gräfenberge wieder eröffnet und der Ruf des Wasserdoktors breitete sich immer weiter aus. Die Zahl der Kurgäste stieg; die benachbarten Bauernhäuser wurden mit ihnen belegt, aber der Raum genügte nicht und Prießnitz sah sich genötigt, Neubauten aufzuführen.

Der Zudrang in Gräfenberg wuchs von Jahr zu Jahr. Die Zahl der Kurgäste betrug im Jahre 1836 über 400 und im darauffolgenden Jahre 500. Die Preise waren um jene Zeit gar nicht teuer. Für das Zimmer zahlte man wöchentlich drei bis vier Mark, für Frühstück und Abendbrot zusammen fünfzig Pfennig, Mittagessen siebzig Pfennig. Dabei wurde in Gräfenberg sehr viel gegessen – aber nur Wasser getrunken. Im Jahre 1839 stieg die Zahl der Kurgäste auf 1700 und die Einnahme Prießnitzens betrug 120000 Gulden. Diese ist auf die glänzenden Honorare zurückzuführen, welche die Geheilten dem Wasserarzte gaben; denn Gräfenberg war inzwischen derart in Ruf gekommen, daß es von Fürsten, Prinzen und Grafen aufgesucht wurde. „Es ist wiederholt vorgekommen,“ schreibt Philo vom Walde in seinem jüngst erschienenen Buche „Vincenz Prießnitz. Sein Leben und Wirken“ (Berlin, Wilh. Möller), „daß polnische Edelleute Prießnitz außer dem Honorar noch ein Reitpferd oder auch ein ganzes Gespann dedizierten. Büsten und Porträts, Gemälde, silberne und goldene Denkmünzen, silbernes und goldenes Geschirr waren häufige Andenken beim Abschiede dankbarer Kurgäste.“ Schon im Jahre 1838 erbaute Prießnitz das „große Kurhaus“; aber auch im nahen Freiwaldau mußte man neue Häuser bauen, in denen sich die „Crème der Noblesse“ mit Vorliebe aufhielt und die Stadt mit ihren Köchen, Lakaien und Grooms überfüllte. Es gab eine Winter- und eine Sommersaison, und Prießnitz war unermüdlich thätig; er besuchte fleißig die Kranken und ritt zwischen Gräfenberg und Freiwaldau. Das verfeinerte Leben der Kurgäste in der Stadt mißfiel ihm. Er wünschte von denen, die Genesung suchten, eine einfachere Lebensart.

„Wenn ich das Wasser nicht hätte, würde ich mit der Luft kurieren,“ hat Prießnitz einmal gesagt. So forderte er auch möglichst reichlichen Aufenthalt im Freien und Schlafen bei offenen Fenstern. Auch hielt er viel auf Bewegung. Man sah seine Kurgäste ohne Ansehen des Standes Holz hacken und im Winter Schnee schaufeln. Es wurden in Gräfenberg auch Luft- und Sonnenbäder genommen, und man sah Damen, wie sie barfuß über tauiges Gras schritten.

An äußeren Zeichen der Verehrung hat es Prießnitz nicht gefehlt. Man trieb mit ihm eine Art Kultus. Da ist eine Quelle in Marmor gefaßt und auf ihr steht zu lesen: „Dem unsterblichen Prießnitz die dankbaren Preußen. 1846.“ Auf einem Aussichtspunkte der Koppe ruht auf einem Sockel ein eherner Löwe. Schwanthaler, der 1839 in Gräfenberg zur Kur war, hat ihn im Auftrage der Ungarn modelliert. Ebenso haben Böhmen, Franzosen und Polen in Gräfenberg Dankmonumente errichtet. Der Körper Prießnitzens war den Anstrengungen, die er sich auferlegte, nicht gewachsen. Der notdürftig geheilte Rippenbruch machte ihm zu schaffen und reizte, wie er sich selbst ausdrückte, die Leber. Schon im Jahre 1847 stellten sich bei ihm Ohnmachtsanfälle ein, aber er wollte von Schonung nichts wissen. Er starb am 28. November 1851. Mit seinem Tode hörte jedoch sein Wirken nicht auf. Nach Gräfenberg waren viele Berufene und Unberufene geeilt, um die Heilmethode des schlichten Bauern zu studieren. Sie gingen in alle Richtungen der Welt, um Wasserheilanstalten zu gründen.

Prießnitz konnte nicht alle Leiden heilen, das sagte er selbst, und er war auch nicht unfehlbar, er suchte allmählich seine Heilmethode zu vervollkommnen, und wie er sie hinterließ, so hatte sie neben glänzenden Treffern auch schwerwiegende Fehler aufzuweisen. Aufgabe der Wissenschaft ist es gegenwärtig, für die Anwendung des kalten Wassers in der Heilkunde die richtigen Grenzen zu ziehen und ein verderbliches Uebermaß zu verhüten. Vincenz Prießnitz bleibt aber unbestritten das Verdienst, zum Wohl der leidenden Menschheit der Wasserheilkunde siegreich die Bahn gebrochen zu haben. C. Falkenhorst.     


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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Der geheimnisvolle Runenstein zu Jesteburg.
Von Heinrich Niebuhr.

In dem Altertumsmuseum zu Stade befindet sich ein uralter Runenstein. – Er hat den Namen „der geheimnisvolle Runenstein“ erhalten, weil kein Forscher bisher imstande gewesen ist, die seltsamen Zeichen, welche ihm vor Jahrtausenden eingegraben wurden, zu entziffern.

Erst im Jahre 1879 gelangte der Stein in dieses Museum; bis dahin hatte er seinen Platz im Pfarrgarten zu Jesteburg, einem hannoverschen Kirchdorf, und diente als Rückwand einer von Moos überwucherten steinernen Ruhebank. Ein volles Jahrhundert befand er sich dort; im Jahre 1780 hatte der Pastor Johann Karl Gottlieb Runge, ein gelehrter Mann und leidenschaftlicher Altertumsforscher, den Stein von seiner ursprünglichen Ruhestätte in einem Forste, nahe dem Dorfe Seppensee, fort und nach Jesteburg schaffen lassen. Runge legte sich dann darauf, die Runen zu entziffern, und verlor darüber den Verstand! – Sein Eifer, die unklaren Zeichen zu deuten, artete zu dem Wahn aus, daß es ihm gelingen müsse, die Inschrift zu erklären und zu verdeutschen. Es sind seltsame Runen, welche entschieden Aehnlichkeit mit den Grundrunen der alten Germanen haben, aber mit unverständlichen Figuren durchkreuzt und verwoben sind.

Die meiste Zeit des Tages weilte Runge vor dem Steine und des Nachts träumte er nur noch von dessen Inschrift; schweißgebadet fuhr er aus dem Schlafe und schrieb auf bereitgehaltenes Papier seine Gedanken nieder. Er glaubte endlich, den Schlüssel zu seinem Runenrätsel gefunden zu haben, und dicht beschriebene Seiten reihten sich zu einem dicken Manuskript zusammen, das die vermeintliche Deutung der Runeninschrift, ins Deutsche übertragen, am Ende seiner Darlegung enthielt.

Er bot seine „wissenschaftliche Arbeit“ Verlegern in Hamburg, Hannover und Celle an. Er scheute nicht die zu jener Zeit kostspieligen Reisen nach den Städten, den teuren Aufenthalt in den Gasthäusern. Aber von allen wurde er zurückgewiesen, die Verleger erkannten in der Arbeit nur das verworrene Geschreibsel eines Irrsinnigen mit gelehrten Floskeln durchzogen – es war ein trauriger Wirrwarr.

Wohin das sonderbare Manuskript schließlich gekommen ist, weiß man nicht. Das Ende seines Verfassers war tief tragisch. Pastor Runge mußte schließlich in das ehemalige St. Michaeliskloster zu Hildesheim, das schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts zur Aufnahme für Wahnsinnige diente, gebracht werden. Dort lebte er noch Jahre hindurch. In Hildesheim war der arme Kranke mit den früh ergrauten Locken und dem feinen, geistreichen Kindergesicht, aus dem die dunklen Augen so seltsam hervorschauten, allgemein bekannt. Man konnte den harmlosen Mann von der Straße aus im Garten vor einem großen Holzblock sitzen sehen. Er starrte den Block an und schrieb und schrieb immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0656.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)