Seite:Die Gartenlaube (1899) 0632.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

auch nach dem Sturze des zweiten Kaiserreiches galt. Vor zehn Jahren trugen wieder die Boulangisten dunkelrote Nelken als Erkennungszeichen im Knopfloch, während die Sozialisten und die Radikalen in Frankreich den roten Storchschnabel angenommen haben. Alle diese Blumen, die vielfach wechseln, sind auf dem Boden der ersten französischen Revolution gewachsen; sie stehen in ausgesprochenem Gegensatze zu der weißen Farbe des Königtums.

Weiß ist in Frankreich die Farbe der alten Monarchie, der Bourbonen und der Orleans; ein „Weißer“ soviel wie ein Legitimist oder ein Orleanist, das heißt ein Königlicher. Das kommt daher, daß die französischen Könige durch acht Jahrhunderte (seit König Ludwig VII) die Lilie in ihrem Wappen und das weiße Lilienbanner führten, eine mit goldenen Lilien übersäte weiße Fahne. Das änderte sich mit der Revolution; mit ihr kam die sogenannte Trikolore, die rotblauweiße Fahne und Kokarde, als Sinnbild der drei Stände und des neuen Staatsgedankens auf. Natürlich, daß die königliche Partei diese drei Farben niemals anerkannte: nach der Wiedereinsetzung der Bourbonen im Jahre 1815 mußte sich die Trikolore wieder vor dem Weiß verstecken. Ludwig Philipp nahm zwar 1830 die dreifarbige Fahne anstatt der weißen an; aber als die legitimistische Partei nach der Februarrevolution und nach dem Sturze des zweiten Kaiserreiches 1870 den Grafen von Chambord als Heinrich V auf den Thron erheben wollte, scheiterte der Versuch an der Weigerung des Grafen, die Trikolore anstatt des weißen Lilienbanners als nationales Abzeichen anzunehmen.

Jedesmal kämpften nun die Farben im stillen weiter, wenn sie beim großen Spiele unterlegen waren, und zwar suchte man nach Blumen, die minder auffällig und verdächtig waren als Fahnen und Kokarden, und die man anstecken konnte, ohne gleich eingesteckt zu werden. Die Republikaner schmückten sich mit blühenden Trikoloren: deren gab es viele. An ein halbes Dutzend Blumen werden von den Gärtnern als Tricolor (dreifarbig) bezeichnet; zum Beispiel der Amarant, das Stiefmütterchen, das deshalb auch das Dreifaltigkeitsblümchen heißt, eine Art Storchschnabel oder Pelargonium und mehrere Varietäten der Nelke. Die dreifarbige Nelke und das dreifarbige Veilchen mußten Opposition gegen das alte Königshaus, die ältere und die jüngere Linie desselben machen; das dreifarbige Veilchen, Viola Tricolor, ist unser bekanntes Stiefmütterchen. Dieses wurde speciell die Wappenblume derjenigen Revolutionäre, die den Imperialismus begünstigten, der Napoleoniden. Jetzt tragen die Bonapartisten meist einfache blaue Veilchen, die Lieblingsblume Napoleons III; die Veilchen sind wie die Bienen, die einst der erste Napoleon zu Emblemen seines Kaisertums erhob, weil sich im Grabe des alten Königs Childerich zu Tournai goldene Bienen gefunden hatten, Abzeichen der Partei. Auch die Republikaner behielten am Ende von den drei Farben nur eine, die Volksfarbe, das Rot, bei. Und neben diesen Ausgeburten der Revolution erhielt sich fort und fort die weiße Blume des Königstums, die weiße Nelke.

Aber nicht nur in Frankreich gedeiht die politische Blumensprache. Vor zehn Jahren wurde die achthundertjährige Feier der Herrschaft des Hauses Wettin in Sachsen mit großem Glanz begangen. Bei dieser Gelegenheit trug sich alles mit blühenden Rautenstengeln, obgleich die Raute im sächsischen Wappen nur auf einem Mißverständnisse beruht: der Schrägrechtsbalken desselben ist gerautet. Nun, die gelblichen Rautenstengel in den Händen der königstreuen Sachsen entsprachen ungefähr den weißen Nelken in den Knopflöchern der französischen Legitimisten, nur daß sie weniger herausfordernd und mehr der Ausdruck einer allgemeinen Anhänglichkeit als ein Feldzeichen waren. Aehnlich könnte man im Fürstentum Schaumburg-Lippe ein Nesselblatt, in der Türkei, deren Wappenblume der weiße Mohn ist, eine Mohnblume und in Japan wie O-Kiku-San einen Chrysanthemumstengel tragen. Als nach Cromwells Tode die Stuarts auf den britischen Thron zurückkehrten, schmückten sich die Royalisten zur Erinnerung daran, daß König Karl II nach der Schlacht bei Worcester (1651) auf eine Eiche geklettert war, mit Eichenlaub. Am 29. Mai 1660, an seinem Geburtstage, zog Karl in London ein; da hielt männiglich das Oak (Eichenblatt) wie eine Trophäe in die Höhe. Bei uns ist der Eichenbruch, den der heimkehrende mit Beute beladene Weidmann, der Schütze und der Soldat aufsteckt, wenn die Schlacht gewonnen ist, ein allgemeines patriotisches Glücks- und Freudenzeichen, ohne politischen Beigeschmack, wie es die Stechpalme im Elsaß ist, die Rottanne im Harz, die Edeltanne im Schwarzwald, der Lauch in Wales, das Kleeblatt in Irland und die Distel in Schottland.

In London wurde 1880 plötzlich die Primel für die Lieblingsblume des Premierministers Beaconsfield erklärt: sie versinnlichte fortan den Konservativismus, erzeugte den „Primelbund“ und verjüngte gleichsam die Partei. Eine passendere Blume konnte der alte Staatsmann gar nicht wählen: sie kündigt den Frühling an, sieht leuchtend hellgelb aus und ist – eine Hauptsache bei politischen Blumen! – billig. Am 19. April 1881 starb Lord Beaconsfield; seitdem ergießt sich an diesem Tage über London eine Flut von Himmelschlüsselchen. In dichten Scharen strömt die primelngeschmückte Menge nach Parliament Square, zur Bildsäule des großen Toten, die unter den gelben Blumen ganz verschwindet.

Sinniger und noch volkstümlicher war die blaue Blume, mit der man um dieselbe Zeit in Deutschland seine Anhänglichkeit an den alten Heldenkaiser zu erkennen gab und die man ihm brachte, als er seine siegreichen Truppen heimführte. Wilhelm I hatte die blaue, aus Sicilien stammende und mit dem Getreide verbreitete Kornblume zur Lieblingsblume erkoren. Sie war ihm heilig, denn sie war die Blume seiner Mutter, der Königin Luise, ein Sinnbild des Ausharrens und der Treue. Es war im Sommer 1808 gewesen: die Königin kehrte mit ihren Söhnen von Memel nach Königsberg zurück. Da brach auf freiem Felde ein Rad am Wagen. Es mußte gewartet werden: die Kinder suchten Kornblumen, die Mutter flocht Kränze daraus. Ein Kränzlein setzte sie dem elfjährigen Prinzen Wilhelm auf. Ihre Thränen waren darauf gefallen. Unter den herzgewinnenden Eigenschaften, die unsern unvergeßlichen ersten Kaiser auszeichneten, war eine der rührendsten die Liebe zu seiner Mutter. Als er auszog, die französischen Ansprüche zurückzuweisen, ging er noch einmal ins Mausoleum zu Charlottenburg, holte sich den Segen seiner Eltern und flehte am Grabe der Mutter um Stärkung zu dem gefahrvollen Werke. Auf Frankreichs Gefilden umschwebte den Oberfeldherrn der Geist der edlen Königin, die einst das Goethesche Wort „Wer nie sein Brot mit Thränen aß“ in ihr Tagebuch geschrieben hatte. Und ein Hauch von diesem Geiste umschwebt jeden sein Vaterland liebenden Deutschen, wenn er eine Kornblume pflückt, wo es auch sei.


Das lebende Bild.

Erzählung von Adolf Wilbrandt.

(Schluß.)

13.

Hans von Hochfeld verlor allmählich die Geduld. Zweimal war er schon mit Luisens Buch in Onkel Julius’ Arbeitszimmer eingetreten, um es ihm versprochenermaßen selbst zu übergeben; jetzt kam er zum drittenmal und der Oheim war noch nicht da. Die große Stockuhr hatte halb zwölf geschlagen. Müde war Hans nicht, heute abend gar nicht; aber er sollte doch zu Bette gehn. Heimgekommen war der Onkel gewiß. In seinem Schlafzimmer war er nicht, in den andern auch nicht. Auf seinem Arbeitstisch brannte die Lampe; sonst war alles dunkel und tot. So konnte er nur im Garten sein, im Mondschein spazieren gehn … Zum vierten- oder fünftenmal trat Hans an die große Glasthür; bisher hatte er in dem mondhellen Garten nichts Lebendiges entdeckt. Diesmal – ja! Da ging er! Aus der Nacht unter den dichten Bäumen kam er ins Lichte heraus, ging quer über den Rasenplatz hin; den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken, wie er das so liebte.

Merkwürdig! dachte Hans. Eigentlich verrückt! So kurz

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0632.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2023)