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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

übermächtigen Urwald zu führen, der sich bis dicht an ihre Hütten drängte und dessen Ende gen Westen hin noch von keinem Weißen erreicht worden war. Pastorius berichtet in seinen Aufzeichnungen, daß auf ihn, der eben London, Paris und Amsterdam besucht hatte, diese inmitten der Wildnis entstehende Stadt einen ganz seltsamen Eindruck machte. Aber er war entschlossen, nicht nur seine Verpflichtungen zu erfüllen, sondern auch der freiwillig übernommenen Aufgabe, den nachkommenden Glaubensbrüdern die Wege zu bahnen, treu zu bleiben. Er folgte darum dem Beispiel der Ansiedler Philadelphias und baute sich ein 10 m langes und 5 m breites Hüttchen, über dessen Eingang er, altem deutschen Brauch folgend, einen von ihm ersonnenen Spruch setzte: „Parva domus sed amica bonis, procul este profani,“ zu Deutsch: „Klein ist mein Haus, doch Gute sieht es gern, wer gottlos ist, der bleibe fern.“

Mit William Penn häufig verkehrend und von diesem hoch geschätzt, erwartete Pastorius in der armseligen Hütte, deren Fensteröffnungen in Ermangelung von Glas nur mit ölgetränktem Papier verklebt waren, die Ankunft seiner Landsleute. Von diesen hatten sich zunächst nur 13, insgesamt 41 Köpfe zählende Familien aus Krefeld aufgemacht. Am 18. Juli 1683 befanden sich dieselben in Rotterdam, von wo sie nach England gingen, um sich in Gravesend am 24. Juli auf der „Concord“ zur Ueberfahrt nach Amerika einzuschiffen. Die letztere nahm 74 Tage in Anspruch, denn erst am 6. Oktober kamen die Reisenden in Philadelphia an, wo sie von Penn und Pastorius herzlich willkommen geheißen wurden.

Bei der Auswahl der Stelle, wo die erste deutsche Ortschaft in der Neuen Welt entstehen sollte, entschied man sich für eine zwei Stunden von Philadelphia entfernte Ebene, die sich unweit des linken Ufers des Schuylkillflusses dahinzog. Hier wurden am 24. Oktober 14 „Lose“ oder „Erbe“ ausgemessen, eins für jede der 13 Familien und eins für Pastorius. Trotzdem die Jahreszeit schon weit vorgeschritten war, begann man sofort Keller auszuwerfen und Hütten zu bauen und kam bis zum Eintritt der kälteren Witterung glücklich unter Dach.

„Den Ort,“ so erzählt Pastorius in seinen Aufzeichnungen, „nannten wir Germantown, welches der Teutschen-Statt bedeutet. Etliche gaben ihm den Beynamen Armentown, sindemahl viel der vorgedachten Beginner sich nicht auff etliche Wochen, zu geschweigen Monate provisioniren kunnten. Und mag weder genug beschrieben noch von denen vermöglichen Nachkömmlingen geglaubt werden, in was Mangel und Armuth, anbey mit welch einer Christlichen Vergnüglichkeit und unermüdetem Fleiß diese Germantownship begunnen sey.“ –

Wie schwer es war, die Urwildnis der Kultur zu gewinnen, bezeugt manche Klage des trefflichen Mannes in seiner Niederschrift. In diesem Kampf mit der gewaltigen Natur bedurfte es, wie er gesteht, „gedachten William Penn’s offtmaliger durchdringender Anmuthigung und würklicher Assistenz, zumal wir, die Urheber dieses Werks, wegen ermangelnder Experienz in solcherlei sachen vieles gethan haben, das wir hernach theils selbst ändern, theils der klügeren Nachfahren Verbesserung anbefehlen müssen.“

Mit der Zeit wurde das Aussehen der Ortschaft aber doch ein wohnliches. Die 20 m breite, von einigen Querstraßen durchschnittene Hauptstraße, welche den Ort in zwei Hälften teilte, wurde auf beiden Seiten mit Pfirsichbäumen bepflanzt. Große Gemüse-, Blumen- und Obstgärten wurden rings um die Behausungen angelegt; auch ein kleines hölzernes Kirchlein erstand. Der jungfräuliche Boden lohnte den auf ihn gewendeten Fleiß in so reicher Weise, daß man bald beginnen konnte, den Ueberfluß nach Philadelphia auf den Markt zu bringen. Auch befaßte man sich mit Getreidebau und Viehzucht und trieb mit den Indianern, mit denen man gute Freundschaft hielt, einen gewinnbringenden Pelzhandel. Obendrein setzten die Männer das in der Heimat erlernte Gewerbe, die Leinweberei fort und stellten allerhand Zeuge her, die ihrer Haltbarkeit wegen allerorten willige Abnehmer fanden.

Fleiß, Sparsamkeit und Genügsamkeit waren die Tugenden, durch welche die Ansiedler von Germantown sich auszeichneten und die Achtung aller Umwohner erwarben. Obwohl fromm und gottesfürchtig, waren sie aber keineswegs Duckmäuser, die wie so manche andere nach Pennsylvanien gekommene Sektierer ihr Dasein in denkfauler Beschaulichkeit verbrachten. Sie waren als echte Rheinländer vielmehr Freunde froher Regsamkeit Und wußten auch den Wein als Quelle derselben zu schätzen. So währte es nicht gar lange, daß sich um die Fenster und Thüren ihrer Hütten schwertragende Reben rankten, andere sich zu schattigen Lauben verbanden, unter denen die Ansiedler abends nach vollbrachter Arbeit behaglicher Rast pflegten oder Nachbarn und Freunde empfingen, um mit ihnen der fernen Heimat zu gedenken, die ihnen trotz aller erlittenen Kümmernisse doch stets heilig und teuer blieb.

Ueber Arbeit und Frohsinn vergaß man aber auch nicht die Pflege des Geisteslebens. Mittelpunkt desselben war allüberall Pastorius, welcher, ein echter Vater der jungen Kolonie, nicht bloß die Errichtung einer Schule durchsetzte, sondern auch persönlich eine Abendschule leitete, in der er den reichen Born seines Wissens allen erschloß, die auf Vertiefung ihrer Kenntnisse bedacht waren. Haben die Deutschen in Amerika Veranlassung, das Andenken eines Mannes hoch in Ehren zu halten, so ist es das des Franz Daniel Pastorius, der, obwohl er das reichbewegte Leben der europäischen Großstädte hatte kennenlernen, sich doch ohne Murren in die Wildnis vergrub, um seinen Landsleuten ein Helfer und Berater zu sein. Daß ohne diesen seltenen Mann die erste deutsche Niederlassung in Amerika so folgenreich gewesen wäre, darf man bezweifeln. Von der Vielseitigkeit seiner Begabung, von seinem Fleiß und von der Tiefe seines Gemüts zeugt gewiß die Thatsache, daß er in Germantown nicht weniger als 43 Bände mit selbstverfaßten Aufsätzen über Rechtskunde, Naturwissenschaft, Landwirtschaft, Geschichte und Theologie, sowie mit Gedichten, Sinnsprüchen und philosophischen Betrachtungen füllte. Daß die Bewohner des Ortes ihn, als Germantown im Jahre 1691 Stadtrechte erhielt, zum ersten Bürgermeister und zugleich auch zum Friedensrichter erwählten, war der Ausdruck der von allen gegen ihn empfundenen Dankbarkeit.

Sinniger konnte der erste deutsche Bürgermeister in Amerika seine Thätigkeit gewiß nicht eröffnen, als Pastorius es that, indem er das Titelblatt des Grundbuches von Germantown mit einem warmempfundenen, von treuer Anhänglichkeit an die alte Heimat durchdrungenen „Gruß an die Nachkommenschaft“ zierte. Derselbe, in flüssigem Latein geschrieben, lautet verdeutscht: „Sei gegrüßt, Nachkommenschaft! Nachkommenschaft von Germanopolis! Und erfahre zuvörderst aus dem Inhalt der folgenden Seiten, daß Deine Eltern und Vorfahren Deutschland, das holde Land, das sie geboren und genährt, in freiwilliger Verbannung verlassen haben – o ihr heimischen Herde! – um in diesem waldreichen Pennsylvanien, in der öden Einsamkeit minder sorgenvoll den Rest ihres Lebens in deutscher Weise, das heißt wie Brüder zu verbringen. Erfahre auch ferner, wie mühselig es war, nach Ueberschiffung des Atlantischen Meeres in diesem Striche Nordamerikas den deutschen Stamm zu gründen. Und du, geliebte Reihe der Enkel, wo wir ein Muster des Rechten waren, ahme unser Beispiel nach; wo wir aber von dem so schwierigen Pfad abwichen, was reumütig anerkannt wird, vergieb uns; mögen die Gefahren, die andere liefen, dich vorsichtig machen. Heil dir, Nachkommenschaft! Heil dir, deutsches Brudervolk! Heil dir auf immer!“

Pastorius war es auch, der beim Entwurf des Ortssiegels von Germantown in die Mitte desselben in sinniger Weise ein Kleeblatt zeichnete, dessen drei Blätter den Weinstock, den Flachs und die Weberei darstellen sollten, was durch die Umschrift Vinum, linum et textrinum (Wein, Lein und Webeschrein) Ausdruck fand. Dadurch wurde zugleich die Mission der Deutschen in Amerika, die Förderung des Ackerbaus, des Gewerbes und des heiteren Lebensgenusses, in der glücklichsten Weise angedeutet.

Ohne Zweifel ist auch eine weltgeschichtliche Großthat der Deutschen von Germantown auf den edlen Pastorius zurückzuführen: der erste in der civilisierten Welt erhobene feierliche Protest wider die Sklaverei, die unfreiwillige Knechtschaft! Die „Einfuhr“ von Negersklaven in die englischen Kolonien von Nordamerika wurde seit Anfang des Jahrhunderts betrieben, ohne daß die für allgemeine Menschenrechte eintretenden Quäker und Puritaner diesen Menschenhandel als eine schwere Ungerechtigkeit empfunden hätten. Erst die Deutschen von Germantown

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0630.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2023)