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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

von diesen Porträts, am passendsten Platze, steht auf einer Staffelei das lebensgroße Bild Goethes, das kostbarste Kleinod des an Kunstschätzen so reichen Hauses. Der Dichter selbst hat es gestiftet, was die geschnitzten Namen auf dem Rahmen bezeugen. Es zeigt ihn (vgl. die Abbildung S. 627) in der Galatracht des Ministers, die Miene dementsprechend ernst und gemessen, das Auge geistsprühend. Das Bild rührt von der Hand des Dresdner Malers Gerhard von Kügelgen her, der es 1810 in Weimar malte. Rat Schlosser erhielt das Porträt offenbar als Zeichen des Dankes für die zahlreichen Dienstleistungen, deren er sich für den Freund und Landsmann unterzogen hatte. In dem Begleitschreiben vom 24. Januar 1811 nennt sich der Geber glücklich, das Bild übersenden zu können, und wünscht, daß es Beifall finde. Dieser Wunsch erfährt bis zur Stunde immer neue Erfüllung.

Der an das „Goethezimmer“ stoßende Raum enthält fast ausschließlich Gemälde von Meistern der romantischen Schule, Schnorr von Carolsfeld, Overbeck, Steinle, Moritz von Schwind u. a. Außerdem überraschen das Auge, wie überall an geeigneter Stelle, wertvolle Altertümer und kleinere Kunstwerke, wie Schnitzereien, Vasen und Majoliken, unter diesen Gegenständen viele Reiseerinnerungen des Besitzers. Der kostbarste Gegenstand aller Kunstschätze aber ist eine 11/2 Fuß ins Geviert messende Kassette, ein Schatzkästchen von einziger Art; es trägt in goldenen Lettern die Aufschrift: Goetheana. Der glückliche und gütige Besitzer ließ mich den ganzen Inhalt sehen und gab mir Stück für Stück in die Hand. Es sind dies seltene Gelegenheitsschriften, die sämtlich auf Goethe Bezug haben oder von ihm herrühren, Autogramme von Dichtern, wie Lenz und Klinger, sowie ein vollständiges Tagebuch von Goethes Jugendfreundin, dem Fräulein von Klettenberg, Originalbriefe von des Dichters Vater, Mutter und Sohn. Einem Briefe der „Frau Rat“ an Hieronymus Schlosser ist ein kleiner Zettel mit Umschlag beigelegt, beides von ihrer Hand überschrieben. Der Zettel enthält einen Bibelvers, ein Zeugnis fröhlichen Gottvertrauens.

Marianne v. Willemer, 1819
Nach einem Miniaturbild auf Elfenbein.

Bedeutender und zugleich zahlreicher sind Goethes eigene Briefe, besonders wertvoll der im Jahre 1786 aus Rom an seine Mutter gerichtete; in demselben ist von dem wunderbaren Umschwung die Rede, der sich in seiner Künstlerseele seit der Anschauung der Antike in Italien vollzogen. „Wie wohl mir’s ist,“ heißt es, „daß sich soviele Träume und Wünsche meines Lebens auflösen, daß ich nun die Gegenstände in der Natur sehe, die ich von Jugend auf in Kupfer sah, und von denen ich den Vater so oft erzählen hörte, kann ich Ihnen nicht ausdrücken.“ . . . Auch einige Gedichte sind vorhanden, im ersten Entwurfe niedergeschrieben und mit Korrekturen versehen. Den Hauptbestandteil der Goethebriefe bildet das halbe Hundert Originalbriefe, welche Fritz Schlosser in den Jahren von 1808 bis 1830 vom Dichter erhalten hat und die in dem Bande „Goethe-Briefe aus Fritz Schlossers Nachlaß“ von Julius Frese herausgegeben worden sind. Sie unterscheiden sich natürlich vielfach von denen, welche an Suleika und auch an litterarische Freunde gerichtet sind, zumal häufig geschäftliche Angelegenheiten den Inhalt bilden; gleichwohl sind sie ein schönes Denkmal freundschaftlicher Treue. Gerade der letzte Brief ist insofern von besonderer Bedeutung, als in ihm auch von Stift Neuburg die Rede ist. Schlosser hatte dem Dichter eine Abbildung seines Landsitzes zugeschickt, worauf ihm die Antwort zu teil wird: „Es war, wirklich, theuerster Herr und Freund, ein sehr glücklicher Gedanke, durch einen geschickten Künstler Ihre ernst-heitere Wohnung und die unschätzbare Gegend abbilden und vervielfältigen zu lassen; es kann uns nichts Freudigeres und mehr Ermunterndes begegnen, als wenn wir, zugleich mit guten und herzlichen Worten, auch ein vorzügliches Lokal erblicken, wo Sie behaglich verweilen, wo Sie an uns denken, von woher Sie Ihre Schreiben an uns richten. Es entsteht daraus eine gewisse Unmittelbarkeit des Zusammenseyns, welche höchst reizend ist.“ Goethe hatte nie auf Stift Neuburg geweilt, da es zu jener Zeit, wo er in die Gegend kam, noch nicht in Schlossers Besitz war. Allerdings hatte er es gesehen, und zwar auf einer Reise von Heidelberg nach Stuttgart, und dessen Lage als sehr anmutig geschildert. Aber durch die vielen Beziehungen Mariannens von Willemer zu dem Stift und seinen Bewohnern war es seinem Geist jetzt ganz besonders nahe gerückt.

Marianne v. Willemer, 1836.
Nach einer Kreidezeichnung.

Am Theetisch im Salon erfuhr ich das Wichtigste aus der reichen Vergangenheit des Stiftes: wie es, schon im 11. Jahrhundert von Benediktinern des Klosters Lorch gegründet, bis zur Reformation den Ordenszwecken diente und dann zu einem Frauenstifte mit ziemlich weltlicher Verfassung umgeschaffen wurde, von welcher Zeit noch heute die auf S. 625 abgebildete Grabplatte einer Aebtissin zeugt. Im 18. Jahrhundert wurde das Stift den Jesuiten als Lehr- und Erziehungsinstitut überlassen; nach Aufhebung der Gesellschaft Jesu blieb es eine Zeit lang unbewohnt, bis es in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts vom Rat Schlosser die Gestalt des reizenden Landsitzes erhielt, der es heute noch ist. Während Schlosser hier weilte und wirkte – der „Onkel“, als der er noch heute im Stifte Neuburg gilt – war das Stift eine Herberge der Wissenschaft, ein Stelldichein von Künstlern und Gelehrten. Das gastliche Haus wurde von weltlichen und geistlichen Würdenträgern, sowie von Trägern berühmter Namen nie leer. Von diesen seien erwähnt Ludwig Tieck, Sulpice Boisserée, der „römische Kestner“ (Lottes Enkel), Walter und Wolfgang von Goethe, Wilhelm von Humboldt, der Freiherr vom Stein, aus späterer Zeit der Erbgroßherzog Friedrich, jetziger Großherzog von Baden. Mit Ludwig Tieck war Marianne von Willemer zusammen auf Neuburg, worüber sie am 2. November 1828 an Goethe berichtet hat. Jetzt findet in der kunstsinnigen Familie Bernus die Gastfreundschaft des Hauses, wie auch ich erfahren sollte, eine erfreuliche Fortsetzung und das Andenken edler Menschen eine pietätvolle Pflege. Mit gehobener Stimmung verließ ich die ehrwürdige und doch so heiter ins Land blickende Stätte.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0628.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)