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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


     Verschiedenes Streben.
 (Zu dem Bilde S. 581.)

Es strebt die Menschheit allezeit,
0 Ist auch ihr Ziel verschieden;
Und wer erreicht, was er erstrebt,
0 Ist glücklich und zufrieden.

Der Junge hier strebt nach der Frucht,
0 Der Alte nach den Ohren,
Und jeder hält – kommt er ans Ziel –
0 Die Zeit nicht für verloren.

Der Alte freut sich: „Wart’, du Tropf,
0 Dir komm’ ich anders noch!“
Der Junge reibt den Kopf und lacht:
0Die Aepfel hab ich doch!“      P. Auzinger.

Das „Heuscheuer-Kamel“ und der „Großvaterstuhl“ im Glatzer Gebirge. (Mit Abbildung.) An der Westgrenze der schlesischen Grafschaft Glatz, die durch ihre fünf Mineralbadeorte Reinerz, Cudowa, Landeck, Langenau und Altheide weit und breit bekannt ist, erhebt sich die 920 m hohe Heuscheuer. Sie ist der Hauptberg jenes reichgegliederten Quadersandsteingebirges, welches seine Ausläufer bis zu den Adersbach-Weckelsdorfer Felsen in Böhmen sendet, und zeichnet sich durch zahlreiche, teils groteske, teils gigantische Steingebilde aus, von denen wir das riesenhafte „Kamel“ und den auf einem bequemen Gerüst ersteigbaren „Großvaterstuhl“ hier abbilden. Die düsteren Schluchten und die interessante Formation des Berges mit dem weiten, zerklüfteten Plateau bieten dem Wanderer Abwechselung und reichen Genuß. Hier oben, sowohl vom Tafelsteine aus, auf welchem die Schweizerei steht, als vom „Großvaterstuhle“ aus genießt der Wanderer eine entzückende Aussicht in die Nähe wie in die Ferne.

Die Heuscheuer ruht auf dem Massiv des Leierberges, über welchen der Abstieg sowie eine Kunststraße nach dem regen Bergstadtchen Wünschelburg und nach dem Bahnhofe „Mittelsteine“ führen. Am Fuße dieses Leierberges rauschen und sprudeln inmitten wildromantischer Wald- und Felsenscenerie die vom Gebirgsvereine zusammengefaßten Quellbäche der Posna in Kaskaden und größeren Wasserfällen zu Thale. G. Nentwig.     

Das „Heuscheuer-Kamel“ und der „Großvaterstuhl“.
Nach einer Photographie von A. Hübner in Glatz.

Eppelein von Gailingens Flucht aus Nürnberg. (Zu dem Bilde S. 597.) Von Sage und Lied gefeiert, ist die Kunde von dem verwegenen Reiterstück des Ritters Eppelein von Gailingen auf die Nachwelt gekommen. Der Eppelein war einer der gefährlichsten jener in Franken ansässigen Raubritter, gegen deren gemeinschädliches Treiben das aufblühende Nürnberg sich im 14. Jahrhundert beständig zu wehren hatte. Er gehörte dem alten Geschlechte der Gailingen von Illesheim an, einem unweit von Windsheim gelegenen Rittersitze, und besaß verschiedene Raubburgen in der Gegend zwischen den damals rivalisierenden Handelsstädten Nürnberg und Rothenburg. Als es nun den Nürnbergern einstmals gelungen war, den gefurchtsten Wegelagerer festzunehmen, und er oben auf der Nürnberger Burg in dem Fünfeckigen Turm gefangen saß, soll es ihm gelungen sein, die ihn bewachenden Soldknechte mit List zu überreden, ihn auf die Freiung hinaus und sein Roß besteigen zu lassen. Kaum aber hatte er dasselbe ein wenig auf dem Platze getummelt, da setzte er mit kühnem Anlauf über den Stadtgraben und entkam so seinen entsetzten Wächtern. Noch heute zeigt man dem Besucher der Burg an der Brustwehr der Freiung die Eindrücke, welche der Hufschlag des Rosses zurückgelassen haben soll. Noch manch ähnliches Reiterstück rühmt die Sage dem Eppelein nach. Aber schließlich entging er doch nicht seinem Geschick. Wie Emil Reicke in seiner „Geschichte der Reichsstadt Nürnberg“ nach beglaubigten Quellen berichtet, wurde der Ritter Eppelein von Gailingen im Jahre 1381 mit zweien seiner Bundesgenossen und vier Knechten in dem Dorfe Postbauer bei Neumarkt niedergeworfen und gefangen genommen. Diesmal entkam er nicht; auf Anklagen der vier fränkischen Städte Nürnberg, Rothenburg, Weißenburg und Windsheim machte man ihm den Prozeß, und samt seinen Gefährten wurde er hingerichtet.

Gewitter in der Puszta. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) Auf der weiten Puszta glüht der Sonnenbrand. Kein Lüftchen regt sich in der großen Theißebene. Staubig und grau und verschmachtet stehen die Gräser. Die Pferde lassen die Köpfe hängen und knuppern nur gewohnheitsmäßig hier und da an den verdorrten Gräsern und wehren die zudringlichen Bremsen ab mit dem langhaarigen Wedel. Jáncsi, der Csikos (Roßhirt), sitzt müde und verträumt auf seiner scheckigen Stute. Er sieht im Geiste eine schmucke Tanya (Bauernhans) vor sich stehen, in dem sein braunes Mädel, die blitzäugige Ilona wohnt. Jetzt tritt sie heraus aus der Wohnstube unter das schnatternde, glucksende, girrende Federvolk und ein Ruf genügt, sie alle um sich zu versammeln. Sie lacht und ruft und lockt, während ihre Hand in die mit Kukuruz gefüllte Schürze fährt und den Segen nach allen Seiten verstreut. O wie er sie liebt – seine Heideblume, seine Braut! … Da fährt er aus seiner Träumerei empor. „Was ist das?“ Der braune Hengst reckt ängstlich seinen Hals und seine Nüstern weiten sich. Die ganze Herde wird unruhig. Dort unten beim Ziehbrunnen ein weißes Wölkchen: das Zittern in der Luft – da giebt es Arbeit! – Ein Windstoß und noch einer. Eine undurchdringliche Staubwolke hüllt alles ein. Die Fohlen schmiegen sich an ihre Muttertiere und wiehern angstvoll. – Vergessen ist das liebliche Idyll. Der Jáncsi verzehnfacht seine Kräfte, um die Herde beisammenzuhalten. Jetzt hört er auch den Peitschenknall des Pál und des Jozsi, die von der anderen Seite sich bemühen, die Tiere zu beruhigen. Eine schwarze Wolkenbank erhebt sich im Westen und die heulende Windsbraut fegt vor ihr her. Es ist schwül und dumpf zum Ersticken. Einzelne schwere Tropfen fallen. Da plötzlich flammt es auf, als ob aus der Erde Feuerfluten aufstiegen, um sich mit den züngelnden Flammen des Himmels zu vermählen. Der Csikos hält mechanisch die Hand vor sein Antlitz, um dem blendenden Glanz zu wehren. Zu gleicher Zeit tönt ein betäubender Krach, als ob die Erde aus ihren Fugen ginge. In wilder Flucht jagen die Rosse dahin. Der braune Hengst aber bleibt auf dem Boden liegen. Ihn bat der sengende Strahl gefällt. Sekundenlang steht die Stute, die Jáncsi reitet, wie erstarrt da. Dann löst sich plötzlich der Krampf des Entsetzens. Sie thut einen mächtigen Sprung und jagt dahin, und alle Künste des Reiters vermögen nicht sie aufzuhalten. V. Ch.     

Im Aehrenfeld der Witwe. (Zu dem Bilde S. 585.) Ein schöner Brauch aus der Väter Zeit, den echte Menschenliebe ins Leben rief, hat sich in manchen Gegenden der Schweiz bis in unsere Tage erhalten. Den armen Witwen und Waisen, denen es zur Erntezeit an Kräften fehlt, um das reife Korn und Gras zu mähen und einzubringen, wird von den Gemeindegenossen die Arbeit abgenommen. Und zwar vollzieht sich dies Liebeswerk des Nachts, da die jungen Schnitter und Schnitterinnen, die sich ihm widmen, tagsüber von der Erntearbeit für die eigene Familie oder ihre Herrschaft in Anspruch genommen sind. Gottfried Keller, der für seine schweizer Heimat und sein Volk so warm empfindende Dichter, hat dieses Herkommen in dem Gedichte „Sommernacht“ gar anschaulich und ergreifend geschildert:

„In meiner Heimat grünen Talen,
Da herrscht ein alter schöner Brauch:
Wann hell die Sommersterne strahlen,
Der Glühwurm schimmert durch den Strauch,
Da geht ein Flüstern und ein Winken,
Das sich dem Aehrenfelde naht,
Da geht ein nächtlich Silberblinken
Von Sicheln durch die goldne Saat.

Das sind die Bursche jung und wacker,
Die sammeln sich im Feld zu Hauf
Und suchen den gereiften Acker
Der Witwe oder Waise auf,
Die keines Vaters, keiner Brüder
Und keines Knechtes Hülfe weiß –
Ihr schneiden sie den Segen nieder,
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß.“

Dieses Mähen und Garbenbinden des Nachts bei Mondschein, in dessen Glanze die Schneeberge auf die Gebreite des Thals niedergrüßen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0611.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)