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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

von der tollen Camogaskersage ab – der eines beschränkten Küfers. Ein junger Handwerker ist er, ohne Werkstatt und Arbeit.

„Ich aber bin Cilgia Premont, die Tochter eines Podesta.“

Mit einem Ruck hob sie den stolzen Kopf. Da summte ihr die Rede Konradins von Flugi neu durchs Ohr: Die Wiedergeburt des Engadins muß von Einem herbeigeführt werden, der – hau’ es, stech’ es – seinen Weg geht. Und die wachsen nur in der Tiefe – in den Hütten!

Und plötzlich fühlt sie: „Dieser Mann ist Markus Paltram – es giebt keinen andern außer ihm!“ Ihr ist, als ob eine Stimme in ihrem innersten Innern es schreie. „Nein, nein,“ wehrt sie sich, „was geht mich Markus Paltram an?“

Plötzlich hört sie die aufkreischenden Worte der schwarzen Pia: „Der darf nicht in unser Haus – ich zerkratze ihn, wenn er kommt.“

Und der kleine Waldteufel sträubt sich wie eine Wildkatze. Jetzt richtet sie ihre zornigen Augen auf Cilgia selbst.

„Wenn uns der Pfarrer das zu leid thut, dann Fräulein – beiße ich Euch einmal, daß Ihr ewig an mich denkt!“

Cilgia muß hell herauslachen, der braune Wildling mit seinen Raubtieraugen ist so schön in seinem grenzenlosen Zorn.

Bald lockt indes vom Landsgemeindeplatz Tanzmusik, die lustig durch die Fenster hereindringt, und die Gäste verlieren sich aus dem Gemach – auch die Hornisse Pia mit ihrem Bruder.

„Ich wünsche Euch herzlich Glück in der weiten Welt!“ sagt Cilgia und giebt diesem die Hand.

Nun, die hellen Augen des Burschen bürgen dafür, daß es ihm nicht schlecht gehen wird. Fortunatus Lorsa und Menja Melcher kommen und holen auch Cilgia zum Tanz. Auf dem Landsgemeindeplatz wiegt sich bei den Klängen einer bäuerlichen Musik bald im Ringelreigen, bald in Paaren das junge Engadin. Um die Tanzenden steht ein dichter Ring und Knäuel von Zuschauern, aus den Fenstern des Plantapalastes schauen die alten würdigen Herren auf die Lustbarkeit, und über die Dachgiebxl der Nachbarhäuser blickt die Bernina, die sich im Abendsonnenstrahle rötet, auf das Völklein ihres Thales.

Ein Kreis von Bänken, die zum Ausruhen dienen, scheidet die Zuschauer von den Tanzenden. Dort sitzen eben Cilgia und Menja in einem Kranz von Gespielinnen, welche die Scheu vor der Fremden abgelegt haben.

Cilgia fühlt sich heimisch und glücklich.

Da lachte die zierliche Menja: „Seht, dort im Fenster links hin stehen mein Vater und der Herr Pfarrer, Euer Onkel – gewiß erzählt er ihm von Mals, sie reden so ernsthaft – schaut, Euer Onkel hat ja einen ganz roten Kopf.“

Auch Cilgia erglüht nun so heiß, daß sich Menja auf die Lippen beißt und denkt, sie habe wohl eine Thorheit gesagt.

Zum Glück kommt gerade Fortunatus Lorsa mit seinen Freunden, die Mädchen zum Tanze zu holen. Cilgia liebt den Reigen, sie liebt alles, was die Kräfte spannt, und ist die anmutigste und begehrteste Tänzerin im Kreis.

Sie tanzt eben mit Konradin von Flugi, der ein herzlich schlechter Partner ist, und die Furcht, mit dem ungelenken Jüngling, den sie sonst wohl leiden mag, eine unansehnliche Figur zu machen, beengt sie.

Und jetzt sieht sie unter den vordersten Zuschauern Markus Paltram, der seine blauschwarzen Augen auf sie geheftet hält.

Ihr ist, als ob ein höhnisches Lächeln über seine Lippen gehen müsse; aber wie sie mit Konradin einmal ganz nahe an ihm vorübergleitet, sieht sie in seinen Augen nichts als ein großes, zitterndes Verlangen.

„Er wagt es nicht, mich um einen Tanz zu fragen, er tanzt aber auch mit keiner andern.“ Der Gedanke gefällt ihr, sie will sich ihm dankbar erweisen, und er ist so wohlgekleidet, sieht so gut aus, daß sie sich mit ihm recht gut im Ring zeigen darf. Sie erliegt dem geheimnisvollen Reiz: wie das alte komische Musik- und Tanzmeisterlein ruft: „Die Mädchen wählen!“ überwindet sie das Bedenken und knixt zur großen Ueberraschung ihrer jungen Freunde mit ihrer vollen Anmut vor einem Burschen, den sie nicht kennen.

Markus Paltram zögert einen Herzschlag lang – dann läuft ein Glücksstrahl über sein Gesicht, und nun wiegen sie sich in den Klängen der warmen Musik. Einige Leute aber drehen die Köpfe nach ihnen und fragen verwundert: „Wie kommt der Camogasker zu dieser Ehre?“

„Mit Euch geht es besser als mit Herrn Konradin,“ sagte Cilgia schon nach ein paar Takten, und er sah zwischen frischen Lippen ihre weißen Zähne fröhlich blitzen.

Sie fand in seinen Zügen auch plötzlich das nicht mehr, was sie wie eine Warnung, wie eine rätselhafte Scheu von ihm abgestoßen hatte, sondern mit dem Gefühl der Sicherheit und erhöhten Lebens glitt sie an seiner Seite dahin; doch spürte sie es, wie er sie im leichten Tanz je länger desto fester an seine Brust zog, sein heißer Atem streifte sie, und plötzlich sah sie in seinen Augen wieder ein Funkeln, vor dem sie erbangte.

„Nicht zu wild,“ flüsterte sie; als er aber ihrem Wunsche augenblicklich nachgab, da bereute sie ihre Mahnung fast.

So hatte sie noch nie getanzt, an seiner Seite hatte das Spiel eine hinreißende Macht, es war ein Fordern und Nachgeben, ein Jneinanderrinnen der Bewegungen wie ein Lied und mehr, unendlich mehr als ein fröhlicher Kinderreigen.

Einmal flüsterte Markus Paltram: „Einen solchen Dank habe ich mir damals zu Fetan gewünscht. Aber habt Ihr auch bedacht, Fräulein, wie gefährlich es ist, daß wir hier tanzen?“

„Gefährlich?“ fragte sie.

„Die Geschichte von dem geflüchteten Tiroler geht um.“

Sie wußte aber in diesem Augenblick kaum etwas, als daß sie in ein glückstrahlendes Gesicht geschaut hatte, und mit glühendem Gesicht, mit wogender Brust erwiderte sie: „Es geht jetzt doch rasch zu Ende. Holt mich auch zu einem Tanz, Paltram. – Ihr versteht Euch auf den Reigen ja so gut!“

Da lockten die Geigen wieder, der letzte Tanz in blauer Abenddämmerung war da, und nun kam Markus Paltram und erbat sich ihn. Rings um sie her wogten die Paare, selbst die braune Pia, der Waldteufel, drehte sich mit ihrem Bruder in der Runde, und wieder mahnte Cilgia ihren feurigen Partner: „Nicht zu wild!“

Plötzlich aber sagte sie: „Seht, dort ist ein Streit!“ – Ein Dutzend Bursche hatten sich am Rand des Tanzplatzes um den schwarzen Pejder Golzi, den fahrenden Glockengießer, geknäuelt und schrieen: „Haut ihn, werft ihn zu Boden, er hat einen Tiroler Spion geführt!“

Neben dem Hauderer stand die Alte mit dem Kopf, der wie ein hautüberzogener Totenschädel aussah, und kreischte:

„Die dort wissen es, wer ihn geführt hat – wir nicht!“ Und sie wies mit ihrem langen dürren Arm und mit bösem Blick auf Markus Paltram und lenkte und zog den Knäuel in die Tanzenden. Ehe sie sich’s versahen, standen Cilgia und Paltram in seiner Mitte, und das Aufhören des Reigens vermehrte die Verwirrung.

„Ja, der Camogasker – dem ist alles zuzutrauen! Schlagt ihn tot! Um den ist’s kein Schade!“ So erheben sich Stimmen.

Und die alte Wahrsagerin zetert am meisten gegen Markus Paltram und hetzt mit hexenhaftem Gekreisch. Die Stimmen schwirren ringsum und die Fäuste heben sich. Den Zornigen steht nichts mehr als die Gestalt Cilgias im Weg.

Paltram hat sie losgelassen – er weicht einige Schritte zurück, senkt den Kopf wie ein Stier, der auf seine Angreifer losgehen will, legt die Ellbogen an die Hüften, ballt die Fäuste, und die rollenden, funkelnden Augen, deren Weiß gespenstisch aufblinkt, suchen das erste Opfer.

Ein paar Mädchen, die in der Nähe stehen, schreien auf vor Entsetzen über die grausame, keuchende Wildheit im Gesicht des Burschen. Ein Unglück steht bevor.

Da faßt plötzlich Cilgia ihren Tänzer am Handgelenk: „Ruhig, Markus Paltram – mir zuliebe!“

Sie stellt sich, ihn mit der einen Hand zurückhaltend, so vor ihn, daß sie ihm den Rücken zuwendet, und sagt zu den Leuten: „Ich bin die Schuldige – ich schäme mich nicht. Wenn ihr schlagen wollt, so schlagt zu – ich stehe ja da!“

Ihre Brust wogt, sie ist blaß zum Verscheiden, aber ihre Augen sind hell und ihre tiefe, wohltönende Stimme besitzt Kraft genug, daß man sie ziemlich weithin hört.

Wer will in ein so bildschönes Gesicht und zwei so strahlende Augen schlagen?

Eine Verwirrung entsteht, die Angreifer sind unschlüssig, Gelächter ertönt: „Schaut – schaut! – Die schöne Podestatochter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0590.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2022)