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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

mir vor einigen Nachmittagen die Ehre Ihres Besuches schenkten, in einer Angelegenheit, die, wie ich bereits Herrn Oberamtmann gegenüber betonte, durchaus unser Geheimnis ist und bleibt, diese Thatsache ist bekannt geworden, ist häßlich ausgedeutet. Geben Sie mir das offizielle Recht, jeden zur Verantwortung zu ziehen, der an Ihren guten Namen tasten will. Ich nehme mir die höchste Ehre, die sich ein Mann Ihnen gegenüber nehmen kann: ich gestatte mir, mein gnädiges Fräulein, Ihnen meinen Namen, meinen Schutz, mein Leben zu Füßen zu legen. Fräulein Susanne: werden Sie mein Weib!“

Es riß ihn fort. In unerbittlichem Ernst begann er. Die zurechtgelegten Worte kamen wohlgeordnet von seinen Lippen. Und dann quoll eine Erschütterung in ihm auf … seine Augen wurden ihm feucht …

Susanne aber wich von ihm zurück.

„O mein Gott!“ rief sie, „o mein Gott!“

Sie begriff alles, ganz und gar.

Weil ein Dutzend fremder, elender Menschen schlecht von ihr gesprochen hatte, kam er, ritterlich und aufopfernd, und bot ihr seine Hand – – –

Nur darum – nur darum!

Was lag an den Menschen! Was daran, wie die von ihr dachten!

Und korrekt und kalt, einem Ehrgebot folgend, oder einer Aufwallung von Beschützergroßmut, kam er und hielt um sie an.

Ohne Liebe. Ganz ohne Liebe – – –

„O mein Gott!“ stöhnte sie noch einmal.

Für den Oberamtmann hatte diese ihre Aufregung den begreiflichsten Grund. Daß Körlegg so steif und verzweifelt ernst war, fiel ihm nicht auf. Er liebte es selbst, daß es bei feierlichen Anlässen auch feierlich zugehe.

„Trösten Sie sich, mein gutes Kind,“ sagte er voll väterlichen Wohlwollens, „Sie sind nicht die Erste und werden nicht die Letzte sein, die unschuldig in den Mund der Leute kommt. Es klärt sich ja nun alles auf. Wenn Sie sich verloben, ist ja alles gut. Daß junge Liebesleute vor ihrer öffentlichen Verlobung heimlich zu einander laufen, das kommt ja vor. Das haben wir alle gemacht, wie wir jung waren!“

„Ach, das ist mir ganz egal – was die Leute sagen!“ sprach Susanne.

Achim hörte – das war wie ein Klang aus fernen Tagen … gerade dasselbe hatte eine andere auch einst gesagt. War das der kühne, vornehme Mut stolzer Frauenherzen? Oder die Unerfahrenheit des Weibes? …

Der Oberamtmann lächelte nachsichtig.

„Nun, mein liebes Kind – was haben Sie zu antworten?“ mahnte er, „nehmen Sie auf mich und mein Haus keine Rücksicht. Sie stehen meiner Tochter sehr nahe. Aber über Freundschaft geht Liebe. Sie werden meiner Tochter ja nicht abverlangen, sich mit Ihrem Verlobten zu begegnen. Was dazwischen liegt, das wissen wir ja.“

Susanne sah vor sich nieder. Sie hatte nicht den Mut, dem Mann, zu dem sie jetzt sprach, ins Gesicht zu sehen.

Und weinen wollte sie nicht vor ihm, nur das nicht.

„Ich danke Ihnen, Herr von Körlegg,“ sprach sie sehr leise, „aber ich kann Ihren Antrag nicht annehmen!“

„Sie sagen Nein?“ rief der Oberamtmann ganz verdutzt.

Sie neigte das Haupt.

„Ich sage Nein.“

Achim von Körlegg verneigte sich sehr tief, erst vor Susanne, dann vor dem alten Herrn.

An der Thür machte er noch eine dritte, letzte Verbeugung und ging hinaus.

Susanne aber setzte sich an den Tisch, versteckte ihr Gesicht auf ihren auf der Tischplatte verschränkten Armen und fing an zu schluchzen, ganz fassungslos und ganz verzweifelt.

„Was ist denn dies? Was ist das alles?“ fragte der Oberamtmann, sich aus tiefstem Erstaunen aufraffend. Er klopfte ihr väterlich auf die Schultern. „Weinen Sie doch nicht so, mein Kind! Mögen Sie ihn denn nicht?“

„Ach ja – ach ja,“ schluchzte sie.

„Ja, dann versteh’ ich die ganze Geschichte nicht!“ sprach er.

„Nicht fragen – nicht fragen. Ach, ich mag nicht mehr leben!“

Sie weinte fort.

Er stand ratlos. Allerlei Gedanken kamen ihm. Vielleicht konnte Susanne, trotzdem sie den Mann liebte, doch nicht darüber weg, daß er ein Menschenleben vernichtet hatte – noch dazu dasjenige eines ihrer Blutsverwandten. Hm? Das arme Kind! Aber solch’ Gefühl ließ sich verstehen …..

Der alten Klatschbase, dem Sebold, und allen andern Mühlauern wollte er es aber eintränken, daß hier von keinem Leichtsinn und keiner bloßen Liebelei die Rede war. Er hatte es mit seinen eigenen Ohren gehört, daß ein Körlegg alles, was er war und hatte, dem Mädchen zu Füßen legte.

Die Oberamtmännin kam mit verstörten Mienen herein.

„Nun?“ fragte sie, auf die weinende Susanne blickend.

„Sie will nicht!“ Und dazu machte der Oberamtmann heftig abwinkende Gebärden: seine Frau solle nicht mit undelikaten Fragen kommen.

„Bitte, Susanne – wenn es möglich ist – fassen Sie sich – Sabine verlangt nach Ihnen. Guste und ich haben sie nach hinten auf ihr Bett gebracht. Sie wurde mir nebenan ohnmächtig,“ sagte sie.

„Was sind das alles für Geschichten!“ seufzte der Oberamtmann.

Langsam, das Taschentuch vor dem Gesicht, ging Susanne hinaus.

Hinten im Zimmer, auf dem Bett ausgestreckt, gegen das Versiegen der Kräfte gewaltsam ankämpfend, lag Sabine, bleich und matt.

Sie versuchte sich bei Susannens Eintritt ein wenig aufzurichten.

„Was hast du gethan?“ rief sie fieberhaft.

„Nein gesagt!“

„Ach – du konntest nicht anders, nein, du konntest auch nicht anders!“ flüsterte Sabine wie erlöst und sank zurück.

Die andere warf sich über sie, das Gesicht an ihrer Brust, weinend rief sie laut: „Aber ich liebe ihn! Jetzt will ich es dir sagen! Ich liebe ihn, seit ich ihn sah!“

Lange weinte sie fort.

Mit unsicherer Hand tastete Sabine nach dem Haupt der Weinenden.

„Armes Kind!“

Und dann flüsterte sie: „Ich habe mich bezwingen müssen – du mußt es auch!“

Sie vergaß, daß nicht sie sich, sondern daß das Schicksal sie bezwungen hatte.


13.

Nun wollte Susanne keinen Tag mehr dableiben. Sie wollte zu ihrer Mutter, zu Onkel Fritz, und Sabine widerstand nicht.

„Ich hörte ihn sagen, daß er Onkel Fritz alles geschrieben habe. Teile mir mit, was er ihm antwortete – du kannst es sicher erfahren!“ drängte sie. „Und schreibe mir auch, wie es ihm gehen mag, wenn er wieder in Berlin ist; wenn du auch selbst ihn nicht siehst, so kannst du durch Benno von Zeuthern doch immer etwas hören.“

Und als sie Abschied voneinander nahmen, da sagte Sabine das Höchste, was sie sagen konnte, um dem Herzen des treuen Mädchens wohlzuthun: „Dir allein hätte ich ihn gegönnt. Keiner Frau auf der Welt sonst!“

Sie hatte es leicht, sich in diesen Gedanken hineinzusteigern, denn ihre Seele war ruhig in der Gewißheit, daß der geliebte Mann Susannen niemals zu eigen sein werde und nach all diesen Ereignissen auch wohl niemals einer andern.

Susanne schrieb gleich. Sie hatte den „lieben einzigen herrlichen Onkel Fritz“ offen gefragt, was er „ihm“ wohl geantwortet habe.

„Er hat ungefähr folgendes geschrieben: Die Ehre einer Frau stände gottlob höher und fester, als daß der Klatsch sie ihr nehmen könne. Immerhin begreife er, daß Achim, als Offizier und Ehrenmann, mir die Genugthuung eines Antrages glaubte geben zu müssen. Im übrigen sei es ihm erwünscht, einmal eine

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