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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Nur ein Mensch.

Roman von Ida Boy-Ed.
(Schluß.)


Herr Doktor Sebold hatte sich die Hinweise seiner Frau gemerkt. Ja, er war der Nächste dazu, seinen alten Freund, den Oberamtmann, darüber aufzuklären, daß ganz Mühlau sich mit der zur Zeit in seinem Hause lebenden Susanne Osterroth beschäftige.

Solche Missionen sind ja immer unangenehm. Aber was thut Freundschaft nicht. Und dann schließlich: gab es wohl in der Stadt irgend ein Ereignis, bei dem Sebold nicht Berater, Mitwisser war? Ja, wenn er hätte sprechen wollen!! Vor ihm brauchte man sich wahrlich nicht zu schämen, er wußte, daß schließlich jeder sein Skelett im Hause hatte.

Unter solchen Vorreden saß er in der Eßstube beim Oberamtmann, und schon fühlte sich die Oberamtmännin gefoltert vor Angst und Neugier.

„Um Gottes willen, so sagen Sie lieber geraderaus: was ist denn los?“ fragte sie.

„Es betrifft Fräulein Susanne,“ sagte er.

„Ach – die –“

Sie war ganz enttäuscht und erleichtert. „Wohl der dumme Klatsch, daß die mit Herrn von Körlegg was haben soll?“

„Sie wissen …“

„Voigtstedt kam gestern damit an. Aber da seien Sie ruhig, lieber Doktor – die kennen sich gar nicht!“

Das wußte Sebold nun besser.

Er erzählte ganz genau, wie gestern abend alles hergegangen: kaum betrat Susanne den Saal, so stürzte Körlegg auf sie zu; offen sagten sie, daß sie sich schon gekannt; bei Tisch drückte er ihr einmal heimlich die Hand, Frau Rechtsanwalt Müller, die gegenüber gesessen, habe es so genau gesehen, daß sie es beschwören könne; beim Cotillon brachte er ihr Blumen; immer stand er und sah ihrem Tanze zu; stets suchten ihre Augen ihn. Außerdem war Sebold heute morgen noch bei Frau Leermann vorgewesen, um es sich bestätigen zu lassen, daß Susanne Osterroth den Leutnant von Körlegg besucht habe; Frau Leermann, unter der Bedingung, daß ihr keine Fatalitäten erwüchsen, gab es zu; wie oft Susanne dagewesen, könne sie nicht sagen, gesehen habe sie sie einmal …

Ein Zweifel war nicht mehr möglich; und das mußte man doch zugeben: wenn es sich dabei um ein ehrliches, anständiges Einvernehmen handele, würde das Fräulein sich dem Oberamtmann schon anvertraut haben, oder Körlegg würde um sie anhalten. Wenn da thatsächlich Heiratspläne vorlägen – dann allerdings nähme er alles zurück. Aber das scheine doch leider nicht.

Weinend sagte die Oberamtmännin:

„Welch eine Schlange hat meine arme, ahnungslose Sabine da am Busen genährt!“

„Hör’ mal,“ sprach der Oberamtmann, „das darfst du nicht so schlankweg sagen. Wer weiß, wie alles zusammenhängt! Und wenn sie sich nun wirklich schon geliebt haben, ehe Körlegg die unselige Sache mit unserem Schwiegersohn hatte, so ist das doch sehr traurig für die jungen Leute.“

„Unser Schwiegersohn war auch Susannens leiblicher Vetter,“ betonte sie stark.

„Nu … wir leben doch nicht in einem Land, wo Blutrache ist!“

„Du nimmst Susannen immer in Schutz. Du hast ein ausgesprochenes Faible für sie!“ rief die Oberamtmännin gereizt, „natürlich – der blonde Haarschopf hat es dir wieder angethan!“

Aus der Tiefe der Zeiten tauchte die Gestalt einer blonden Wirtschafterin auf, der Deuben einmal in die Wangen gekniffen. Das hatte ihn damals viel gekostet.

„Am besten ist es wohl, wir hören mal, was Sabine von der Sache meint,“ sagte er ablenkend.

„Ja, Ihre Frau Tochter, als beste Freundin des Mädchens, müßte eingeweiht sein oder wenigstens Beobachtungen gemacht haben. Gab ihr Susanne nicht einmal dazu Gelegenheit, dann deutete das allerdings auf einen Grund von …“

Sebold zuckte die Achseln.

„Von unerhörter Verderbnis,“ schloß die Oberamtmännin.

„Sabine!“ rief der Oberamtmann aus der Thür.

Seine Stimme scholl durch die ganze Wohnung, das wußte er.

Richtig steckte Sabine auch den Kopf aus der Thür ihres Zimmers und rief über den Flur: „Ja, Papa. Was soll ich?“

„Herkommen. Aber bitte allein.“

Befremdet durch diesen Befehl, der Susannen und die Kinder ausschloß, erschien Sabine.

Sie sah Sebold stehen, das Fenster im Rücken, wie er immer gern stand, den Gesichtern der andern das Licht, seinem eigenen den Schatten lassend.

„Sebold bringt uns unangenehme Nachrichten,“ sagte der Oberamtmann. „Bitte, Doktor, erzählen Sie alles noch einmal genau.“

Und mit klagender Stimme, die Hände bedauernd reibend, fing er von vorn an.

Sabine hörte – unwillkürlich schritt sie näher – nah’ – mit den schleichenden Schritten einer, die sich in rasendem Zorn auf jemand stürzen will. Ihre Finger bogen sich, ihr Atem keuchte.

Vor ihren funkelnden Augen erschrak der salbadernde Mann und versprach sich, verwickelte sich, entschuldigte bei jeder Anklage. Er zog sich zurück, er stotterte, daß es ihm ja selbst sehr leid sei …..

„Welche Gemeinheit!“ schrie Sabine.

Ihre Mutter zitterte.

„Rege dich nicht so auf, mein Kind! Es schadet dir. Ja, es ist gemein von ihr. Deine beste Freundin! Und so hast du sie geliebt,“ sagte sie weinend.

„Unerhört!“ rief Sabine wieder. „Du glaubst es – du glaubst, daß Susanne etwas thun könnte, dessen sie sich zu schämen hätte?“

Sie ging mit großen Schritten und Gebärden im Zimmer hin und her.

„Mit welchem Recht unterstehen diese elenden Klatschbasen sich, das Thun und Lassen ihres Nächsten zu belauern und zu begeifern!“ rief sie in loderndem Zorn. „Kümmere ich mich darum, ob Nachbar Hinz seine Straße rechts und Nachbar Kunz seine Straße links hinaufgeht?! Wie arm, wie klein … o, könnte man sie fassen und strafen! Schlagen möcht’ ich sie. Schlagen!“

Sie blieb stehen, wo sie gerade war, und legte ihre Stirn gegen die Wand. Sie machte den Eindruck einer völlig Fassungslosen.

Der Doktor und die Eltern sahen sie angstvoll an.

„Gewiß, mein Kind, du hast im Princip ja ganz recht,“ begütigte der Oberamtmann, „aber an den Thatsachen können wir nichts ändern. Das ist nun mal in der ganzen Welt so: einer bespricht den andern. Und wer was Ungewöhnliches thut, muß besonders herhalten. Jetzt, in dieser Sache, müssen wir nun doch feststellen, was dran ist. Mir scheint, du weißt nichts davon. Soll’n wir mal Susannen rufen und sie zur Rede stellen?“

Sabine richtete sich wieder auf. Sie strich mit harten Händen ihr Haar aus der Stirn.

„Was geht es dich an, was Susanne thut? Du bist nicht ihr Vormund. Sie ist dein Gast, du darfst sie nicht kränken, indem du ihr den Verdacht aussprichst, sie könne Unweibliches gethan haben!“ sprach sie mühsam.

„Sie ist ein junges Mädchen und steht unter meinem Schutz. Solange sie bei uns ist, ist mein Haus für sie verantwortlich!“ sprach der Oberamtmann ernst.

Er wartete, daß Sabine sich weiter äußern werde.

Aber sie stand mit verschränkten Armen und starrte düster vor sich hin.

Sie würde die Wahrheit sagen! Das war ihr Entschluß! Sofort und gleich würde sie sie ihren Eltern kühn ins Gesicht schleudern. Nur nicht in Gegenwart dieses schleichenden,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0550.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2021)