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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Blätter und Blüten.

Die „König Wilhelm-Rast“ bei Mezonville. (Mit Abbildungen.) Als König Wilhelm am Abend des 18. August 1870 den Sieg von Gravelotte St. Privat der Königin Augusta meldete, da lag ein Tag angestrengtester Arbeit und treuester Pflichterfüllung hinter ihm.

15 Stunden ununterbrochen im Sattel, hatte der König die Schlacht geleitet und den Erfolg des Tages wohl vorbereitet. Der Sturm der Garden und Sachsen auf St. Privat und ein letzter Vorstoß der Pommern auf die starke französische Stellung bei Gravelotte sollten die Kraft des Feindes brechen und die Entscheidung bringen, welcher König Wilhelm endlich am späten Abend auf einer bei Rezonville gewühlten Rast mit Gottvertrauen entgegensehen durfte.

Die „König Wilhelm-Rast“ bei Rezonville.
Nach dem Entwurf des Kunstbildhauers G. A. Knittel in Metz.

Dieses historische Fleckchen Erde, am Ausgange des Dorfes Rezonville gegen Biouville gelegen, hat die „Bereinigung zur Schmückung und fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und Denkmäler bei Metz“ angekauft, um hier unter dem Namen „König Wilhelm Rast“ (18. August 1870, abends 9 Uhr) ein mit Pflanzenschmuck umgebenes Gedenkzeichen zu errichten. Eine kunstvoll aus Vogesensandstein gearbeitete Bank trägt in der Rücklehne ein Bronzereliefbild, das in lebensgetreuer Wiedergabe die Scene verewigt, wie Moltke dem König in Gegenwart von Bismarck, Roon, Podbielski n. a. die letzten Nachrichten von der gewonnenen Schlacht übermittelt. Entwurf und Ausführung dieser Bankanlage sind das Werk des Kunstbildhauers Knittel in Metz.

Unter dem Bilde stehen die Worte, die sich einst der l8jährige Prinz zum Lebensgrundsatz erkor: „Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande,“

goldene Worte, die der Heldengreis am Tage von Gravelotte in bewunderungswürdigem Maße bethätigte.

G. F.

Das Reliefbild der „König Wilhelm-Rast“ bei Rezonville.
Nach Photographien von Notton in Metz.

Ueber Reise- und Marschgeschwindigkeit im Mitttelalter. Wenn wir in den alten Chroniken lesen, daß jemand, der im 12. oder 13. Jahrhundert und später eine Reise von Nürnberg oder Augsburg nach Venedig oder gar nach Rom machen wollte, vorher seine Güter ordnete, sein Testament machte und Leib und Seele Gott empfahl, so lächeln wir und sehen von der Höhe unserer technischen Errungenschaften geringschätzend auf die weit hinter uns liegende Zeit herab. Und doch reiften auch unsere Altvordern für ihre Zeit und die Hilfsmittel, die ihnen zu Gebote standen, entweder auf dem Rücken der Pferde oder zu Wagen, recht schnell, und wie sehr würde uns das Lachen vergehen, wie bald würden wir den Strapazen unterliegen, sollten wir in gleicher Weise reisen wie sie!

Ein deutscher Gelehrter hat nämlich vor einiger Zeit auf Grund der alten Urkunden über die Romfahrten deutscher Kaiser und Könige und der Reisebücher einiger französischer Könige und einiger Päpste, der Bischöfe und anderer hoher geistlicher und weltlicher Herren, sowie aus eingehenden Berichten aus den Kreuz zügen und anderen großen Kriegszügen und Pilgerfahrten damaliges Zeit die Marschgeschwindigkeiten der Massen zu berechnen versucht.

Dabei stellte sich nun heraus, daß die Reisegeschwindigkeit eine recht bedeutende war. Tagesleistungen von etwa 50 km waren ziemlich allgemein, und eine Steigerung bis zu 70 km ist häufig festzustellen.

Wenn man nun bedenkt, daß, um 50 km zu Pferde zurückzulegen, ein Ritt von etwa 10 Stunden notwendig ist, bei 70 km also 14 Stunden, und daß dies Tempo viele Tage nacheinander innegehalten wurde, so niuß man über die Ausdauer der damaligen Reisenden staunen. Die Strecke von Verona bis Brixen z. B. über Ala, Trient und Bozen war eine Biertagetour. Und auf was für Wegen mußten diese Strecken nicht zurückgelegt werden, vielfach eher Saumpfaden ähnlich als Heerstraßen!

Was aber den Kundigen noch mehr überraschen dürfte, ist, daß auch die Marschleistungen ganzer Heere und großer Abteilungen bei weitem nicht kleiner als die unserer heutigen Truppenkörper waren, sondern in vielen Fällen sogar größer, und daß diese hohen Marschgeschwindigkeiten auffallend lange eingehalten wurden, was nicht nur für die Berittenen, sondern auch für die Fußtruppen gilt.

Wir sehen also, daß wir allen Grund haben, auf unsere Altvordern auch in dieser Beziehung nicht geringschätzig herabzublicken, denn sie vermochten in der Ueberwindung von Schwierigkeiten und dem Ertragen von Strapazen viel, viel mehr zu leisten, als wir selbst unter Aufwendung unserer höchsten Energie imstande wären. –t.

Am Neuen See im Berliner Tiergarten. (Zu dem Bilde S. 537.) Der Tiergarten! In ihm verkörpert sich ein merkwürdiges Stück Berlin.

Als ein Riesenpark einst gedacht, in dem der Berliner außerhalb seiner Stadt in der freien Natur Lust und Erholung finden sollte, liegt er jetzt inmitten jenes Berlin, das da neuerstanden ist mit all seinen mächtigen Prunkbauten und eleganten Villen und Zeugnis ablegt von der riesenhaften Entwicklung der Hauptstadt des Deutschen Reiches. Einst eine Stätte außerhalb Berlins, könnte er jetzt als ein Zwischenglied von Altund Neu-Berlin bezeichnet werden. Uud die Wahrzeichen des letzteren ragen in dem alten Tiergarten hervor; seinem Eingang ist Wallots Reichstagsgebäude errichtet, und an seiner Nordseite steigt in militärischer Strammheit die Siegessäule von 1870 71 auf. Mit der Ruhe fern vom Stadtgetriebe ist es aus, die Pferdebahnen, die elektrischen Wagen, sie sausen vorüber an den ehrwürdigen Bäumen, welche ihre Häupter gen Himmel recken, auch sie sind in dem alten Park die Wahrzeichen einer netten Zeit.

Der große Tiergarten mit seinen zahlreichen Alleen, mit seinen Tausenden von Bäumen, er hat nur noch wenige Stellen, in denen der Weltstadtlärm nicht so geräuschvoll aufdringlich zum Ausdruck gelangt; der Neue See am westlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0546.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2023)