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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


schwedische Heerführer, ein. Gesenkten Hauptes, Schutz- und Freibriefe in den Händen, nahen zur Rechten Bürgermeister und Rat vom Marktplatz, während zur Linken von der Kirche St. Georg die Lore mit ihren Kindern singend und betend heranzieht. „Ach, bleib mit Deiner Gnade, bei uns, Herr Jesu Christ,“ flehen die Kinder und halten die Händlein empor zu dem erstaunten Obristen. Seine Rührung bemeistert den Unwillen. Das goldlockige Bürschlein dort neben der jugendlichen Fürsprecherin mahnt ihn an das eigene, eben verlorene Kind, und als dann der Kleine, Gnade stammelnd, die Händlein ihm entgegenstreckt, kann er nicht länger an sich halten. Er läßt sich das Kind aufs Pferd reichen, nimmt es in den Arm, und als er fühlt, daß der Knabe sich an ihn schmiegt, erhört er das Flehen der Kinder, zu denen nun gleichfalls bittend der erste Bürgermeister getreten ist, während der Page die Stadtschlüssel dem Eroberer darbietet. Oberst Sperreut, der das Kind liebreich an sich drückt, verheißt der Stadt „Pardon“. Die Trompeten mit den blaugelben Fähnlein schmettern, und mit diesem Augenblick, den der Maler im Bilde auf S. 545 festgehalten hat, ist das Kinderzechspiel in seiner neuen erweiterten Gestalt zu Ende.

Stadtansichten aus Dinkelsbühl.

Die Pietät der Dinkelsbühler reiht aber in unveränderter Weise den altherkömmlichen Umzug des kleinen Obristen mit seinem niedlichen rotweiß in die Stadtfarben gekleideten Rokokoregiment an. Als heitere Nachhut erscheinen dann mit Blumenkörben und Gewinden die Mädchen, in duftiges, bändergeschmücktes Weiß gekleidet, meist blühende Kränzlein im Haar. Voran die aus Knaben gebildete Negimentskapelle, gleichfalls in rotweißer Uniform, den Dreispitz auf der Puderperücke, marschieren die Kinder zum Marktplatz, wo sie vor der Schranne in weitem Halbkreis Posto fassen. Hoch zu Roß „schenkt“ der kleine Obrist nun „gute Märe ein aus der Stadtgeschichte“. Mit einem Segenswunsch auf Dinkelsbühl, Bayern und den Regenten, Kaiser und Reich schließt der Redner. Die Knaben schwingen, wie unser Bild Seite 541 zeigt, ihrem den städtischen, bayrischen und deutschen Farben prangenden Fahnen und die Mädchen streuen ihre Blumen aus.

Hiermit erst hat der offizielle Teil der Kinderzeche sich völlig abgespielt und der private kommt auf dem Bestwasen in fröhlichem Jahrmarktgetümmel zu seinem Recht.

Wir aber treten noch einen Rundgang um die mit ihren 18 Thoren und Türmen wohlerhaltene Stadtmauer an. Wie lautere Poesie mutet uns dieser unvergleichliche Spazierweg an, der an epheuumrankten Zwingergärtlein, an wettergebräunten Kuppen, grasüberwachsenen Erkern vorbeiführt zum lauschigen Sitz unter einem breitästigen, von Vogelgezwitscher wiederhallenden blühenden Lindenwipfel. Streift der Blick von dort hinab zur Stadtmühle, die gleichzeitig mit der St. Georgkirche erbaut, seit mehr als vier Jahrhunderten im Betrieb steht, oder hinüber zu dem breitspurig und doch zierlich am schilfigen Weiher sich erhebenden Wörnitzthor, so empfindet man den Heimatzauber der echt deutschen Landschaft. In ihrem ganzen Liebreiz thut sie sich auf vor dem Rothenburger Thore, an dem man, wieder in die Stadt einbiegend, Abschied nimmt von der „wonnereichen Wanderung“.




Der Lebensquell.

Erzählung von E. Werner.
(Schluß.)

Der Reichenauer Forst zog sich dicht an der Grenze von Brankenberg hin. Es war ein prächtiger Laubwald, dessen mächtige Baumkronen im Sommer tiefen, kühlen Schatten spendeten; jetzt flutete der Sonnenschein noch hell durch die Zweige, die das erste zarte Laub trugen, er glitzerte zwischen den Stämmen und spielte in goldenen Lichtern auf dem Boden, wo der Waldmeister duftete und allerlei lustiges Frühlingsleben summte und sich regte.

Etwas abseits von dem schmalen Fußwege, der sich durch den ganzen Forst schlängelte, lag ein schattiges Plätzchen. Das grüne Unterholz, das schon reicheres Laub trug, war hier hoch aufgeschossen und in seinem Schutze plätscherte ein kleiner Waldbrunnen, kunstlos in einer Röhre von Baumrinde aufgefangen. Der helle Wasserstrahl sprudelte aus mosigem Gestein hervor, das von blühenden Ranken dicht umsponnen war, und ein Wildrosenstrauch, ganz übersät mit zarten, rosig angehauchten Blüten, neigte sich tief herab auf den einsamen Quell.

Neben den Steinen, auf dem moosbedeckten Boden ausgestreckt, lag Robert Adlau; aber er schien sich wenig um den Forstbestand zu kümmern, den er doch besichtigen wollte. In finsteres Sinnen verloren, blickte er unverwandt in das niederrieselnde Wasser.

Jetzt, wo er allein war und keinem fremden Auge mehr standzuhalten brauchte, trat der Zug verbissenen Schmerzes in seinem Gesichte deutlicher hervor. Sein alter Freund hatte ganz recht gesehen, der Mann konnte noch immer nicht verwinden, was der Jüngling einst verloren hatte; es ließ ihn nicht los. Wohl hatte er geglaubt, es sei vergessen und begraben, als er aus der Ferne zurückkehrte: da kam jene Begegnung und da flammte die alte Jugendliebe hell wieder auf. Jetzt wußte er es freilich, daß sie nicht gestorben war, aber das füllte die Kluft nicht aus, die sich von neuem aufthat zwischen zwei Menschen, die sich einst so nahe standen. Sie hatten es eben verlernt, einander zu verstehen.

Ein Mann wie Adlau war freilich nicht geschaffen, sich in schmerzlicher Sehnsucht zu verzehren; im Gegenteil, er grollte bitter mit der Frau, die ihren Starrsinn so wenig beugen wollte, wie er den seinen, aber vergessen konnte er sie nicht. Was half es, daß er sich in die Arbeit stürzte und sein Brankenberg zu einem ganz neuen Reiche umschuf: er hatte keine Freude daran! In jeder einsamen Stunde regte sich wieder das alte Weh und regte sich um so schärfer, je trotziger er versuchte, es niederzuhalten, es war stärker als er.

Er hatte lange so dagelegen und erinnerte sich nun endlich, daß es Zeit sei, zu gehen. Mit einer unwilligen Bewegung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0542.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2020)