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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

war auch ein Herzenswunsch Jahns gewesen. Das Lied „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“, das er begeistert mitsang, war ihm nicht ein „Wiegenlied“, sondern ein „Weckerlied“. „Wo wäre ein Sängermund, der es nicht gesungen, ein Ohr, das es nicht gehört, und ein deutsches Herz, so es nicht empfunden,“ schrieb er 1850. Damals aber standen die „Wecker“, im Stich gelassen, „allein, nur mit Vertrauen auf Gott und ihr Recht, was die letzten vier Jahrhunderte hindurch gegolten.“

Und dann kam das Jahr 1866 und der Austrag zwischen Oesterreich und Preußen. Welche Schwierigkeiten Bismarck zu besiegen hatte, um Oesterreich einen ehrenvollen Frieden zu sichern und damit den Grund zur Versöhnung zu legen, darüber möge man in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ nachlesen. Auch hier verdient eine Aeußerung Jahns in seinem „Deutschen Volkstum“ eine Erwähnung. Er gedenkt des siebenjährigen Kampfes zwischen Oesterreich und Preußen und des darauffolgenden Friedens und schließt mit den Worten: „So balgen und raufen sich Jugendgespiele und felsenfest steht dann die Männerfreundschaft auf der frühgefühlten gegenseitigen Kraft.“

Darauf das Jahr 1870!

Jahn hatte in den „Werken zum Deutschen Volkstum“ 1833 geschrieben: „Wir haben mit Frankreich noch eine alte Rechnung abzuthun, es hat nichts von uns, wir haben noch viel von ihm zu fordern. Sollte aber der Geist der Eroberungen und die Sucht zur Ueberziehung wieder aufleben, und die Franzosen das linke Rheinufer begehren, so sei unser Feldgeschrei: Deutschland und Elsaß!“

Wie Jahn vorausgesagt, war Preußen der Vorkämpfer Deutschlands geworden, und die Saat, die 1848 und 1849 gesät worden, war aufgegangen und hatte herrliche Früchte getragen.

An Jahn wurde Fürst Bismarck erinnert durch dessen 1813 mit ins Feld gezogenen treuen Begleiter, den Oberjäger Dürre. Jahn, der im Lützowschen Korps ein Bataillon führte, war während des Waffenstillstandes 1813 in Schönhausen einquartiert, und zwar in einem Bismarckschen Schlosse. Lange hielt man dies Schloß für des Reichskanzlers Stammhaus. Da aber noch ein anderes den Bismarck gehöriges Schloß in Schönhausen sich befand, wurde man unsicher, welches das Stammhaus sei. Dürre hatte die Herrin des Schlosses, in dem Jahn nicht einquartiert war, kennengelernt und war entzückt von der schlanken, reizenden und bei aller Freundlichkeit doch eine große Bestimmtheit in ihren Zügen tragenden Frau. Um nun sicher zu gehen, schrieb Dürre am 18. Februar 1873 an den Fürsten, erzählte ihm von seinem damaligen Aufenthalt in Schönhausen und erlaubte sich die Anfrage, ob jene Dame seine Mutter gewesen sei oder nicht. Bismarck schaltete in die Briefstelle die Worte ein: „Es war meine Mutter und ich freue mich, daß sie in gutem Gedächtnis lebt.“

Er sandte Dürre seinen Brief mit einigen Korrekturen und folgendem Begleitschreiben zurück:

„Ew. Wohlgeboren haben die Güte gehabt, mir in Ihren Erinnerungen aus Schönhausen ein von Ihrem Gedächtnis so wohl bewahrtes Bild meiner Heimat und meiner Verwandten zu übersenden, daß ich mit lebhaftem Interesse diese Reminiscenzen aus dem Jahre 1813 gelesen habe. Einige eigenhändige Notizen und Berichtigungen, sowie die Antwort auf die Fragen Ihres Briefes habe ich mir erlaubt, Ihren anliegend zurückerfolgenden Notizen hinzuzufügen. Ich sage Ihnen meinen verbindlichsten Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit und wünsche, daß Sie noch lange ein lebender Zeuge der großen Zeit unserer Väter bleiben mögen. v. Bismarck.“     

Das bedeutsamste und erfreulichste Zeugnis von Bismarcks Verhältnis zu dem von Jahn begründeten Turnen bietet aber ein Bericht der Lübecker Turnerschaft von einer Turnfahrt nach Friedrichsruh am Himmelfahrtstage 1893.

Auf geschehene Anfrage hatte der Fürst sich bereit erklärt, die Turner zu empfangen. Sie kamen zur bestimmten Stunde: Männer und Knaben in großer Zahl. Auf die Ansprache des Vorsitzenden des Vereins, Kaufmann J. H. P. Evers, erwiderte der Fürst folgendes:

„Ich danke Ihnen herzlichst für die freundliche Begrüßung und sehe in Ihnen und allen Turnern Mitarbeiter auf dem Felde nationaler Arbeit. Ich bin auch in einer Turnerschaft in Berlin gewesen bei Jahn[1] und Eiselen. Arndt stand auch in Verbindung damit. Da ging’s hart her mit dem Stoßfechten. Das hat bei den leinenen Hemden zuweilen nicht wohlgethan, aber es hat gekräftigt, wie überhaupt die Turnerei die Nationen auch in ihrem geistigen und politischen Leben hebt. Die Völker, die körperlich zurückgehen, bringen das Verlorene auch geistig nicht wieder ein. Im klassischen Altertum pflegten die Hellenen die körperlichen Uebungen in hohem Maße. Mens sana in corpore sano.[2] Unsere germanischen Vorfahren, die Wandalen, sind nach ihrem Zuge nach Nordafrika auch nicht so kräftig geblieben.

Wenn wir auch manchmal hier über den Nordwind klagen; würden wir das Klima von Neapel haben, so wären wir körperlich nicht so kräftig geblieben. Ich erinnere Sie an die Normannen, auch sie sind im Süden nicht so kräftig geblieben, trotzdem sie ein durchaus kräftiger nordischer Stamm waren. Wir dürfen unserm Gott dafür danken, daß dieses Klima unsere körperliche und geistige Energie in fortwährendem Kampfe erhält. Ich wollte nur motivieren, inwiefern die Turnerei mitgewirkt hat als Trägerin des deutschen nationalen Gedankens. Wenn auch die Burschenschaftler sich mehr den Büchern zuwenden, so ist doch die Turnerei geblieben und immer kräftig geübt worden. Die deutsche Turnerschaft ist es mit gewesen, welche das nationale Gefühl gepflegt hat, und ich glaube, wir leben in einer Zeit und gehen einer Zeit entgegen, wo jeder solcher Beitrag aus der Nation nur dankbar anerkannt werden kann. Ich freue mich infolgedessen, daß ich Sie begrüßen kann, und bitte Sie, einzustimmen in ein Hoch auf die deutsche Turnerschaft als Trägerin des deutschen Einheitsgedankens.“

Freudig stimmten die Turner ein. Fürst Bismarck ging nun die Reihen entlang und richtete an manche, auch die Knaben, freundliche Worte. Als er Abschied nahm, wurde ihm ein Hoch ausgebracht. Er grüßte dankend und wollte sich entfernen. Da wurde das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles“ angestimmt. Der Fürst blieb stehen, wandte sich wieder um und hörte entblößten Hauptes das Lied bis zu Ende an. –

Zu den Ehrengaben, die Fürst Bismarck 1895 zu seinem achtzigsten Geburtstage dargebracht wurden, gehört auch eine Spende der deutschen Turnerschaft. Sie besteht aus einer in Eichenholz geschnitzten Votivtafel von ungefähr 3/4 m Höhe und Breite, gekrönt durch ein goldenes Turnerkreuz auf rot und weißem Grunde. Auf der runden Silberplatte darunter steht der Schluß von Jahns Schwanenrede: „Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenrot meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft, und ist jetzt der Abendstern, der mir zur ewigen Ruhe winkt.“ Darunter befindet sich ein großer vergoldeter Silberkranz, der die Worte umrahmt: „Dem Schöpfer der deutschen Einheit und unseres deutschen Vaterlandes in treuer Dankbarkeit die Deutsche Turnerschaft.“ An beiden Seiten befinden sich von Silberbändern umschlungene geschnitzte Säulen mit den Namen der Kreise und der Kreisvertreter und denen der Ausschußmitglieder.[3]

Da die Votivtafel nicht persönlich überreicht werden konnte, sandte Anfang Juli 1895 Dr. Goetz sie an Dr. Chrysander mit einem Begleitschreiben, um beides dem Fürsten zu übermitteln.

Die Antwort des Fürsten erfolgte am 15. Juli. In ihr bezeichnete er das Ehrengeschenk als eine der wertvollsten Geburtstagsgaben. Sie werde mit ihrer kunstreichen Einfassung eine dauernde Zierde der Sammlung von Andenken sein, welche er in Schönhausen eingerichtet habe, wo der Name des Turnvaters Jahn und der Lützower noch heute in guter Erinnerung stehe vom Jahre 1813 her. Er bedauerte, daß sein Gesundheitszustand ihm nicht gestatte, die Herren persönlich zu begrüßen, hoffte aber auf spätere Zeiten, um seinen aufrichtigen Dank persönlich wiederholen zu können. –

Als in Hamburg im vorigen Jahre das Deutsche Turnfest gefeiert wurde, hofften viele Turner, den Fürsten sehen zu können. An demselben Abend aber, an dem das Fest mit der Preisverteilung geschlossen wurde, ist er gestorben. –

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0539.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)
  1. Das ist ein Irrtum des Fürsten Bismarck. Als er turnte, war Jahn nicht mehr in Berlin.
  2. Gesunder Geist in gesundem Körper.
  3. Eine Abbildung der Votivtafel enthält die „Deutsche Turnzeitung“, Jahrgang 1895, und das Encyklopädische Handbuch des gesamten Turnwesens, herausgegeben von C. Euler, III. Bd., S. 339.