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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Er brachte den Satz nicht zu Ende, weil er wieder gähnte.

„Armer Friedrich!“ sagte Hans mit seinem gutmütigsten Lächeln und legte dem Märtyrer eine seiner großen Hände auf die Schulter. – „Wo ist denn aber jetzt die ganze Gesellschaft?“

„In der Villa Eberhard; da war heut nachmittag große Quadrille. Nämlich auf dem Wasser; die Villa Eberhard hat einen kleinen See, den haben wir nicht. Nun werden sie aber wohl nach Hause kommen …“

Friedrich sah auf seine Uhr und nickte.

Hans warf sich auf einen Stuhl, vor Aufregung. „Quadrille auf dem Seel – Lebende Bilder! – Himmeldonnerwetter, und ich wieder aufs Land!“

Der Diener sah ihn schweigend an; sein kluges Gesicht war nun wieder musterhaft verschlossen. Ja, hätt’ ich nur dein Pferd! dachte er. Und könnt’ ich aus dieser Fidelität hinausreiten, zu meinem gnädigen Herrn!

„Hans!“ rief jetzt eine helle, angenehme Stimme. In der offengebliebenen Thür des Gartensaals erschien die Tante Clotilde; die noch jugendlich schlanke, schöne Gestalt, in einem reizenden Ruderkostüm, ein Matrosenhütchen auf dem Kopf, einen glitzernden Orden an der Brust, winkte mit der Hand. Hans sprang auf, ihr entgegen; sie kam aber schon heraus, mit den raschen, herzhaften Bewegungen, die er an ihr liebte. „Na, Landjunkerchen?“ sagte sie gemütlich lächelnd, als sie vor ihm stand, und gab ihm die Hand. „Sieht man dich einmal? – Ich entdeckte dich eben, als ich in den Saal trat; da schlug mir das Tantenherz, und ich bin den andern weggelaufen.“

„Beste aller lebenden Tanten!“ entgegnete Hans; es war seine ehrliche Meinung. Er staunte sie eine Weile an: wie jung und wie hübsch sie noch war mit ihren fünfunddreißig Jahren. Dann küßte er ihr die Hand.

„Ach du lieber Gott!“ rief sie nun aus, da sie dem herangetretenen Friedrich in das farblose, müde, schlaffe Gesicht gesehen hatte; auch sein verstohlenes Gähnen unterwegs hatte sie bemerkt. „Armer Friedrich! Was für ein Bild des Jammers. Mund auf, Augen zu!“

Friedrich wehrte ihr Mitleid ab. „Ach ne, gnädige Frau, es ist nicht so schlimm –“

„Sie sind ja hoffnungslos müde, Friedrich!“

Er schüttelte den Kopf.

„Mein gutes Herz, leugnen Sie doch nicht. – Sie halten dieses Leben nicht aus. Ich hab’s schon gefürchtet. Na, und jetzt verwünschen Sie mich!“

Friedrich widersprach mit Händen und Füßen. Er hing an seiner gnädigen Frau, er war auf seine Weise verliebt in sie. Seine verneinenden Bewegungen wurden so leidenschaftlich, daß Hans plötzlich auflachte; Clotilde lächelte.

„Es geht ja auch ziemlich toll bei uns zu!“ sagte sie in ihrer drolligen Aufrichtigkeit. „Wird ja aber anders werden, Sie Armer, früher oder später. Jetzt sollen Sie schlafen; machen Sie, daß Sie fortkommen. Gehn Sie in Ihr Zimmer, legen Sie sich hin!“

„Um Gottes willen,“ erwiderte Friedrich und wand sich, „liebe gnädige Frau! Machen Sie mich nicht zum Kinderspott!“

„Ich brauch’ Sie jetzt nicht.“

„Aber vielleicht Frau Morland, oder –“

„Niemand, niemand. Wenn ich’s Ihnen sage. Gehn Sie! Ich will es!“

Ihre braunen Augen blitzten ihn so liebenswürdig herrisch an, daß er sich wohl fügen mußte. Er zuckte aber die Achseln: „Schlafen werd’ ich doch nicht –“

„Na, dann ruhen Sie!“ fiel sie ihm ins Wort. Sie nahm ihn mit beiden Händen und schob ihn sanft dem Hause zu. „Fort, fort, fort!“

Friedrich ging, mit unterwürfig gesenktem Rücken; in den Schultern rührte sich aber noch der letzte Trotz. Ach ja, wenn sie nicht so gut wäre, dachte er, indem er ins Haus trat. Aber was will man machen; ihr Herz ist zu gut!


3.

Clotilde blickte ihm mitleidig nach; dann stieß sie einen leisen Seufzer aus und ging auf die Laube zu. Sie ließ sich auf denselben Sessel fallen, auf dem vorhin Friedrich geschnarcht hatte. „Ah!“ seufzte sie noch einmal. „Müde bin ich auch. An allen Gliedern.“ Sie sah das „Landjunkerchen“ komisch wehleidig an. „Hans! Hans! Ich werd’ alt!“

Hans lächelte nur. – „Ihr kommt eben von der Ruderpartie?“

Sie nickte.

„Siehst du diesen verrückten Orden hier? Den hat mir der Schwager Morland angeheftet; ’s ist der Ruderpreis. Ja, du glücklicher junger Mensch, deine Tante hat sich ausgezeichnet! Als Führerin ihres Seelentränkers, bei der großen Quadrille –“

„Seelentränker!“ unterbrach er sie. „Was ist das?“

„Das weiß nun wieder Hänschen nicht. Ach, du unschuldiger Krautjunker! – Was ein Seelentränker ist? Hast du noch nie so ’ne Nußschale gesehn? Eine Nußschale für einen Menschen, mit einem Ruder, das man so hin und her schlägt, nach rechts und nach links – das ist ein Seelentränker; und frag mich nicht, was das Wort bedeutet, denn ich weiß es nicht. Sitzend liegt man drin – verstehst du – wie ein Kind auf einem Riesenblatt der Victoria Regia; und wie in einem Traum schwimmt man dann dahin …“

Clotilde, die Todmüde, sprang auf; alle ihre Glieder fingen an zu sprechen. „Nun kommen sie aber von allen Seiten heran, verstehst du, diese schwimmenden, bunten Blätter; auf jedem rudert ein Herr oder eine Dame. Und alle rudern aufeinander zu, wie um sich in den Grund zu bohren; dann – auf ein Kommando – wieder alle zurück, pfeilschnell auseinander. Dann alle im Kreise herum, langsam, wie Schwäne hintereinander her. Nun in zwei Reihen senkrecht aufeinander, ein großes schwimmendes Kreuz; und nun Paar an Paar – wachsen zusammen, verstehst du – wachsen auseinander – fliehen sich, finden sich – wie Libellen, die über dem Wasser tanzen. Endlich, wenn es keine Figur mehr giebt, die man nicht gemacht hat, dann salutiert man mit dem Ruder – feierliche Verneigung – aus ist’s.“

Sie sank wieder auf ihren Stuhl und fächelte sich mit ihrem Taschentuch. „Siehst du, mein Sohn, das ist die Quadrille!“

Hans schüttelte bewundernd den Kopf. Dann seufzte er vor Aufregung. „Und ich draußen, als Stoppelhopser!“

„Natürlich,“ sagte Clotilde mit mütterlichem Ernst; „das ist ja dein Beruf! – Na, wie schlägt dir’s an?“

„Danke,“ erwiderte er und setzte sich auch. „So, so. Das landwirtschaftliche Studium, weißt du, das war lustiger; aber ich mußte ja endlich gründlich ins Praktische hinein, und dafür bin ich auch mehr gemacht, als für die Studia. Der Inspektor, unter dem ich als Volontär diene, ist ja leidlich zufrieden.“ Er lächelte treuherzig: „Für ein großes Licht scheint er mich zwar nicht zu halten –“

Clotilde zuckte heiter die Achseln.

„Er behandelt mich aber mit Achtung; sehr nett. Uebrigens soll ich dir vorläufig von ihm sagen, daß er sehr gerührt ist: du hast ja seiner Frau eine ganze Apotheke geschickt.“

„Wird sie besser?“

„Ja; sehr. – Er ist doppelt gerührt, sagt er, daß du bei deinem großstädtischen, ruhelosen Leben –“

Clotilde, die sich plötzlich verfinsterte, machte eine ungeduldige Bewegung, so daß er verstummte. Das hätt’ ich wohl nicht sagen sollen, fuhr ihm durch den Kopf. Das war wohl recht dumm!

Sie ward indessen schnell wieder heiter; in ihrer reizend leichtlebigen, raschen Art, die ihm so gefiel. „Na, und du?“ fragte sie, als hätte er das andre zu Ende gesprochen. „Hast dich von deiner letzten Verliebung erholt?“

„Ja,“ erwiderte er vergnügt. „Das ist vorbei. Da hatt’st du wieder mal recht, Tante; wie immer. Die hätt’ nicht für mich gepaßt.“

Clotilde nickte zustimmend.

„Nein,“ bekräftigte er lächelnd, „das war eine Dummheit. – Das ist ganz vorbei!“

„Junge,“ sagte Clotilde, die ihn mit den klugen Frauenaugen forschend betrachtete, „du ängstigst mich. ,Das ist vorbei’ … Du sprichst ja, wie wenn schon wieder etwas andres – –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0535.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2022)