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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Ich danke Ihnen sehr,“ sagte Susanne, „ich bin hier ganz fremd. Ich würde ja kaum Tänzer finden. Ich bleibe bei Sabine.“

„Der Ressourceball ist eine sehr noble Festlichkeit,“ sprach der Oberamtmann, „die feinsten Leute aus der Stadt und Landschaft lernen Sie da kennen. An Tänzern ist nie Mangel. Die Offiziere von den anderen beiden Bataillonen aus der Nachbargarnison kommen auch. Sie könnten mit Voigtstedts und Reinald gehen. Die Voigtstedt bemuttert Sie gern. Das ist auch eine nette Frau.“

„Gewiß,“ sagte Sabine bevormundend, „sie nimmt es an. Sie geht mit. Wir wollen nachher gleich sehen, ob wir eins von meinen Kleidern umändern können.“

Susanne wollte sich wehren. Sie verstand Sabine nicht. Aber ein beredter Blick derselben ließ sie schweigen. Kaum waren sie allein, so überhäufte sie Sabine mit Vorwürfen.

„Das geht zu weit! Was soll ich da? Mich tödlich mopsen? Beinah’ kann es ja komisch werden! Wozu dies nun wieder?“ fragte Susanne.

„Was du da sollst? Ganz einfach. Wenn wir morgen und weiter wie Gefangene hier sind und immer keine Möglichkeit kommt, daß du zu Achim gehen kannst, dann wirst du ihn auf dem Ball sehen. Wenn er aus der Liste weiß, daß ich nicht da sein werde, kommt er sicher. Es ist alter Höflichkeitsbrauch der Offiziere gegen die hiesige Gesellschaft, nicht zu fehlen. Der Major hält streng darauf.“

Susanne wurde rot.

„Aber ich kann ihm doch auf dem Ball nicht solche Sachen sagen!“

„Nein. Aber mit drei Worten ihm sagen: ich muß Sie morgen vormittag da und da sprechen – das kannst du!“

Susanne machte keine Einwendungen mehr.

Die folgenden Tage gingen mit allerlei Schneiderarbeit hin. Sie gab den beiden Vorwand, viel hinten in Sabinens Stube zu sein und zuweilen zusammen auszugehen, um Besorgungen zu machen. Dabei lernte Susanne das Haus kennen, wo Achim wohnte. Aber allnachmittäglich schien sich das Schicksal förmlich gegen sie verschworen zu haben; es ward ihnen immer unmöglich gemacht, ihren Plan auszuführen.

Endlich, am fünfzehnten, drei Tage vor dem Ball, schlug es fünf Uhr, ohne daß ein Nachmittagsbesuch gekommen wäre.

„Wir gehen noch eben zu Weiler,“ sagte Sabine, „in den Ausschnitt von Susannens Kleid müssen noch Spitzen.“

„Die laufen sich was zurecht wegen des Kleides,“ sprach der Oberamtmann hinter ihnen her, „ja, ja, was man nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben.“

„Laß sie nur,“ meinte die Oberamtmännin milde, „sie haben doch wenigstens nun was vor, was sie beschäftigt.“

Zitternd und hochatmend standen sie auf der Straße. Am dunkelblauen Nachthimmel flimmerten und fackelten die Sterne so sonderbar. Auf dem festgetretenen Schnee knirschte jeder Schritt. Unter Küps’ Fenster, im Schein der Ladenbeleuchtung, glitt auf klappernden Pantoffeln eine Schar von Kindern dahin, die hatten sich da eine Glitschbahn gemacht und schrieen vor Vergnügen.

Aus den Wohnungen kam durch herabgelassene Rouleaus sanftes Licht. Manchmal bewegten sich Menschenschatten dahinter.

Eine schwarze Katze lief über den Weg. Fern bimmelte eine Hausthürglocke hell und lang’.

Schweigend und frierend hasteten die beiden vorwärts.

Einmal begegnete ihnen ein Offizier, die Hände in den Paletottaschen, die Nase in dem hochgeschlagenen Kragen.

Mein Gott – wenn er es wäre! Wenn er nicht zu Hause wäre?!

Aber er war es nicht.

Und nun standen sie auf dem linken Bürgersteig der Straße. Rechts, drüben, ein Streckchen weiter hinauf, leuchtete aus seinen beiden Fenstern das Licht.

„Er ist da! Gottlob!“ sagte Sabine wie erlöst. Daß er da, aber etwa nicht allein sein könne, fiel weder ihr noch Susanne ein. Es schien, als ob in all der fortgesetzten, wochenlangen Aufregung ihre gesunden und klaren Gedanken aus der Bahn geworfen worden wären. Sie lebten so im Ungewöhnlichen, daß ihnen das Gewöhnliche ganz aus dem Blick gerückt war.

„Ich kann es doch nicht!“ sprach Susanne plötzlich, „ich kann ihn nicht wiedersehen!“

Sabine griff nach ihrem Arm.

„Wie,“ raunte sie leidenschaftlich, „du willst mir wortbrüchig werden? Auch du? Seit Wochen habe ich nur gelebt für diesen Augenblick! Und nun willst du feige …“

„Gut. Ja. Ich gehe,“ stieß Susanne hervor.

„Ich warte. Ich gehe auf und ab.“

Ihre Stimmen waren ganz heiser.

Susanne lief über den Fahrdamm, ging unter seinen Fenstern hin und öffnete die Hausthür. Die hatte eine neue Glocke, die zweimal tönend und durchdringend anschlug, einmal beim Oeffnen, einmal beim Zuschlagen der Thür. Die beiden Töne hatten für Susannens Ohr betäubende Gewalt. Der Schreck ließ sie besinnungslos vorwärts handeln. Sie klopfte an die Thür gleich rechts.

„Herein!“

Und sie stand drinnen, sich mit der Linken an den Thürpfosten klammernd, das Haupt nach links geneigt, als brauche sie eine Stütze.

Achim sprang auf. Er hatte am Tisch gesessen und geschrieben, im Lichtkreis der Lampe lagen allerlei Papiere.

Er glaubte nicht, was er sah ……

Atemlos, furchtsam, mit großen blauen Augen unter dem Pelzmützchen stand da Susanne?

War sie es wirklich?

Und eine Freude wallte in ihm auf, eine Freude, deren Kraft und Tiefe ihn selbst überraschte.

„Susanne – Fräulein Susanne!“

Aber die Freude flutete zurück, wie sie gekommen war: in jäher Wallung. Und ein namenloser Schreck machte ihm die Wange fahl.

Sie hier! In seiner Wohnung! Welch rührende Thorheit! Welcher Leichtsinn – der Leichtsinn eines reinen unbefangenen Herzens.

Wenn, jemand käme?!

War ein Unglück geschehen?

Er trat auf sie zu und nahm ihre rechte Hand.

„Mein liebes und teures Fräulein,“ sprach er mit bebender Stimme, „Sie kommen zu mir?! Wohl in außerordentlicher Veranlassung. Aber welcher Art diese auch sei – sagen Sie schnell, schnell, was Sie zu sagen haben!“

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn immerfort an.

Alle Reden waren fertig gewesen, jedes Wort, das gesagt werden sollte, in langen Beratungen mit Sabine festgestellt. Und, nun war alles weg. Sie konnte nichts sagen. Kein Wort.

Das klaräugige Mädchen! dachte Achim und wußte nicht, wie ihm in diesem angstvollen Augenblick das Wort des alten Herrn einfallen konnte. Aber sie sah ihn auch so an: so groß, so bang, so staunend.

„Kommen Sie aus eigenem Antrieb?* fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

„Mit einem Auftrag von … von …“

Der Name schien ihm nicht recht von den Lippen zu wollen.

Aber Susanne nickte heftig.

Achims Züge verfinsterten sich. Er hatte ein Gefühl von Zorn gegen Sabine: wie konnte sie, die erfahrene Frau, das junge Mädchen dazu bestimmen, in die Wohnung eines Offiziers zu gehen.

„Was will sie von mir?“ fragte er.

Susanne kam näher an den Tisch.

„Etwas, was vielleicht schwer zu erfüllen ist, denn wir wissen ja recht gut, daß ein Offizier sich nicht immer nur so hin und her versetzen lassen kann,“ hob sie nun leise an. „Sie möchten fortgehen.“

Der Ernst auf Achims Gesicht ängstigte sie. Er würde sicher böse werden. Aber er sagte ganz ruhig:

„Daß Mühlau ein zu kleiner, Ort ist für zwei Menschen, die sich besser nicht mehr begegnen, habe ich mir längst gesagt. Wollen Sie, bitte, Sabine bestellen, daß ich durch persönliche Bemühungen und dank meiner Verbindungen es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0519.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2021)