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überreden, aber nun gab es wieder eine Scene mit Elfriede, die, als sie von seiner Teilnahme hörte, die ihrige entschieden verweigerte. Sie wich schließlich nur der Vorstellung, daß das als eine Art Flucht gedeutet werden könnte.

Zuletzt kam noch die schwerste Aufgabe, Herrn Wellborn abzuschütteln.

Das hatte auch Mühe gekostet, war aber leider nicht gelungen. Ferdinand Wellborn war überall, erfuhr alles; er erfuhr auch von diesem Ausfluge, den man ihm verheimlichen wollte, und stellte sich pünktlich beim Aufbruch ein, aber mit einer Kassandramiene. Er kam als Warner – sein Wetterglas hatte wieder einmal trübe Ahnungen. Jedenfalls war es gefährlich, sich bei solchen Anzeichen in das Innere zu wagen. Der Geheimrat fand das auch und redete ihm eifrig zu, zurückzubleiben, aber umsonst. Als der junge Mann sah, daß seine Warnungen nichts fruchteten, beschloß er opfermütig, das Schicksal seiner Reisegefährten zu teilen. Er setzte sich auf das erste beste Maultier, vorsichtshalber nahm er jedoch sein Wetterglas mit, das unter anderen ungewöhnlichen Eigenschaften auch die besaß, daß es jede Bewegung und jeden Ortswechsel vertrug.

Natürlich war Herr Wellborn heut’ wie immer an seinem gewohnten Platz, an der Seite der jungen Frau. Die beiden waren stets voran, und Adlau machte gar keine Miene, sie einzuholen, sondern ritt im langsamsten Schritt neben dem alten Herrn.

„Sie sind mir doch nicht böse, Robert,“ begann jetzt Rottenstein, „daß ich Sie für heut’ noch in Beschlag nahm, aber morgen, am letzten Tage Ihres Hierseins, gehören Sie ja doch ganz Ihrer Familie, und wir sehen uns schwerlich vor dem Frühjahr wieder.“

„Vielleicht auch dann nicht einmal. Wenn Sie erst in Aegypten sind, ist es eigentlich nur eine Spazierfahrt nach Indien hinüber, und von da nach China ist’s auch nicht weit. Es wurde ja vorhin bereits eine Reise um die Erde in Vorschlag gebracht.“

„Ja, von Wellborn, der heut’ wieder einmal das Blaue vom Himmel herunter schwatzt. Aber mit der Idee findet er doch keinen Anklang bei meiner Tochter, denn in dem Falle streike ich, trotz aller Vaterliebe! Das weiß Elfriede.“

Adlaus Blick richtete sich mit einem eigentümlichen Ausdruck auf die Voranreitenden, dann zuckte er spöttisch die Achseln.

„Ich glaube kaum, daß auf Ihre Teilnahme dabei gerechnet wird. Den Schwiegervater nimmt man gewöhnlich nicht mit auf die Hochzeitsreise.“

„Schwiegervater? Hochzeitsreise?“ Der alte Herr ließ vor Schreck den Zügel fallen. – „Sie meinen?“

„Ich meine, daß dieser junge Herr da vornan ganz plötzlich einmal vor Ihnen stehen wird, um den väterlichen Segen zu erbitten.“

Der Geheimrat sah ganz entsetzt aus; er hatte nie auch nur entfernt daran gedacht, daß die allerdings sehr augenfälligen Huldigungen des jungen Fabrikherrn einen ernsteren Hintergrund haben könnten. Das fehlte noch, daß er die Gelegenheit benutzte, die man einem anderen geben wollte!

„Sie scherzen,“ sagte er halb unwillig, halb ängstlich. „Da traue ich meiner Tochter denn doch einen besseren Geschmack zu. Sie wird doch nicht einen solchen Schwachkopf –“

„Bitte, Sie unterschätzen den jungen Mann,“ fiel Robert ein. „Sie ahnen gar nicht, was sich in dieser Tiefe birgt. Die Fabrik, die ihm sein Geld eingebracht hat, verachtet er als höchst trivial und will sich ganz und gar höheren Richtungen zuwenden. Er will berühmt werden und mit seinen Werken die ganze Welt in Erstaunen setzen, wie er mir neulich anvertraute. Vorläufig leistet er sich eine Reisebeschreibung. Er wollte mir absolut das erste Kapitel vorlesen, das er immer mit sich herumschleppt, ich habe aber nachdrücklichst dafür gedankt.“

Der Spott dieser Worte hatte doch einen etwas herben Beigeschmack, aber Rottenstein achtete nicht darauf. Das drohende Gespenst dieses so ganz unerbetenen Schwiegersohnes, das da plötzlich vor ihm auftauchte, raubte ihm alle Fassung. Er traute freilich seiner Tochter einen derartigen Geschmack nicht zu, aber er kannte auch den Starrkopf seiner Friedel, die sich schon einmal aus Trotz zu einem Jawort hatte hinreißen lassen.

Inzwischen ritt Wellborn ahnungslos an der Seite seiner Dame und erschöpfte sich in Aufmerksamkeiten, die heut’ besonders gnädig aufgenommen wurden. Endlich war das Ziel erreicht, ein kleiner, hochgelegener Bergort, malerisch und armselig wie die meisten in der Umgegend. Aber die Unterkunft in dem häufig von Fremden besuchten Wirtshause war leidlich, und selbstverständlich wurde hier eine mehrstündige Rast gemacht.

Nach einem in Anbetracht der Verhältnisse ganz annehmbaren Frühstück wandte man sich nach dem eigentlichen Aussichtspunkte, der, noch eine Strecke entfernt, am Ausgange des Dorfes lag.

Dort, auf einem felsigen Abhange, wo ein einsames, halb zerfallenes Gehöft stand, öffnete sich ein weiter und umfassender Ausblick über den schönsten Teil der Insel. Der Punkt war in der That herrlich. Adlau, der mit dem Fernglase in der Hand die Landschaft musterte, nannte dem Geheimrat die einzelnen Ortschaften und Berggipfel, da Herr Wellborn mit seinem unvermeidlichen Reisebuche anderweitig in Anspruch genommen war. Er half der gnädigen Frau, die ihr Skizzenbuch mitgenommen hatte, einen geeigneten Platz zum Zeichnen aussuchen. Als man endlich die Wahl getroffen hatte, breitete er mit der äußersten Sorgfalt seinen Plaid über die Steinmauer, um einen bequemeren Sitz zu schaffen. Rottenstein sah in stiller Verzweiflung zu, er hatte schon verschiedene, aber ganz erfolglose Versuche gemacht, den Diensteifrigen von der Seite seiner Tochter wegzubringen, – da auf einmal kam ihm ein rettender Gedanke.

„Bitte, Herr Wellborn, um ein paar Worte, ich möchte Sie etwas fragen!“ Damit faßte er den jungen Mann ohne weiteres beim Arm und zog ihn einige Schritte seitwärts, während er mit gedämpfter Stimme fortfuhr: „Was muß ich denn da von Adlau hören! Sie stellen sich uns ganz bescheiden als Fabrikbesitzer vor, und dabei sind Sie Schriftsteller, werden ein großes Reisewerk veröffentlichen, ein berühmter Mann werden – und das erfährt man erst jetzt nach wochenlanger Bekanntschaft!“

Herr Wellborn sah unendlich geschmeichelt aus bei diesem Vorwurf, aber er erwiderte stolz bescheiden:

„Das ist vielleicht noch verfrüht – die Berühmtheit meine ich – ich beabsichtige allerdings – das Werk ist nämlich noch nicht geschrieben.“

„Ja, das sagte mir Adlau, aber er sprach doch von einem Manuskripte, das Sie ihm vorlesen wollten.“

Wellborn nahm eine tiefbeleidigte Miene an. „Ich wünschte allerdings seine Kritik über das erste Kapitel – ich habe natürlich bis jetzt nur unsere Seereise und Korfu behandelt – aber er nahm das sehr merkwürdig auf, durchaus ablehnend, man möchte beinahe sagen – grob!“

„Das sieht ihm ähnlich, er kann ja stellenweise recht grob sein,“ gab der Geheimrat zu. „Aber das ist bei ihm nur äußerlich, er hat trotzdem sehr eingehend mit mir darüber gesprochen, und ich interessiere mich ungemein für solche Dinge. Da könnten Sie ja –“ er zögerte doch einen Augenblick, in der dunklen Vorahnung dessen, was er damit auf sich herabzog, vollendete dann aber opfermutig: „Da könnten Sie es ja mir vorlesen.“

Das Gesicht des angehenden Schriftstellers verklärte sich förmlich bei diesem Vorschlag.

„Herr Geheimrat – Sie wollen es kennenlernen?“

„Selbstverständlich – aber hier wird das nicht angehen. Meine Tochter hat jetzt nur Sinn für ihre Skizze und Adlau ärgert Sie am Ende wieder mit irgend einer rücksichtslosen Bemerkung, er scheint mir heute sehr kritisch angelegt. Kommen Sie, wir gehen nach dem Wirtshause zurück, da sind wir ganz ungestört.“

Wellborn zögerte, er hätte es offenbar vorgezogen, auch Frau von Wilkow als Zuhörerin zu haben, aber die letzte Bemerkung entschied. Er hatte keine Lust, nochmals die „stellenweise Grobheit“ des Hinterwäldlers auszuhalten, und willigte deshalb ein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0503.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2021)