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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Begrüßung des Prinzen von Wales, wie dieser den Maharadscha von Dschaipur im Jahre 1876 besuchte.

Nicht dem dschungelbeherrschenden Königstiger gilt der heutige Jagdzug. Wohl eilen die Jäger, die Schikari, wilde Gesellen mit ausgesucht struppigen Bärten, jauchzend und schreiend hinter dem Zuge her. Ausstaffiert mit seltsamen Filzhüten, phantastischen grauen oder grünen Gewändern, auch wohl in rauhen Fellen oder gestickten Kollern aus Büffelleder, schwingen sie lebhaft ihre Lanzen mit silbernen Spitzen und lassen den Goldbeschlag ihrer Schilde aus durchsichtiger Rhinoceroshaut im Sonnenschein funkeln. Doch heute fehlen die Jagdelefanten, von deren Rücken die hochgeborenen Schützen aus bequemem silbernen „Haudah“-Pavillon die anspringende Bestie niederzuschießen und schließlich das Zeichen zu geben pflegen, daß der Rüsselträger den erlegten Tiger triumphierend in die Luft emporschwingt, ehe die Beute in die Stadt geschleift wird.

Aber ein anderes Mitglied des Katzengeschlechts hat heute eine Rolle zu spielen, als Jagdgehilfe, nicht als Jagdopfer.

In hurtigem Trabe schleppen inmitten des Jägerschwarms vier Kulis einen Kasten, einen „Palki“, an Tragstangen auf den Schultern. Durch die nicht völlig zugeschobenen Thüren dieses Käfigs schimmert das scheckige Fell eines Leoparden, der mit verhüllten Augen auf dem gepolsterten Boden liegt.

Heute mußte dieser „Schittah“ sein Lager im Gehöft seines Wächters verlassen, der ihn großzuziehen und sorgfältig abzurichten verstand. Wie unser Bild auf der linken Seite zeigt, ruht er dort sonst auf einem der landesüblichen niederen Bettgestelle. An einer Fessel aus Silber, führt das kostbare Tier, wohlgepflegt von mehreren Dienern, das sorglose Dasein eines Grandseigneurs, selbst die lästigen Fliegenschwärme werden ihm von einem eigens hierzu angestellten Hindu durch Wedeln verscheucht. Eine lederne goldgestickte Kappe bedeckt seine Augen, denn nichts soll seine Aufmerksamkeit erregen, nichts soll ihm vor das Gesicht kommen als das Wild, auf das sein ganzes Sinnen gelenkt wird. Sobald es den Fürsten gelüstet, die flüchtigen Antilopen zu jagen, welche die Dschungeln und Steppen durcheilen, wird dieser Schittah auf das Jagdfeld getragen, wie ich es oben beschrieben habe. Ist man auf einem hügeligen Punkte angelangt, von dem aus die Jagdgesellschaft die buschreiche Ebene ringsum und das arglos dort äsende Wild übersehen kann, dann wird dem Leoparden erst angesichts dieser fernen Rudel die Haube von den Augen gehoben. Geblendet vom Sonnenlicht, steht er bewegungslos da, nur die Nüstern beben krampfhaft. Dann aber, sowie er sein Ziel erkannt hat, duckt er sich zusammen und schleicht langsam und lauernd der Herde entgegen. Kaum wittern die zierlichen Antilopen ihren blutgierigen Todfeind, so wenden sie sich zur hastigen Flucht – doch schon hat auch der Schittah sein Schleichen in pfeilschnellen Galopp verwandelt und durchfliegt förmlich die trennende Strecke; zwei, drei mächtige Sprünge – und er sitzt fest auf dem Nacken des nächsten Tieres. Tief drückt er Krallen und Zähne in das Fleisch des schlankgebeinten Opfers, das unter der Last des entsetzlichen Reiters stöhnend hin und her wankt; schnell eilen die Jäger herbei und erlösen das Wild durch einen wohlgezielten Lanzenstoß von seinen Qualen. Dem Schittah aber werfen seine Wärter wieder die Kappe über die Augen und belohnen ihn mit den Eingeweiden des Wildes. Auch daheim wird durch eine tägliche Ration Antilopenblut der Jagdeifer des Tieres auf den höchsten Grad gesteigert; auf unserem Bilde steht die Schale voll Blut am linken Ende des Bettgestells, auf dem der Schittah nach vollbrachtem Weidwerk der Ruhe pflegt.

Auf dem anderen Bette neben ihm sitzt ein zur Jagd auf Steppenhasen dressierter Luchs, der eifersüchtig und fauchend die langen Pinselohren bewegt, lüstern nach dem Antilopenblut, dessen Duft von dem Nachbarbette zu ihm dringt.

Schüttet im Sommer der Südwestmonsun langandauernde Regen über die ausgedörrten Steppen der Radschputana, dann stellen die Wärter die Betten ihrer Schutzbefohlenen in die im Hintergrund des Bildes sichtbare Hütte, müssen aber auch dort die gezähmten Bestien vor den Stichen giftiger Fliegen, Moskitos und anderer Landplagen des schönen Indiens durch fleißigen Gebrauch ihrer Wedel aus zusammengedrehten Schnüren bewahren.




Wie ich zur Dichterin wurde.

Ein Brief von Johanna Ambrosius.

Vor fünf Jahren brachte die „Gartenlaube“ den ersten Hinweis auf eine Dichterin, welche von Jugend auf in ländlicher Abgeschiedenheit gelebt hatte und als schlichte Bauernfrau in einem ostpreußischen Dorfe zu einem Talent herangereift war, das allgemeine Beachtung verdiente. Professor Karl Weiß-Schrattenthal, der sich bereits um die Gedichte von Katharina Koch ein ähnliches Verdienst erworben hatte, kündigte damals an, daß er im Begriff sei, der leidenden, in ärmlichen Verhältnissen lebenden Frau durch die Herausgabe ihrer Gedichte helfend beizustehen (vgl. Jahrgang 1894, S. 644). Unter den interessanten Mitteilungen über Johanna Ambrosius, die er unserem Leserkreis machte, befand sich die Angabe, daß nach der Schulzeit die hauptsächliche Quelle ihrer Bildung die „Gartenlaube“ gewesen sei. Mit warmen Worten rief er für das bevorstehende Erscheinen ihrer Gedichte das Interesse unserer Leser wach. Heute liegt jene erste Sammlung bereits in 36. Auflage vor, während die 1897 zuerst erschienene zweite Sammlung der Gedichte von Johanna Ambrosius nun auch schon die 6. Auflage erlebt hat. Die damals an dieser Stelle ausgesprochene Erwartung hat sich in reichstem Maße erfüllt. Der außerordentliche Erfolg und das begeisterte Lob, das diese unter so merkwürdigen Verhältnissen entstandenen Gedichte fanden, hat inzwischen aber auch Widerspruch geweckt. Die Angaben über den Bildungsgang von Frau Johanna Ambrosius-Voigt sind bezweifelt worden. Unter diesen Umständen hat das schlichte Selbstbekenntnis der Dichterin, das wir nun folgen lassen, doppelten Wert. Es entstammt einem Privatbrief derselben. Der Empfänger war der Schriftsteller Dr. G. Manz in Berlin, der sich nach Einzelheiten ihres Lebensganges erkundigt hatte. Die anregende lebenswahre Art, in der die schlichte Bauernfrau ihren dornenreichen Lebensgang erzählt, erschien dem Empfänger so fesselnd, daß er von der nachträglichen Erlaubnis, den Inhalt des Briefes in passender Form bekannt zu geben, am besten durch die Veröffentlichung in der „Gartenlaube“ Gebrauch zu machen glaubte. Der ungeschminkten Darstellung gegenüber, die Frau Ambrosius selbst von sich und ihren Schicksalen entwirft, würde jedes Wort des Kommentars abschwächend wirken. Mögen diese Bekenntnisse einer Schwergeprüften ihr zu den alten noch recht viel neue Freunde erwerben.

Der Brief lautet:

Mein Gedächtnis reicht weit zurück. Ich war geliebt von allen, die mich kannten. Meine Eltern waren stolz auf mich, denn ich soll schön gewesen sein, und die schlagfertigen Antworten, die ich bei jeder Gelegenheit gab, machten, daß sie mich verzogen.

Das hörte jedoch auf, als die Zahl der Geschwister sich mehrte. Das Lernen war mir eine Lust. Ich weiß noch, wie heute, mich meiner ABC-Fibel zu erinnern und das Ba, be, bu klingt mir oft in den Ohren. Unser Lehrer, ein Mann, der seiner Zeit weit voraus lebte und noch heute im Amt ist, hatte mich gern. Meine Schwester Martha, welche mir geistig bedeutend über ist, war wohl seine beste Schülerin. Daß die Kinder Ambrosius – Bruder Ewald mitgerechnet – sich hervorthaten, erweckte Neid, wie immer. Wir wurden schon damals gehaßt von den Nachbarsmüttern, deren Töchter unter uns saßen. Ich war klein und blaß. Fast jeden Winter wurde ich von einer Krankheit heimgesucht und mußte die Schule versäumen. Wir lernten damals sehr viel Religion und sehr viel auswendig. „Roland der Schildträger“ sprach ich nicht gedankenlos hin, nein, alles, was ich las, stand vor mir. Zu Handarbeiten hatte ich keine Lust. Puppen und Mädchenspiele liebte ich nicht. Zumeist trieb ich mich auf dem Felde oder im Walde herum – oder in Genossenschaft einiger Buben. Die Natur, das Land liebte ich schon damals leidenschaftlich. Meine Eltern hatten ein wenig roten Lehmboden gepachtet, und inmitten von Kartoffeln und Hafer machte ich mir ein Blumenbeet. Meine Freude über das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0496.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)