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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Endlich mußte Sabine begreifen, daß die Wange des Kindes kühl, der Schlaf ruhig, der Puls normal war.

Sie schlich an ihr Bett zurück und setzte sich auf dessen Rand.

Die Eltern? Wenn den Eltern aber etwas zustieße! Sie fühlte tief, daß sie ablehnend, ja unfreundlich gewesen war. Und sie mußte es sich doch gestehen, die Eltern hatten so viele Unbequemlichkeiten durch sie! So viel Sorgen trübten das Alter der beiden, das doch die Feierzeit nach so fleißigem Leben hatte sein sollen!

In Sabinens Augen standen Thränen. Wenn den Eltern jetzt etwas – zustieße, sie hätte doch vor Reue verzweifeln müssen! Und das Schicksal war oft so grausam. Es hatte schon manchmal Menschen für ewig auseinandergerissen, die mit einem lieblosen Wort sich nur für Stunden zu trennen meinten.

Von schreckhaften Vorstellungen gehetzt, lief Sabine über den Flur, um an der Schlafstubenthür ihrer Eltern zu horchen.

Drinnen war alles still. Nein, nicht still: der Oberamtmann schnarchte. Sein kräftiges Schnarchen drang so prosaisch durch die Nacht.

Es ernüchterte Sabine heilsam. Auf diese Weise mache ich mich krank, dachte sie und ging zu Bett.

Am andern Morgen, während Onkel Fritz mit den Eltern das entscheidende Gespräch führte, hatte Sabine schon alle Hoffnung aufgegeben, von Mühlau fortzukommen. Sie wußte, daß der alte Herr und ihre Eltern gleichsam Menschen aus verschiedenen Kulturzonen waren, zwischen denen eine Verständigung unmöglich war.

Und in der That: Onkel Fritz fand den festen Willen bei seinen Gegnern, auf Gründe nicht einzugehen und alle Vorschläge empfindlich zu nehmen. Besonders als der alte Herr sehr fein und vorsichtig den Geldpunkt berührte und andeutete, daß Sabine und die Kinder nebst Bedienung in Berlin quasi seine Gäste sein sollten – da wurde der Oberamtmann fast unangenehm. Es ging ihm wie vielen Knausern, er hatte nicht den Mut seiner Sparsamkeit und nahm es übel, wenn man ihn als geizig aufzufassen schien.

Das einzige, wozu sie sich verstanden, war, daß Susanne Osterroth, wenn sie das Opfer bringen wolle und ihre Mama nichts dagegen habe, – denn zwischen Eltern und Kinder dürfe man sich nicht drängen, schalteten sie anzüglich ein – bis Weihnacht bei Sabine bleiben könne. Und wenn Sabine sich unter der treuen Pflege ihrer Mutter von den Strapazen dieser unglücklichen italienischen Reise ganz wieder erholt haben würde, könnte sie ja vielleicht im Frühling eine kurze Zeit Onkel Fritz in Berlin besuchen, denn sie würde ja wohl auch einmal das Bedürfnis haben, das Grab ihres Mannes zu sehen, wogegen sich ja nichts sagen lasse.

Damit schien das Gespräch zu Ende. Der alte Herr stand am Fenster und sah nachdenklich auf die Straße hinaus.

Der Oberamtmann und seine Frau wechselten Blicke. Was wollte er nun noch? Warum stand er da so schweigend, wie einer, der mit Entschlüssen kämpft? Hat er ganz vergessen, daß wir hier sitzen? Wir, der Hausherr und die Hausfrau?

Ja, er hatte es vergessen. Er kämpfte einen Gedanken nieder, der so thöricht, so verblendend war … und der doch immer wieder zu ihm heranschlich.

Es gab wohl einen Ausweg, Sabine aus diesem Kerker zu retten – – –

Aber würde das nicht nur ein Wechsel des Gefängnisses sein? Keine Freiheit ihre Jugend auszuleben, würde das bedeuten! Kein Glück! Nur eine Rettung in einen friedlichen Hafen. Erlaubte sein Gewissen ihm, solche Rettung anzubieten? War es nicht besser für die Jugend, auf dem hohen Meer des Unglücks und der Leidenschaft einherzutreiben? Da gab es doch noch vielleicht unbekannte Ufer, ferne, noch unsichtbare Welten, die am Horizont einst auftauchen und ihr fröhliche Landung versprechen konnten – –

Sabine war jung, Jugend und Zukunft – das sind verwandte Worte. Nein – die Hand eines alten Mannes in Verzweiflung zu ergreifen, – nein, dazu durfte man sie nicht verführen, wenn man sie mehr liebte als sich selbst – – –

Der alte Herr wandte sich um. Er sah mit einem besonderen, zerstreuten Blick die beiden an.

„Ich kann die jungen Damen wohl rufen?“ fragte die Oberamtmännin.

Er nickte.

„Sabine! Sabine!“ rief die Mutter zur Thür hinaus.

Sabine und Susanne kamen sich vor wie Schulmädchen, die eine Censur bekommen, als ihnen der Oberamtmann das Resultat der Unterredung mitteilte. Er verlor bei außerordentlichen Anlässen sogleich seine innere Freiheit, sprach gewählter als sonst und redete sich in Rührung.

Susanne sah während dieser Rede ängstlich auf Onkel Fritz, aber der schaute zum Fenster hinaus. Wenn er merkte, daß Männer unfrei waren, wurde er verlegen. Er genierte sich in die Seelen der anderen hinein.

„Es heißt also scheiden,“ sagte Sabine mit einer Ruhe, die alle überraschte.

„Ja. Ich reise noch heute nachmittag,“ erklärte Onkel Fritz. Susanne besprach eifrig mit Oberamtmanns ihr Hierbleiben.

Sabine trat zu dem alten Herrn. Er sah sogleich, daß ihre Ruhe nur äußerlich war. Er verlor kein Wort, er schenkte sich jede Höflichkeitsphrase und sagte nicht, daß es ihm leid thäte.

„Werden Sie mir schreiben, Sabine?“ fragte er halblaut.

„So oft ich darf!“

Er griff nach ihrer Hand.

„Es kann schwer für Sie werden … hier …“ sprach er leise.

Sabine sah ihn an. Sie war sehr bleich, und gramvolle Schatten lagen um ihre Augen. Aber sie versuchte, ihrem Blick und ihrer Haltung Festigkeit zu geben.

„Ich will versuchen, stark zu sein,“ sagte sie einfach.

Sie drückten sich die Hand.

Und Sabine konnte nicht anders, sie mußte thun, wie sie damals in Venedig, in der Stunde ihres Glückes, gethan: sie neigte sich und küßte diese liebe alte Hand ………

Dann lief sie hinaus.

Das war ihr Abschied und ihr Dank.

(Fortsetzung folgt.)




Jagdgehilfen des Maharadscha von Dschaipur.

Von Dr. K. Boeck.
(Mit dem Bilde S. 485.)

Aus dem weißgetünchten Parkthor des Fürstenpalastes zu Dschaipur sprengt eine glänzende Reiterschar; umringt von zahllosen indischen Großen und Hofbeamten, begiebt sich der Maharadscha auf die Jagd. Jede dieser schlanken Figuren ist ein Muster kraftvoller Hinduschönheit, ein Stolz der Radschputana, des Mutterlandes der „Fürstensöhne“ und der Kriegerkaste. Wie leibhaft gewordene Märchengestalten rauschen sie auf feurigen Araberhengsten vorüber, strotzend von Goldstickereien auf karmesinroten Sammetjacken oder umweht von zartfarbigen Schleiern und Gewändern aus kostbaren Stoffen. Hier und da klirren Kettenpanzer und Stahlhandschuhe. Weithin blitzen damascierte krumme Schwerter und kleinrunde Schilde, in deren Erz des Goldschmieds Hammer gar zierliche Figuren aus Gold- und Silberdrähten getrieben hat.

Die braunen Gesichter der Reiter sind zumeist umrahmt von vollen schwarzen Bärten, in der Mitte gescheitelt und energisch zur Seite und nach oben gestriegelt, gerade so, wie sich der letzte Maharadscha getragen. Eng liegen die Turbanwindungen um die trotzigen Brauen, unter denen manchmal, heimlich und schnell, recht düstere Blicke aufzuflackern scheinen, wenn die Augen sich nach der hochragenden Felsenburg des Fürsten, dem Tigerhort, wenden, von dessen Abhängen ein „Welcome!“ („Willkommen!“) in riesengroßen weißen Buchstaben meilenweit in die Lande hinausleuchtet, dort hingepinselt als mehr oder weniger aufrichtige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0495.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)