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ausgebildet worden, nur 8% von allen in der Anstalt Verpflegten konnten wegen ihrer Gebrechen keinen selbständigen Beruf erwählen. Was würde aus diesen Hunderten verkrüppelter Kinder geworden sein, welch eine Last würden dieselben den Heimatgemeinden gewesen sein, wenn die Anstalt sich ihrer nicht angenommen hätte! Wieviel schwerer wiegt das bescheidenste Armengeld, wenn es jahrzehntelang seitens kommunaler Kassen Verkrüppelten dargereicht werden muß, gegen die geringen Kosten mehrjähriger Pflege und Ausbildung in einer Krüppelanstalt. Wie einsichtsvoll handelten alle die, die sich der verkrüppelten Kinder in Liebe erbarmten!

Nunmehr hat auch für Mittel- und Norddeutschland ein edler Mann in seinem Alter seine Lebensaufgabe darin gefunden, diesen armen Krüppelkindern eine große Pflege- und Bildungsstätte zu schaffen. Es ist der Superintendent Pfeiffer in dem Dorfe Cracau bei Magdeburg, dessen „Samariterhaus für Kinder“ am 8. Mai d. J. eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Aus kleinen Anfängen ist diese große, herrliche Anstalt, welche die Beachtung aller weltlichen und kirchlichen Gemeinden in ganz Deutschland verdient, hervorgegangen. Was hier die auf christliche Liebe sich gründende Kraft eines Mannes und seiner treuen Gattin geschaffen hat in dem kurzen Zeitraum von 10 Jahren, reiht sich würdig an die großen Schöpfungen großer Männer. Genau 10 Jahre sind es her, als in Cracau aus freiwillig dargereichten Liebesgaben durch den Superintendenten Pfeiffer ein Siechenhaus, „Johannesstift“ genannt, erbaut wurde. In ihm befanden sich anfangs sieche Männer und Frauen. Schon nach wenigen Jahren mußte zur Aufnahme derselben ein Nachbarhaus hinzugekauft werden, das auch siechen und verkrüppelten Kindern als Zufluchtsstätte diente. Infolgedessen reichten die Wirtschaftsräume nicht mehr aus; darum wurde 1895 ein neues Wirtschaftshaus erbaut.

Seit 1890 sind 40 bis 50 Kinder fortwährend in dem Siechenhaus Johannesstift vorhanden gewesen, die den erforderlichen Schulunterricht empfangen und zur Erlernung einer ihren Kräften angemessenen Arbeit angehalten werden, damit sie später ihren Lebensunterhalt wenigstens teilweise selber erwerben können. Die Mädchen lernen nähen, stricken, häkeln, sticken; die Knaben allerlei Handfertigkeiten: Papp- und Schnitzarbeiten, Schneiderei, Schuhmacherei, Korb- und Stuhlflechterei. Staunenswertes wird bei vielen durch Nachsicht und Geduld erreicht! Die Arbeit an den gebrechlichen Kindern erfordert zwar viel Lehr- und Pflegekräfte, ist aber reich gesegnet. Neuaufnahmen konnten bis jetzt nicht mehr stattfinden, weil es an Raum fehlte. So wurde die Schaffung einer großen Kinderkrüppel-Erziehungs- und Bildungsanstalt für das nördliche und mittlere Deutschland ein dringendes Bedürfnis. Diesem gab der Vorsteher der Anstalt nach, und in festem Vertrauen auf Gottes Hilfe und die werkthätige Nächstenliebe ging er von neuem ans Werk, sammelte Liebesgaben und arbeitete selbst einen praktischen Bauplan für das neue Haus aus, das unter seiner eigenen Bauleitung seit dem Mai des Jahres 1897 erstand.

Jetzt ist es fertig, das „Samariterhaus für Kinder“, ein herrliches Gebäude, das seinen Erbauer, der jahrelang in selbstloser Liebe vom frühen Morgen bis in die späte Nacht daran gearbeitet hat, aufs höchste ehrt. Gleichzeitig erstanden ein Pförtnerhaus, ein Beamtenhaus für Lehrer, Aerzte und Verwaltungsbeamte, Wirtschaftsräume und Stallungen. Auch eilt der Anstalt fehlendes Gotteshaus ist in Form einer schönen Kapelle gleichzeitig fertig geworden. Die neue Anstalt ist groß angelegt. Das erste Geschoß ist für 60 Knaben, das zweite für 60 Mädchen und das Dachgeschoß für 40 bis 60 Knaben und Mädchen bestimmt (letzteres für solche, die ganz siech sind). Tages- und Nachträume sind getrennt in zwei großen Seitenflügeln untergebracht, ein Mittelflügel enthält einen Turnsaal mit medico-mechanischen Instrumenten und einen Operationssaal. Vermittelst eines hydraulischen Aufzuges werden die Kinder von einem Stockwerk zum anderen befördert, durch einen anderen Aufzug in gleicher Weise die Speisen. Die Front enthält Schul- und Schwesternzimmer, Wohnräume für Aerzte etc.

Es ist hier eine Wohlthätigkeitsanstalt erstanden, die ihresgleichen nicht hat, die aber deswegen auch die Hilfe aller derer um so mehr verdient und bedarf, die ein Herz haben für das menschliche Elend. Noch fehlt eine große Summe zur Bezahlung der Bauschuld. Möge deshalb die neue Anstalt so bereitwillig die Unterstützung aller wahren Menschenfreunde finden, wie sie es verdient!

Zwecks Aufnahme von Krüppelkindern wolle man sich an den Vorstand des „Johannesstifts“ in Cracau bei Magdeburg wenden. O. D.     


Blätter und Blüten.



Das Bismarck-Denkmal in Magdeburg. (Zu dem Bilde S. 453.) Von den Standbildern, welche bisher dem Fürsten Bismarck errichtet worden sind, ist das am 1. April dieses Jahres in Magdeburg enthüllte von ganz besonderem künstlerischen Wert. Als Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen und des Regierungsbezirks, in welchem das Gut Schönhausen und damit die Geburtsstätte des großen Kanzlers liegt, hat Magdeburg durch Aufstellung dieses Denkmals in dem Einiger Deutschlands zugleich den größten Sohn der heimatlichen Provinz geehrt. Den Anlaß zu dem Ausschreiben eines Wettbewerbs für das Denkmal gab 1895 der achtzigste Geburtstag des Fürsten. Das Ergebnis war die Annahme eines von den Braunschweiger Künstlern Karl Echtermeyer und Hermann Pfeifer eingelieferten gemeinsamen Entwurfes, mit dessen Ausführung in Kupfertreibarbeit die altberühmte Howaldtsche Erzgießerei in Braunschweig beauftragt wurde. Auf einem großen, bisher nach Scharnhorst, jetzt aber nach Bismarck benannten Platze, unweit des Domes und hart am Breitenwege, der Hauptverkehrsader Magdeburgs, hat das Standbild seine Aufstellung gefunden. In der Vollkraft seines machtvollen, in sich selbst beruhenden Wesens, den Mantel der Kürassieruniform leicht zurückgeschlagen, so daß auf der Brust das Eiserne Kreuz und am Hals der Orden Pour le mérite sichtbar sind, das Haupt stolz erhoben, den Blick ins Weite gerichtet, so steht der Kanzler in doppelter Lebensgröße auf dem hohen Sockel aus rotem Granit. Ein einziges Wort, der Name „Bismarck“. ist auf dem Sockel in monumentaler Lapidarschrift zu lesen; als einfacher, aber bedeutsamer Schmuck ist darunter ein gewaltiger Adler angebracht, der mit weitausgreifenden Fängen das Reichswappen verteidigt. Glücklich wie die Wahl des Materials war auch die des Standorts, denn man setzte das Denkmal von den umgebenden vierstöckigen Wohnhäusern des Bismarckplatzes so weit entfernt, daß sich die Figur in voller Klarheit scharf vom Himmel abhebt. Die Feier der Einweihung am 1. April verlief unter allgemeiner Beteiligung; die Weiherede hielt Amtsgerichtsrat Schwabe, der Vorsitzende des Denkmalsausschusses.

Aerztliche Mission. Eine der wichtigsten kolonialen Aufgaben besteht in der Hebung der Naturvölker zu einer höheren Stufe der Kultur und Gesittung. Neben dem Kaufmann und Pflanzer wirken darum in den Kolonien auch Schullehrer und Missionare. Als ein weiterer Träger und Förderer der Kultur gilt der Arzt. Die Heidenvölker in Asien und Afrika tragen die Krankheitsnot besonders schwer, denn die eingeborenen Medizinmänner, Priester und Zauberer vermögen ihnen nicht zu helfen und quälen sie znmeist durch ihre abergläubischen und oft grausamen Kuren. Da kann ein wirklicher Arzt, der in einer Mission wirkt, das Los vieler Unglücklichen mildern. In England haben schon vor 58 Jahren die herzerschütternden Schilderungen des amerikanischen Arztes Dr. Parker, der in China wirkte, den Sinn für die ärztliche Mission geweckt, und es stehen zur Zeit über 500 Missionsärzte und Missionsärztinnen aus England und Amerika in der Arbeit. Deutschland ist auf diesem Gebiet noch weit zurück, denn es entfallen auf alle deutschen Missionsgesellschaften nur 12 Missionsärzte. Es ist darum gewiß als eine zeitgemäße Erscheinung zu begrüßen, daß in jüngster Zeit ein deutscher Verein für ärztliche Mission ins Leben getreten ist. Sein Geschäftsführer ist der auf eine 21jährige Thätigkeit in Indien zurückblickende Dr. med. Liebendörfer in Stuttgart.

Dieser Verein hat sich die Aufgabe gestellt, vor allem der Basier Missionsgesellschaft und in zweiter Linie auch anderen deutschen Missionsgesellschaften zu dienen, das Interesse für ärztliche Mission zu fördern und zu wecken und über Fortschritte auf dem Gebiete der Tropenmedizin und Tropenhygieine zu berichten. Der Verein sammelt ferner Geldmittel, um Missionsärzte auszurüsten und auszusenden und Spitäler in den Missionsgebieten zu bauen. Am dringendsten wird ein Missionsarzt für unser deutsches Schutzgebiet Kamerun begehrt, wo in Bonaku, im Centrum der Mission, auch ein kleines Krankenhaus gebaut werden sollte. Hoffentlich werden dem Vereine reichliche Spenden zufließen, damit das menschenfreundliche Ziel erreicht werde!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0479.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2021)