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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

nun bereits drei Wochen geworden und sein Entschluß stand fest, nicht eher abzureisen, als bis Frau von Wilkow mit ihrem Vater die Insel verließ, um sich ihnen dann selbstverständlich für die Fahrt nach Aegypten anzuschließen. Seiner Auffassung nach gehörte zu dem „höheren Reiseleben“ notwendig immer etwas Roman, er hatte sich daher schleunigst in die junge Witwe verliebt und erschöpfte sich in Aufmerksamkeiten, die zwar ziemlich kühl aufgenommen, aber doch wenigstens nicht zurückgewiesen wurden.

Auch „dieser Herr aus Amerika“ erwies sich als eine äußerst schätzbare Bekanntschaft, obgleich es nicht zu leugnen war, daß er sich bisweilen etwas schroff benahm gegen den jungen Reisegefährten, der seinerseits die Höflichkeit selbst war. Aber diese hinterwäldlerischen Manieren mußte man dem Manne hingehen lassen, der so lange außerhalb der Kultur gelebt hatte und sich offenbar nicht so schnell wieder hineinfinden konnte.

Jedenfalls hielt es Herrn Wellborn nicht ab, dem „Hinterwäldler“, der natürlich bei seinem Schwager, dem Konsul, wohnte, einen Besuch zu machen und die Einladungen des gastfreien Hausherrn anzunehmen. Dort lernte man die ganze Gesellschaft der Stadt kennen, und der Verkehr in dem großen Hotel, dessen Gäste aus allen Ecken und Enden der Welt stammten, war gleichfalls höchst anregend und interessant – kurz, der junge Mann schwamm und plätscherte im Strome des Reiselebens wie der Fisch im Wasser.

Da es noch früh am Vormittage war, so befand sich außer den beiden Herren niemand im Lesezimmer. Eine ganze Weile lang herrschte Schweigen, dann legte Wellborn die Zeitung nieder und bemerkte mit einem gewissen Nachdruck:

„Es regnet!“

Er hätte nicht nötig gehabt, diese Thatsache erst festzustellen, denn der Regen schlug prasselnd gegen die Fenster. Jetzt blickte auch Rottenstein von seiner Zeitung auf und bestätigte im Tone tiefster Befriedigung:

„Ja, es regnet! Endlich einmal – Gott sei Dank!“

„Aber Herr Geheimrat, das klingt ja, als freuten Sie sich darüber,“ sagte der junge Mann vorwurfsvoll. „Alle Welt ist verzweifelt, denn bei diesem Wetter ist natürlich nicht an einen Ausflug zu denken.“

„Eben deshalb – da hat man endlich einmal Ruhe. Sonst geht es ja Tag für Tag hinaus nach allen möglichen Orten, wo doch immer nur dasselbe zu sehen ist, blitzblaues Meer und graue Olivenwälder, eins so langweilig wie das andere. Ich wollte, es regnete so weiter, acht Tage lang!“

Mit diesem frommen Wunsche lehnte sich der alte Herr behaglich zurück und blickte mit einer gewissen Zärtlichkeit in die strömende Regenflut.

Wellborn schüttelte den Kopf über diese Anschauung und zog sein Wetterglas zu Rate, das er mitgenommen hatte, und von dem er sich überhaupt nur selten trennte. Es war ein merkwürdiges Ding, das schon in der Form von allen anderen abwich, steckte in einem noch merkwürdigeren Gehäuse und wies eine Menge sibyllinischer Zahlen und Zeichen auf, deren Bedeutung wahrscheinlich nur der Erfinder und der glückliche Besitzer kannten. Leider hatte es die für ein Wetterglas etwas bedenkliche Eigenschaft, sich stets im Widerspruch mit dem Wetter zu befinden, und das war auch heute der Fall.

„Wie steht denn das Glas?“ fragte der Geheimrat nach einer Pause.

„Ausgezeichnet! Wir werden am Nachmittage herrliches Wetter haben.“

Rottenstein zuckte ungläubig die Achseln. „Das haben Sie gestern auch gesagt, als ich nicht mitfahren wollte. Ich traute gleich den Wolken nicht, die da so urplötzlich am Monte Salvatore aufstiegen, aber Sie garantierten uns ja Sonnenschein und dann faßte uns das Gewitter, mitten in den Bergen, im offenen Wagen. Ganz durchweicht kamen wir zurück, und heute meldet sich natürlich mein Rheumatismus wieder. Dafür habe ich mich bei Ihrem berühmten Glas zu bedanken!“

„Aber Herr Geheimrat!“ Der junge Mann nahm eine gekränkte Miene an, „wie können Sie nur das unschuldige Glas für dies gänzlich unmotivierte Gewitter verantwortlich machen! Auf dieser Insel herrschen abnorme Witterungszustände, mit denen nicht zu rechnen ist. Als wir damals abreisten, in Triest –“

„Stand Ihr Barometer auf Sturm – jawohl, und wir haben drei Wochen lang Prachtwetter gehabt.“

„Das kam von der Seereise,“ behauptete Wellborn. jetzt aber lachte der alte Herr laut auf.

„Nun verträgt das Ding gar die Seefahrt nicht! Ist es vielleicht seekrank geworden?“

Wellborn war tief beleidigt, er hob sein Glas hoch empor und begann dessen Vorzüge ausführlich auseinanderzusetzen, wurde aber darin durch den Eintritt Robert Adlaus unterbrochen, der den Geheimrat begrüßte, ohne viel Notiz von dem jungen Manne zu nehmen.

„Ich komme eigentlick, um Ihnen zu sagen, daß ich in der nächsten Woche abreise,“ wandte er sich an den Geheimrat. „Ich gehe mit dem Dampfer nach Triest und von da ohne Aufenthalt nach Hause.“

„Sie wollen fort? So bald schon?“ rief der Geheimrat fast erschrocken.

„So bald? Ich bin lange genug hier gewesen. Meta und mein Schwager wollen mich zwar durchaus nicht fortlassen, aber es bleibt dabei, ich reise.“

„Meta ist eben bei meiner Tochter,“ sagte Rottenstein. „Ah, Sie wußten das nicht? Nun jedenfalls kommen Sie doch mit hinauf und fahren dann mit Ihrer Schwester nach Hause. Sie hat den Wagen zum Abholen bestellt.“

Adlau zögerte einige Sekunden, ehe er die Einladung annahm, dann aber sagte er kurz:

„Das wird wohl bei diesem Wetter das Beste sein. Also gehen wir!“

Die drei Herren brachen auf, denn auch Wellborn benutzte die Gelegenheit, sich anzuschließen. Er hatte die gnädige Frau heute noch nicht gesehen und mußte sich notgedrungen nach ihrem Befinden erkundigen. Möglicherweise hatte ihr die gestrige Regenpartie eine Erkältung zugezogen, die Frau Baronin war eine äußerst zarte Natur und der Süden schützte durchaus nicht vor katarrhalischen Zuständen, aber hoffentlich … so schwatzte er unausgesetzt weiter, und es störte ihn gar nicht, daß niemand zuhörte, er war dergleichen schon gewohnt.

In dem Salon, der die Zimmer der Frau von Wilkow und ihres Vaters trennte und zu ihrer Wohnung gehörte, hatten unterdessen die Damen eine lebhafte Unterhaltung geführt, die Glasthüren waren fest geschlossen. Sonst hatte man vom Balkon aus eine prächtige Aussicht über den Hafen, über den Meeresarm, der die Insel vom Festlande schied, und die jenseitigen Berge; aber heute verschwand das alles in grauer Nebel- und Regenflut.

Auf dem Eckdiwan saßen die beiden jungen Frauen, die zusammen aufgewachsen waren in der sonnigen Rheinstadt, wo Rottenstein mit den Seinigen gelebt hatte, bis er nach Berlin versetzt wurde. Freilich hatte die einstige Mädchenfreundschaft nicht jene Entfremdung überdauert, die später zwischen den beiden Familien eintrat und schließlich jedem Verkehr ein Ende machte. Aber jetzt, nach vollen zehn Jahren, als man sich so unvermutet wiederfand, waren die zerrissenen Fäden wieder angeknüpft und hier wenigstens die alte Vertraulichkeit wiederhergestellt worden.

Frau Meta Rahnsdorf, eine hübsche, zierliche Blondine, ungemein lebhaft in Sprache und Bewegungen, war nur zwei Jahre jünger als Elfriede von Wilkow; sie unterhielt heiter die Freundin, während jene, den Kopf in die Hand gestützt, meistenteils zuhörte. Jetzt aber fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern:

„Also du bist glücklich in deiner Ehe, Meta? Wirklich glücklich?“

Die kleine Frau, der das Glück nur so aus den blauen Augen lachte, fuhr in komischer Entrüstung auf.

„Hör’, Elfriede, die Frage ist eigentlich eine Beleidigung für meinen Mann. Denkst du, er verstände es nicht, mich glücklich zu machen? Er hat es meinem Vater hoch und teuer versprochen, als er mich fortführte in das fremde Land, und er hielt Wort. Trotz alledem hatte ich arg mit dem Heimweh zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0474.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)