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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Gewiß, vor fünf Jahren, als ich meinen Abschied nahm, habe ich den hübschen kleinen Landsitz erworben.“

„Das hörte ich zufällig beim Abschluß meines Kaufvertrages; nun, unmittelbar daran grenzt das Gebiet von Brankenberg.“

„Brankenberg? Das haben Sie doch nicht etwa gek–“ dem alten Herrn blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken.

„Gekauft, allerdings,“ ergänzte Adlau. „Herr von Brankenberg hat sich nur noch eine kurze Frist ausbedungen. Er will erst im November das Schloß räumen und das Gut übergeben, und da ich in der Zwischenzeit doch nichts beginnen konnte, so beschloß ich einen Besuch bei meiner Schwester, die gegenwärtig in Korfu lebt, als Frau unseres dortigen Konsuls.“

Rottenstein sah noch immer aus, als traute er seinen Ohren nicht, aber auch Frau von Wilkow, die sich bisher gar nicht an dem Gespräch beteiligt hatte und kaum zuzuhören schien, wurde aufmerksam. Auch sie streifte den neuen Gutsherrn mit einem höchst erstaunten Blick, indessen äußerte sie nichts darüber, sondern sagte nur: „Wir erfuhren allerdings von Metas Heirat. Sie haben sie ja wohl jahrelang nicht gesehen?“

„Das letzte Mal vor zwölf Jahren, als ich Europa verließ.“

„Das ist allerdings eine lange Zeit.“

„O ja! Lang genug, um in der Heimat vergessen zu werden.“

Die Worte klangen so herb, als läge ihnen eine geheime Bedeutung zu Grunde. Die junge Frau hob den Kopf und schien im Begriff, eine gereizte Antwort zu geben, aber es kam nicht dazu. Der alte Ausdruck von Müdigkeit und Gleichgültigkeit legte sich wieder über ihre Züge und sie erwiderte mit einem leichten Achselzucken: „Das Vergessen pflegt meist gegenseitig zu sein, aber ich finde es recht kühl hier oben, ich werde hinunter in die Kajüte gehen. Du bleibst wohl noch auf dem Deck, Papa?“

Sie neigte flüchtig das Haupt gegen die Herren und ging; gleichzeitig verlor Herr Wellborn auch alle Lust, noch länger auf dem Deck zu bleiben. Er bemächtigte sich eiligst des Fernglases, das die Dame hatte liegen lassen, und trug es ihr nach. Zwischen den beiden Zurückgebliebenen aber wollte kein rechtes Gespräch in Gang kommen, obgleich dies Wiedersehen nach so langer Zeit doch Stoff genug dazu bot. Der alte Herr kämpfte sichtlich mit einer Verlegenheit, deren er nicht Herr zu werden vermochte, und Adlau blickte schweigsam und zerstreut in das Meer hinaus. Auf einmal aber richtete er sich empor, mit einer raschen Bewegung, als würfe er irgend etwas Lastendes von sich.

„Herr Geheimrat, wozu der Zwang zwischen uns beiden! Sind wir uns denn so fremd geworden? Als Sie mich erkannten, sah ich ja, daß Sie mir die alte freundliche Gesinnung bewahrt haben, und ich bin auch der alte geblieben – Ihnen gegenüber.“

„Wirklich, Robert?“ rief Rottenstein, der jetzt zum erstenmal wieder die vertrauliche Anrede gebrauchte. „Das freut mich, freut mich von ganzem Herzen! Ich habe Sie immer gern gehabt, aber Sie waren ja ganz wild damals, als – nun Sie wissen ja, was ich meine. Jetzt ist das hoffentlich vergessen.“

„Vergessen und begraben! Ich hatte anderes zu thun in den letzten zwölf Jahren, als alten Erinnerungen nachzuhängen. Also – auf gute Nachbarschaft zwischen Lindenhof und Brankenberg!“

„Auf gute Nachbarschaft!“ Der alte Herr schlug herzlich in die dargebotene Hand ein, ihm war offenbar ein Stein von der Brust gefallen. Er nahm auf einem Feldstuhl Platz und fing behaglich an zu plaudern.

„Also vor allen Dingen, wie geht es Ihnen, Robert? Doch die Frage, ist eigentlich überflüssig, wer Brankenberg kaufen kann, muß ein reicher Mann sein.“

„Wenigstens kein armer Mann,“ sagte Robert gelassen.

„Aber es ist mir nicht leicht gemacht worden, bis ich dahin kam. Jahrelang hatte ich nichts als Fehlschläge und Enttäuschungen; was ich heute gewann, zerrann morgen, bis es endlich aufwärts ging, und da ging es allerdings schnell, wie alles da drüben. Doch das erzähle ich Ihnen ausführlich, wenn wir im Winter behaglich am Kamin sitzen.“

„Im Winter! Da sitze ich ja in Kairo bei den Pyramiden!“ rief der Geheimrat in kläglichem Tone. „Ich muß ja nach Afrika.“

„Sie müssen? Weshalb denn?“

„Weil Elfriede den Winter in Deutschland nicht aushält. Ich meine, sie könnte als Frau und Witwe füglich allein reisen, aber das will sie durchaus nicht. Unter uns gesagt, Robert, ich mache mir aus diesem vielgepriesenen Orient nicht das geringste. Diese Pyramiden sehen mir schon auf den Bildern so langweilig aus, bei den Mumien wird mir übel und die Kamele kann ich nicht ausstehen. Und nun vollends diese ungemütlichen Bestien, die Löwen und Krokodile –“

„Die kommen nicht nach Kairo,“ warf Adlau ein. „Da müssen Sie schon weit nilaufwärts oder in die Wüste gehen.“

„Aber wir wollen ja bis an die Katarakte!“ rief der alte Herr verzweiflungsvoll. „Und Elfriede will auch in die Wüste, sie will überall hin! Das ist sie noch von ihrem Manne gewohnt, der trieb sich auch am liebsten in der Nähe des Aequators herum, aus Gesundheitsrücksichten, wie er behauptete. Als sie den Baron heiratete –“ er hielt plötzlich inne und blickte etwas unsicher zu seinem Gefährten auf, aber dieser ergänzte ruhig:

„Vor zehn Jahren, ich weiß. Sie sandten mir ja die Verlobungsanzeige.“

„Ja, ich – das heißt, eigentlich hat es meine Frau gethan,“ sagte Rottenstein. „Ich habe mich bei der ganzen Sache neutral verhalten, denn Wilkow war bedeutend älter als meine Tochter und sehr kränklich. Er mußte stets den Winter in den südlichen Kurorten zubringen, deshalb gaben sie auch bald ihren Haushalt in Berlin auf und führten nur noch ein Reiseleben. Das ging von einem Lande in das andere, ohne Rast und Ruhe, sie waren immer auf der Fahrt, bald in Italien, bald in Madeira oder Korfu, schließlich in Aegypten, und dort starb auch mein Schwiegersöhn, vor zwei Jahren. Aber als Elfriede zurückkam – sie brachte die erste Zeit ihrer Witwentrauer bei mir zu – da war nichts mehr übrig von meiner rosigen, lustigen Friedel mit dem neckischen Uebermute und dem hellen Lachen, gar nichts mehr.“

Robert Adlau lehnte mit verschränkten Armen an der Brüstung, an demselben Platze, wo vorhin die bleiche, nervöse Frau gestanden hatte, er hörte mit völlig unbewegter Miene zu und fragte jetzt in kühlem Tone:

„War die Ehe der Frau Baronin keine glückliche?“

„Doch, sie war glücklich; Wilkow trug seine Frau auf Händen und erfüllte ihr jeden Wunsch. Ich glaubte, dies ewige Reiseleben sei ihr nicht gut bekommen, und hoffte, sie würde sich nun endlich Ruhe gönnen, aber daran war nicht zu denken. Kaum daß sie den Sommer in Lindenhof aushielt, im Winter ging es nach Italien und ich – ging mit!“

„Freiwillig oder gepreßt?“

Der alte Herr ließ die Frage unbeantwortet, er seufzte nur aus tiefem Herzensgrunde; plötzlich aber faßte er seinen Nachbar beim Rock und zog ihn näher, während er halblaut fortfuhr:

„Robert, wenn Sie wüßten, was ich ausgestanden habe bei diesen Kunststrapazen, bei diesen Antiken, die nie ein Ende nehmen und immer besichtigt sein wollen! Hätte ich in Rom nicht ein paar Landsleute aufgespürt, die sich abends zu einem kleinen gemütlichen Skat zusammenfanden, ich glaube, ich wäre an all den Galerien und Museen und Antiken zu Grunde gegangen.“

Das Geständnis klang so jämmerlich, daß Adlau laut auflachte.

„Armer Herr Geheimrat! Sie sind gar nicht angelegt für das ‚höhere Reiseleben‘, wie dieser wißbegierige junge Mann mit den engen Handschuhen es nennt.“

„Nein, ganz und gar nicht,“ bestätigte Rottenstein, der immer mitteilsamer wurde. „Ich dankte Gott, als es endlich wieder nach Hause ging. Im Sommer hatte ich Ruhe, da war Elfriede in England und Schottland, zum Besuch bei irgend einer englischen Familie, die sie irgendwo da unten kennengelernt hatte, aber jetzt geht die Plage wieder an. Ich wäre so gern daheim geblieben, in meinem stillen Lindenhof. Sie sollten es nur sehen! Eine hübsche Villa, mit großem Garten und prächtigem Blick auf den Rhein, ein Weingütchen – da wird jetzt geherbstet! – Ich gab meinen Leuten immer ein kleines Fest nach der Traubenlese, da war Tanz und Jubel bis in die Nacht hinein. Und nun –“ hier schlug die wehmütige Stimmung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0471.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)