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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

flatterte, und der graue Reiseanzug verriet trotz seiner Einfachheit, daß die Dame den vornehmen Ständen angehörte.

Sie beobachtete mit dem Fernglase in der Hand das auftauchende Land und wandte sich jetzt zu einem jungen Manne, der neben ihr stand.

„Sie haben recht, es ist die Küste von Korfu. Sie sehen es zum erstenmal?“

„Jawohl, gnädige Frau,“ versetzte der Gefragte. „Ich habe bisher überhaupt noch nicht viel von der Welt gesehen und will jetzt das Versäumte nachholen. Mein seliger Papa hielt gar nichts vom Reisen, er saß jahraus, jahrein in seiner Fabrik und mochte das Herumtreiben in der Welt, wie er es nannte, nicht leiden. Merkwürdig, nicht wahr? Ja, mein Papa war überhaupt ein ganz merkwürdiger Mann. – Denken Sie lange in Korfu zu bleiben?“

„Wahrscheinlich einige Wochen, da wir den Winter in Aegypten zubringen wollen, und vor dem November kann man ja nicht dorthin.“

„O, Aegypten, das ist auch mein Reiseziel! Ich sagte es Ihnen ja bereits, gnädige Frau. Ich wollte sogar nur einige Tage auf der griechischen Insel zubringen, aber ich kann meine Pläne ändern.“

Der junge Mann, der ungefähr in dem gleichen Alter stand wie seine Nachbarin, schien bereits entschlossen zu dieser Aenderung. Viel Geist lag gerade nicht in seinen Zügen, aber sie waren sehr hübsch und der höchst elegante Reiseanzug stand ihm vortrefflich. Er wandte sich jetzt zu einem alten Herrn, der, die Arme auf die Brüstung gestützt, eine Herde von Delphinen beobachtete, die in der durchsichtig klaren Flut ihr Spiel trieben.

„Da kommt das Land in Sicht, Herr Geheimrat, die Küste von Korfu. In einigen Stunden werden wir landen.“

„Gott sei Dank, dann hat man doch endlich wieder festen Boden unter den Füßen!“ sagte der Geheimrat, sich emporrichtend.

„Seit zwei Tagen sind wir unterwegs und ich bin gar nicht angelegt für Seereisen; wenn nun vollends die Seekrankheit kommt –“

„Sie kommt nicht bei dieser ruhigen Fahrt,“ unterbrach ihn die junge Frau. „Du siehst es ja, Papa, sie hat niemand auf dem Schiffe belästigt.“

„Sie hätte aber doch kommen können!“ meinte der Vater bedenklich. „Ich habe mich fortwährend davor geängstigt, weil Ihr Wetterglas auf Sturm stand, Herr Wellborn. Da hat sich dies vielgerühmte Glas einmal gründlich blamiert!“

„Bitte, mein Wetterglas ist vorzüglich,“ widersprach Wellborn eifrig. „Es ist eine ganz neue Art und der Erfinder war ein Genie – das heißt, mein Papa behauptet, er wäre eigentlich ein Lump gewesen. Er wollte uns nämlich eine große technische Erfindung verkaufen und erhielt eine Anzahlung, um noch die letzten Proben zu machen, aber er brannte uns durch mit dem Gelde und mit der ganzen Erfindung. Er hat uns nur das Wetterglas zurückgelassen.“

„Das schon in Triest auf Sturm stand,“ warf der Geheimrat ein.

„Dann wird der Sturm auch kommen, verlassen Sie sich darauf,“ behauptete der junge Mann mit unerschütterlicher Zuversicht. „Aber hoffentlich kommt er erst, wenn wir am Lande sind.“

Die Dame schien sich bei diesem Gespräch zu langweilen, das zeigte der Ausdruck ihres Gesichtes. Sie hatte wieder das Fernglas zur Hand genommen und schaute nach der Küste hinüber, deren Umrisse immer klarer und deutlicher wurden. Sie bemerkte es nicht, daß ein anderer Reisender, der soeben aus der Kajüte heraufgekommen war und jetzt in einiger Entfernung stand, sie und ihren Vater scharf beobachtete; auf einmal trat er an den letzteren heran und verbeugte sich.

„Herr Geheimrat Rottenstein, habe ich die Ehre, noch von Ihnen gekannt zu sein, oder muß ich mich in aller Form vorstellen?“

Rottenstein sah verwundert auf und musterte die kraftvolle Erscheinung des vor ihm Stehenden, der bereits über die Jugend hinaus war. Er blickte in ein von der Sonne tiefgebräuntes Gesicht, mit nicht schönen, aber festen, energischen Zügen und durchdringenden grauen Augen. Das dichte dunkelblonde Haar und der dichte Vollbart gaben dem Manne etwas Fremdartiges, aber er sprach ein vollkommen reines Deutsch.

„Ich bedauere,“ sagte Rottenstein verlegen. „Ich erinnere mich wirklich nicht – mit wem habe ich das Vergnügen?“

Der Fremde lächelte flüchtig und wandte sich zu der jungen Frau.

„Dann darf ich wohl bei Frau Baronin Wilkow noch weniger auf eine Erinnerung hoffen?“

Die Baronin hatte sich bei dem Klange der Stimme mit einer jähen Bewegung umgewendet, ihre Augen begegneten denen des Fragenden, die mit einem eigentümlichen, beinahe finsteren Ausdruck auf ihrem Antlitz hafteten. Sie senkte langsam die Wimpern unter diesem Blick, aber sie erwiderte in kühlem Tone: „Herr Adlau – wenn ich nicht irre.“

Er verneigte sich tief und förmlich.

„Sie irren in der That nicht, gnädige Frau – Robert Adlau.“

„Was, der Robert?“ rief der alte Herr in maßlosem Erstaunen. „Wie in aller Welt kommst du – ich bitte um Verzeihung, wie kommen Sie hierher, Herr Adlau?“

„Bitte, bleiben Sie bei dem Robert,“ sagte Adlau herzlich. „Es klingt mir wie ein Gruß aus der Heimat, die ich lange genug entbehrt habe. Aber Ihre Frage möchte ich Ihnen zurückgeben. Bei mir ist es gerade nicht wunderbar, wenn ich an irgend einem entlegenen Punkte der Welt auftauche, doch wo kommen Sie her?“

„Wir kommen von Triest und wollen nach Korfu.“

„Dann haben wir den gleichen Weg, dahin gehe ich auch, aber ich bin erst in der letzten Nacht an Bord gekommen, als der Dampfer in Brindisi anlegte.“

Es trat ein kurzes Schweigen ein, fast wollte es scheinen, als waltete bei diesem unerwarteten Zusammentreffen irgend ein Zwang vor; aber jetzt mischte sich Herr Wellborn in das Gespräch und bat, dem fremden Herrn vorgestellt zu werden, in dem er so etwas wie einen Weltreisenden witterte. Er stürzte sich deshalb schleunigst auf diese neue Bekanntschaft, die sich nur leider sehr kühl verhielt. Adlau streifte ihn mit einem flüchtigen Blick, nahm die Vorstellung mit einer ziemlich nachlässigen Verbeugung entgegen und sagte gar nichts, während der junge Mann auf ihn einsprach.

„Ich mache gegenwärtig meine erste größere Reise,“ erklärte er. „Ich bin gewissermaßen noch Lehrling in dem höheren Reiseleben, hoffe aber mit der Zeit Meister darin zu werden, wie die Frau Baronin es ist und wie Sie es ohne Zweifel sind, Herr Adlau. Habe ich vielleicht das Vergnügen, einen unserer kühnen Forscher und Entdecker in Ihnen zu begrüßen? Einen Afrikareisenden –“

„Bitte, nichts dergleichen,“ schnitt ihm der andere ohne weiteres das Wort ab.

„Wirklich nicht? Aber Sie sehen so ungemein tropisch aus, und Sie äußerten ja auch vorhin, daß Sie an den entlegensten Punkten der Welt zu finden seien. Wo waren Sie zuletzt, wenn ich fragen darf?“

„In Amerika.“

„O, Amerika! Das kenne ich auch noch nicht, aber ich will später jedenfalls hinüber. Waren Sie in New York, Chicago?“

„So ziemlich überall in dem ganzen Weltteil.“

„Das muß höchst interessant gewesen sein!“

„Je nachdem,“ sagte Adlau trocken. „Es kann unter Umständen auch recht ungemütlich sein. Man entbehrt dort bisweilen die allernotwendigsten Kulturerrungenschaften. Handschuhe z. B. kann man weder beim Goldgraben in Kalifornien noch in den Ranchos von Brasilien tragen.“

„Fatal, aber trotz alledem interessant,“ meinte Herr Wellborn, der sehr enganschließende wildlederne Handschuhe trug und den Spott durchaus nicht merkte. Er fragte unermüdlich weiter, bis Robert Adlau ungeduldig wurde und ihn abschüttelte. Er wandte sich wieder dem Geheimrat zu mit den Worten: „Ich komme soeben vom Rhein, aus unserer gemeinsamen Heimat, und da darf ich wohl nicht versäumen, mich Ihnen als zukünftigen Gutsnachbar vorzustellen.“

„Als was?“ fragte Rottenstein verwundert. „Ich wüßte wirklich nicht –“

„Nun, Sie sind doch Besitzer von Lindenhof, wie man mir sagte.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0470.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)