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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

argen Rückfall, „Psyche ist es ja wohl nicht, aber einen Amor hat sie doch schon.“

Fräulein Gudula Wöllchen erschrak sehr, als der blondbärtige Herr im grauen Reiseanzug sich so unversehens mit höflichem Gruße an sie wandte und sagte: „Verzeihen Sie, mein gnädiges Fräulein, wenn ich mir erlaube … Friedrich Carl Meißner, für das Haus Engels, Schwarz und Compagnie … Ich hörte nämlich vorhin zufällig, wie Sie neben mir den Brief da verlangten,“ fuhr er noch leiser fort, „und ich glaube Ihnen darüber eine Mitteilung schuldig zu sein.“

Nun erschrak sie erst recht und verwünschte zum erstenmal ihre Gutherzigkeit, da sie in dem Fremden zum mindesten so etwas wie einen Geheimpolizisten witterte, trotz seiner harmlosen kaufmännischen Vorstellung. „Bitte, bitte!“ stammelte sie und schritt eilfertig aus dem Lichtglanz des Postgebäudes tiefer in das Dunkel des Platzes, während der Herr mit großer Höflichkeit nach ihrer linken Seite überschwenkte und dabei durch sein Manövrieren ihre Angst noch steigerte.

„Wie gesagt, mein gnädiges Fräulein,“ begann Herr Friedrich Carl Meißner, „es war der reine Zufall, daß ich vorhin neben Ihnen stand und in Ihnen die liebenswürdige Empfängerin dieses Briefes kennenlernte; ich bin erst vor einer Stunde mit der Bahn angekommen und wollte nur nachfragen, ob Briefe von unserem Hause für mich vorlägen. Ich bin nämlich aus derselben Stadt wie Ihr Brief da, und wenn ich auch nicht weiß, was darin steht, so weiß ich leider genau, was in den Briefen stand, die Sie vorher geschrieben haben, und wenn ich Ihnen sage, daß es außer mir noch einige Dutzend anderer Leute bei uns wissen, so werden Sie mir ohne weiteres zugeben, daß es meine Pflicht ist, Sie vor einem Menschen zu warnen, der das Vertrauen einer so liebenswürdigen jungen Dame so schändlich mißbraucht. Sie kennen diesen Herrn Adolf Schräger vielleicht nicht einmal dem Namen nach, er beliebte sich Ihnen ja als Marquis Posa vorzustellen. Ein netter Posa! Ich kenne ihn leider sehr genau, bin sogar schuld, daß er in unserem Kaufmännischen Verein Aufnahme fand, obwohl er erst Volontär ist – seinem Alter nach könnte er schon etwas anderes sein, aber er hat sich ja schon in verschiedenen anderen Branchen umgethan, war Student, Fähnrich, Schauspieler, was weiß ich – bis ihn schließlich sein Alter – pardon, sein Vater einem unserer Bankhäuser als Volontär auf den Hals lud; der Vater ist nämlich ein riesig reicher Wollhändler in irgend einem Nest an der polnischen Grenze. Ich will Ihnen weiter nichts davon erzählen, was der Kerl alles für Unfug in unserem Verein während dieses halben Jahres angestiftet hat; das Schlimmste, und das interessiert uns ja hier auch allein, war, daß er in der Bezechtheit mit Ihren Briefen herausrückte und Ihre zarten poetischen Gedanken in einem Tone erläuterte, wofür mir einfach die Ausdrücke fehlen! einfach fehlen!! Na, wir haben ihn denn auch ordentlich zugedeckt, denn so etwas dulden wir denn doch nicht in unserem Kreise, und als er gar nicht kleinbeigeben wollte und noch obendrein sich mausig machte, von Kartenwechsel sprach und von Forderungen und dergleichen, hat ihn mein Freund Konrad Müller – alter Artillerist, wissen Sie – vor die Thüre geworfen, der hat darin eine glückliche Hand; und in der nächsten Sitzung haben wir ihn mit Pauken und Trompeten rausballotiert. Wir dachten wenigstens, daß er jetzt genug von seiner Marquis Posaspielerei hätte, und übrigens wenn wir gewußt hätten, wie Fräulein Psyche mit ihrem Namen hieße, hätten wir Ihnen diskret Nachricht gegeben; aber das hat er uns nicht verraten, hoffentlich weiß er es selber nicht! Nun muß ich leider jetzt eben so rein zufällig erfahren, daß er das Spiel noch immer fortsetzt – das heißt für mich ist es ja natürlich ein sehr glücklicher Zufall, da er mir Gelegenheit giebt, einer so liebenswürdigen jungen Dame eine Warnung zukommen zu lassen, die Sie mir hoffentlich nicht verübeln werden! Sollte ich Ihnen übrigens in dieser Angelegenheit irgendwie nützlich sein können, mein gnädiges Fräulein, so bitte ich, ganz über mich zu verfügen!“

So berichtete Herr Friedrich Carl Meißner, während er mit seiner Begleiterin unter den duftenden Linden des Postplatzes hin und her wandelte und bei jedem Umwenden seine höfliche Flankenverschiebung sehr geschickt wiederholte, ohne dabei im Sprechen innezuhalten. Fräulein Gudula Wöllchen aber bewies jetzt, daß ihre viel mißbrauchte Gutherzigkeit sich mit einer starken Gabe praktischen Verstandes paarte. Thea Siebold hatte ihr nichts von dem Gegenstande des Briefes erzählt, und auch aus den Worten des fremden Herrn wurde sie sich noch nicht ganz klar darüber; aber sie verstand ohne weiteres, daß Thea Siebold sich in eine gefährliche Verbindung mit einem schlechten Menschen eingelassen habe, daß man ihr womöglich heraushelfen müsse, und sie fühlte, daß aus den Worten des Warners an ihrer Seite eine tüchtige und zuverlässige Gesinnung spreche. Und so antwortete sie frei weg: „Es liegt da ein kleines Mißverständnis vor, Herr – – Meißner, nicht wahr? – Ich bin nämlich selbst nicht die Empfängerin dieses Briefes, ich sollte ihn nur für eine Freundin abholen, und ich wußte bis jetzt überhaupt nichts von der Geschichte. Aber das macht ja weiter nichts; das konnten Sie ja nicht wissen, und ich muß Ihnen für Ihre freundliche Mitteilung gerade so gut im Namen meiner Freundin danken, als wenn es mich selber anginge. Wenn aber jener Mensch Briefe von meiner Freundin hat und so wüst damit umgeht, so müssen wir doch sehen, daß er sie wieder herausgiebt, nicht wahr? Und dazu könnten Sie und Ihre Freunde wohl helfen. Wenn Sie mir vielleicht“ – sie stockte ein wenig und errötete unter dem Schleier – „wenn Sie mir Ihre Adresse angeben wollten –?“

„Friedrich Carl Meißner, Geschäftsreisender – ich logiere hier im ‚Preußischen Hof‘,“ erwiderte der Herr mit einer Verbeugung. „Gnädiges Fräulein machen mich wirklich sehr glücklich durch Ihr Vertrauen, und ich werde es nicht enttäuschen. Bitte nur tausendmal um Verzeihung wegen des Mißverständnisses! Es ist mir in der That eine große Erleichterung, daß Sie nicht die Hereinge – – pardon, die Getäuschte sind, so sehr ich auch Ihre Freundin bedaure. – Aber dann müßte ich mir doch schon die Freiheit nehmen, gnädiges Fräulein um Ihren werten Namen zu bitten!“

„Gudula Wöllchen heiße ich,“ sagte sie, „mein Vater ist Weinwirt – Langgasse 37, im ‚Goldenen Fäßchen‘. – Wir führen das Schild schon seit achtzig Jahren,“ fügte sie hinzu; denn dies war ihr einziger, ererbter und anerzogener Stolz.

„Ah, sehr angenehm – sehr angenehm,“ erklärte er mit aufrichtigem Vergnügen. „Dann habe ich ja die Ehre, sozusagen eine werte Geschäftsfreundin vor mir zu sehen. Ihr Herr Vater bezieht schon seit zwanzig Jahren von uns – wollte eben morgen früh bei ihm vorsprechen. Ich mache die Tour zum erstenmal – mein Vorgänger war der alte Hilgers, wenn Sie ihn gekannt haben? Er schnupfte.“

„Gewiß habe ich ihn gekannt,“ antwortete sie freundlich, „und er hat mich manches Mal zum Niesen gebracht. Nun, dann werden wir uns ja wohl noch öfters sehen, Herr Meißner. Ich muß jetzt nach Hause …“

„Wenn gnädiges Fräulein vielleicht meine Begleitung –“

„Danke sehr,“ erwiderte sie mit einem schalkhaften Lächeln. „Sie sehen ja, wie man sich in acht nehmen muß vor den Leuten. Adieu, Herr Meißner – auf Wiedersehen!“

Damit nickte sie ihm zu und entfernte sich leichten Schrittes.

Herr Friedrich Carl Meißner blickte ihr ganz begeistert nach. „Famoses Mädel!“ murmelte er. „Das wäre so was für einen ehrlichen Geschäftsmann. Und dazu die Tochter aus einer solchen stillen Goldgrube – womöglich die einzige Tochter. – Na, das ist doch mal eine Tour, die vernünftig anfängt!“


4.

Hartwig Hoven saß auf dem Sofa und blickte verdrießlich in einen Brief, den ihm das Mädchen mit dem Nachmittagskaffee heraufgebracht hatte, als Gertrud mit einer häuslichen Anfrage ihrer Mutter in die Thür trat. Er hatte schon beim Nachhausekommen so gedankenvoll dreingesehen, vermutlich war ihm etwas Unangenehmes im Dienste widerfahren. Um so mehr that es ihr leid, daß sichtlich auch der Brief ihm nur Aerger bereiten mußte.

„Sie haben eine unerfreuliche Nachricht erhalten?“ fragte sie bescheiden, mit leiser Stimme.

Er fuhr auf und warf den Brief mit einem ärgerlichen Lachen auf den Tisch. „Im Gegenteil,“ sagte er. „Wenigstens der Brief fängt mit einem ,Du wirst Dich gewiß freuen‘ an. Meine Tante Alma – meines Vaters Stiefschwester – ist auf den Einfall gekommen, vor ihrer Badereise auch diese Stadt mal kennenzulernen, und sie beauftragt mich, ihr ein ruhiges Zimmer auf ein paar Wochen zu verschaffen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0443.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2021)