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Und nun änderte sich der Anblick der Gesellschaft in reißender Schnelligkeit. Die verbannten Aristokraten kehrten zurück, und man sah ihre Einwirkung sofort an der feiner und anständiger werdenden Mode. Die Unverhülltheit durfte sich nicht mehr sehen lassen, die Damen erschienen jetzt in weniger ausgeschnittenen, feinen, langen Musselingewändern, duftige Turbans um die Lockenhaare, und in allem bemüht, Haltung und gute Sitten an den Tag zu legen. Ganz unwillkürlich erhoben sie sich, wenn Josephine in ihre Mitte trat, und diese selbst war eifrig bestrebt, den Wert zu behaupten, welche ihre aristokratische Geburt und Erziehung sowie die Bekanntschaft mit dem alten Adel ihr in Bonapartes Augen verliehen. Letzteres allerdings überschätzte er im Anfang: Frau von Beauharnais war niemals bei Hofe vorgestellt worden und hatte nicht mit den Vornehmsten verkehrt, aber nun, da sie die Frau des Machthabers war, schätzten sich viele von jenen glücklich, sie aufzusuchen und ihre Vermittlung in Anspruch zu nehmen, um die konfiscierten Güter und Vermögen ganz oder teilweise zurückzuerhalten, und Josephine wirkte unermüdlich für sie.

Bonaparte als Realpolitiker schätzte den Wert einer wahren Vornehmheit sehr hoch; die guten Formen und das tadellose Benehmen wünschte er durchaus für seinen konsularischen Hofstaat, obgleich seine rücksichtslose Natur eigentlich allen Förmlichkeiten feind war und er sich fortwährend grobe Unarten zu schulden kommen ließ. Er wußte, was ihm fehlte, und wünschte, es in anderen zu sehen.

Mit der Reorganisation fing er im eigenen Hause an und verbot mitleidlos und ungerührt von Josephinens Thränenströmen ihren Umgang mit ihren liebsten Freundinnen, der übelberufenen Madame Tallien und vielen anderen. Er wünschte Damen von unzweifelhaftem Ruf bei ihr zu sehen, Damen, die „einen Salon hielten“, wie Frau von Montesson, die erste Aristokratin, welche wieder Feste im alten Stil gab mit gepuderten Lakaien und herrlichen Tafeln voll Silbergeschirr, Frau von Genlis, die für feine Sitte und Anmut berühmte Schriftstellerin, Frau von Rémusat, die wahrhaft vornehme und hochgebildete Verfasserin der bekannten Memoiren, welche jahrelang als Hofdame bei Josephine war. „Heiraten Sie und machen Sie einen Salon!“ war Napoleons ständige Ermahnung an seine Offiziere, und er übernahm mit großem Vergnügen die Auszahlung der Mitgift, wenn einer dadurch eine Tochter aus einem armen adeligen Hause erhielt. Es hielt dies nicht leicht, denn die wirklich Vornehmen, die nun zurückkehrten, hatten eine große Abscheu vor den Volkssöhnen mit dem Marschallsstab im Tornister, von denen nur wenige, wie Junot und Lannes, elegante schöne Männer, die Mehrzahl aber etwas brüske Gesellen waren, die in Gegenwart der Frauen nur schwer die Lagermanieren zu verleugnen vermochten. Aber der Wille des Ersten Konsuls brachte diese doch auf Freiersfüße, und so schwärmte es bald von Brautschaften und Hochzeiten in Malmaison, wohin er sich in den Sommermonaten mit Josephine begab. Bei jenen Hochzeitsfesten fand der Anfang einer Versöhnung der Parteien statt, aber die kirchliche Trauung, auf welcher die aristokratischen Mütter bestanden, wollte den jungen Revolutionsgeneralen nur schwer in den Kopf und andrerseits entschlossen sich die Priester nur sehr ungern, diesen offenkundigen Gottesverächtern den Segen zu erteilen. Aber auch hier half der Wille des Mächtigen, der den aristokratischen Zuwachs seiner Gesellschaft dringend wünschte.

Und so entfaltete sich denn in Malmaison bald eine große Heiterkeit und jeder Tag brachte neue Vergnügen. An schönen Tagen wurden die Tische im Freien unter hohen Bäumen gedeckt, dann spielte die ganze Gesellschaft Federball auf dem Rasen. (Das Kartenspiel mit dem Ersten Konsul war minder gesucht, denn er „mogelte“ ganz unverschämt und hatte seine Freude am Pech der andern.) Sonntags gab es kleine Bälle, dazwischen Komödienspiel mit großem Empfang verbunden, wo ausgesuchte Erfrischungen gereicht wurden und die vielen Gäste, auch die fremden Diplomaten, entzückt waren von der Freundlichkeit des Ersten Konsuls und der unvergleichlichen Grazie, mit der die immer noch schöne Josephine die Honneurs machte.

Es bestand ein großer Kontrast zwischen ihrem schwebend anmutigen Gang und dem hastigen Hereinschießen Bonapartes, der nur zu oft im Fall war, zu dem goldgestickten konsularischen Frack, welchen seine Mitkonsuln Cambacèrès und Lebrun mit Puderköpfen, seidenen Strümpfen und Spitzenjabots trugen, Kniestiefel und eine Uniformsweste anzuhaben, wenn er von seiner Arbeit in den Salon herüberkam. Seine kleine, magere Figur mit dem schlichten Haar und gelben Gesicht sah in dem sonderbaren Aufzuge eigentlich komisch aus, aber niemand hätte gewagt, dies zu finden!

Napoleon war keine gesellige Natur und that sich bei solchen Gelegenheiten Zwang an. Wenn er seine Runde gemacht hatte, stellte er sich ans Kamin und beobachtete mit auf den Rücken gekreuzten Armen die Anwesenden, warf auch hie und da eine seiner kurzen, treffenden Bemerkungen ins Gespräch, die, wo sie uns wörtlich überliefert sind, einen unaufhaltsam eindringenden Verstand, eine scharf schneidende Logik und eine sehr genaue Menschenkenntnis, wenn auch wenig Menschenliebe, beweisen.

Josephinens Toiletten bei solchen Gelegenheiten erregten den Neid und die Bewunderung der anderen Frauen, aber sie verbrauchte auch Unsummen dafür und steckte doch fortwährend in Schulden. Von den feinsten indischen Shawls, deren jeder ein kleines Vermögen kostete, besaß sie Dutzende, auch verstand sie die Kunst, die scheinbar so einfachen, stoffarmen „Empire-Kleider“ unerhört teuer zu machen. Einmal erschien sie bei einem solchen Empfang in Malmaison in einem weißen Kreppkleid, das über und über mit frischen Rosenblättern besät war, die natürlich erst im letzten Augenblick von vielen Händen aufgeheftet werden konnten, ein andres Mal war das Kleid ganz mit kleinen perlgeschmückten Tukanfedern überdeckt und ein prachtvoller Rubinenschmuck zierte Kopf und Hals.

Sie fühlte sich schon als Herrscherin und Napoleon war derselben Meinung. Beim Tode seines Schwagers, des Generals Leclerc, legten die Damen seines „Hofes“ Trauer an. Die beiden andern Konsuln mußten es dulden, daß er seinen Namen allein unter die Dekrete setzte, und ihre Frauen bestritten nicht den unbedingten Vortritt Josephinens. Man sah die Diktatur voraus und ergab sich darein. Das erste äußere Zeichen dafür war die von Bonaparte beschlossene Uebersiedlung aus dem kleinen Luxembourg-Palast in die Tuilerien. Lebrun machte sie mit, der klügere Cambacèrès meinte, das schnelle Wiederausziehen würde ihm nicht behagen, und kaufte sich ein Haus, in welchem er Napoleons Glanz und Napoleons Sturz überlebte.

Der Einzug in die Tuilerien, die aber jetzt Gouvernementspalast genannt wurden, ging 1799 mit großem Pomp vor sich. Wie früher bei den Auffahrten der Könige, bildete die Garnison der Stadt Spalier für das große Geleite des Ersten Konsuls. Er erschien in einem von sechs prächtigen Schimmeln gezogenen Wagen und der Enthusiasmus der Pariser stieg um ein bedeutendes, als ruchbar wurde, diese Pferde seien ein Geschenk des österreichischen Kaisers nach dem Frieden von Campo Formio. Hinter Napoleons Wagen erschien der Staatsrat in Kutschen, die stark von jenem abstachen: es gab keine Equipagen mehr in Paris, so hatte man Fiaker nehmen müssen, deren Nummern mit dunklem Papier verklebt wurden! Mit Mühe waren für die Minister ein paar anständige Wagen aufgetrieben worden.

Dies sollte sich nun alles aufs schnellste ändern. Bonaparte, der bei jeder Ausfahrt von den Huldigungen der Menge und bei den Paraden von ungeheurem Enthusiasmus der Soldaten umgeben war, er sah seinen Weg vor sich und betrat ihn mit festem Schritt. Er war der glückliche Erbe der Revolution, sein organisatorisches Genie übersah und reformierte das ganze Gebiet der Staatsverwaltung, und die Mitwelt nahm willig die neue Gesellschaftsordnung aus seiner Hand an. Staatsreligion, Etikette, Standesunterschicde, diplomatische Verbindungen, alles, was einen monarchisch regierten Staat bezeichnet, wurde wiederhergestellt, die Empfänge in den Tuilerien vollzogen sich nach einem bestimmten Ceremoniell, und als die Jahrhundertwende herankam, da hatte Paris einen Hof und einen Herrscher, wenn derselbe auch noch keine Krone trug.




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