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in engerem Raum gehaltenen Tiere entwickelten sich lange nicht so schön wie im Zustande der Freiheit, und im Durchschnitt waren ihre Federn minder wertvoll als die von wilden oder auch nur in größerer Freiheit lebenden Straußen. So stammen denn merkwürdigerweise die besten Federn stets von wilden Straußen her.

Zum Schluß sei noch mit einigen Worten der „Hauptstadt“ der Kolonie, Windhoek, gedacht, deren Ansicht wir im Bilde (S. 430) wiedergeben. Die in einer leicht welligen Gegend gelegene, den Anasbergen benachbarte Stadt zerfällt in zwei Teile: in den eigentlichen Regierungsbesitz Groß-Windhoek und in die Ansiedelung Klein-Windhoek. Groß-Windhoek ist ein Fort, das ungefähr 100 Mann Besatzung aufnimmt und die umliegenden Gelände mit seinen Geschützen vollständig beherrscht. Im Norden ist die Festung umgeben von Verwaltungsgebäuden, Stallungen, Werkstätten etc.

Klein-Windhoek breitet sich in einem weit geöffneten fruchtbaren Thal aus und macht mit seinen kleinen, von wohlgepflegten Gärten umgebenen Häusern den Eindruck eines wohlhabenden Gebirgsdorfes. Groß-Windhoek hat etwa 350 Einwohner europäischer Abstammung. Die den größeren Teil der eingeborenen Einwohnerschaft bildenden Bergdamara, Hottentotten und Bastards wohnen in Hütten von ganz eigenartiger primitiver Bauart. Windhoek hat eine Besatzung von zwei Kompagnien und besitzt zwei Gasthäuser; ein etwas verfallener Turm im Westen der Stadt bietet einen weiten Ausblick in das vorliegende Thal.




Die Pariser Gesellschaft vor hundert Jahren.

Von R. Artaria.

Die Schreckenszeit war vorüber, die allgemeine Erstarrung gegenüber den blutigen Greueln gelöst. Mit Gelächter und Mutwillen hatte eine Schar junger Leute, steckenbewaffnet, den Rest des einst so gefürchteten und furchtbaren Jakobinerklubs auseinandergetrieben, und im Konvent saßen statt der früheren Schreckensmänner einsichtige Leute, die gewillt waren, den Wiederaufbau der Staats- und Gesellschaftsordnung zu unternehmen.

Eine Riesenaufgabe! Denn einem furchtbaren Brande gleich hatte die Schreckenszeit beides vernichtet, und auf der ungeheuern Trümmerstätte galt es nun, die ursprünglichen Fundamente wieder aufzugraben und unendlichen Schutt zu beseitigen, ehe an einen Neubau auch nur zu denken war. Im vergeblichen Streben danach vergingen die paar Jahre des Direktoriums, während welcher sich die bisher zurückgedrängte Pariser Lebenslust in vollem Strome neu ergoß und auf dem kaum geschlossenen blutigen Schlunde ausgelassene Feste feierte. Es war ja so lange her, daß man dergleichen nicht erlebte, denn die traurigen „Verbrüderungsmahle“ der Schreckenszeit, mit der steten Angst vor Denunziation und Verhaftung, konnten niemand als ihre rohen Anstifter erfreuen: auf der Gasse unter freiem Himmel wurden lange Tische aufgestellt, hier mußten die Familien ihr Abendessen in Gesellschaft eines jeden einnehmen, dem es gerade gefiel, hier seinen Wein zu trinken und die Ohren der Frauen durch schmutzige Reden zu beleidigen. Monsieur oder Madame zu sagen, war ein Verbrechen und konnte sofort die furchtbare Denunziation aristokratischer Gesinnung nach sich ziehen. Niemand „empfahl sich“ mehr oder „hatte die Ehre“. Im allgemeinen Du waren Bürger und Bürgerinnen gleich. Trotzdem gab es am Anfang der Revolution, als Titel oder Adel abgeschafft wurden, hartnäckige alte Marquisen, welche die Röcke ihrer Bedienten nicht wenden ließen, damit man die Spur der abgetrennten Tressen sehe. Und Mirabeau selbst, der feurige Freiheitskämpfer, als er von jener Sitzung, welche die Abschaffung des Adels beschloß, nach Hause kam, faßte seinen Bedienten am Ohr und rief lachend: „Für dich, Kerl, werde ich hoffentlich immer der Herr Graf bleiben!“

Wie so vieles im öffentlichen Leben hatten die Theater, einstmals der Tummelplatz der eleganten Welt, ihre Physiognomie gewaltig verändert, und ebenso ihr Publikum; sie gewannen während der Revolutionszeit eine bis dahin ungeahnte politische Bedeutung. Den ersten Anfang dazu lieferte die von Ludwig XVI nur widerstrebend zugegebene Aufführung der „Hochzeit des Figaro“ von Beaumarchais. Ein rasender Beifallssturm begrüßte das Stück, dessen frivole Handlung zum erstenmal direkt die Laster der Privilegierten angriff. „Figaros Hochzeit“ half die Revolution vorbereiten.

Als sie ausgebrochen war, tauchten überall neue Theater auf. Mit Vorliebe wurden dafür Kirchen verwandt, und auf der Bühne sowohl als im Parterre spielten sich die wütendsten Demonstrationen ab. „Schießt sie tot!“ brüllten diejenigen, die mit dem Applaus der Gegenpartei nicht einverstanden waren, und sofort begannen die Thätlichkeiten, welche von den Schauspielern noch angefeuert wurden. Diese selbst waren über scenische Vorurteile erhaben und überboten sich in Nichtachtung der hergebrachten Anstandsregeln. Fehlte eine Thüre, so kam Brutus oder Cassius zum Fenster herein, und bei dem tragischen Tode des Sokrates lagen lange Pfeifen auf dem Tisch seines Kerkers. Die Dialoge wurden so, daß ehrbare Frauen das Theater nicht mehr besuchten, die Stücke aber, soweit man noch Klassiker aufführte, wurden gänzlich nach dem revolutionären Bedürfnis zugeschnitten und aus Corneilles und Racines höfischen Dramen alles ausgemerzt, was an das Königtum erinnerte: die Könige wurden in „Helden“ umgewandelt und mußten sich bequemen, die Nationalkokarde zu tragen, die überhaupt unentbehrliches Kostümstück war. Theseus und Britannicus hatten sie ebensogut an ihren Kopfbedeckungen als Tartüffe und Molières elegante Marquis. Auch die Dämonen und Zephyre konnten nicht ohne diesen Schmuck erscheinen, während Nymphen und weibliche Gottheiten ihre weißen Gewänder mit blau und roten Bändern zu verzieren hatten. Der Patriotismus vertrat die Stelle der Kunst, von der jene sämtlichen Herren und Damen keine Ahnung hatten. Die alte Schauspieltradition war mit einem Schlag beseitigt, denn die comédiens du roi[1] hatte man als feile „Fürstenknechte“ samt und sonders ins Gefängnis geworfen, aus dem sie nur zum kleineren Teil wieder befreit wurden.

Der Terrorismus gegen das Adjektiv „königlich“ stieg überhaupt nach der Hinrichtung des unglücklichen Ludwig auf einen unglaublichen Grad. Es gab keinen „gâteau royal[2]“ mehr, keine „montre royale[3]“, ja der Purismus erstreckte sich sogar bis auf den König im Kartenspiel. Er durfte nur noch: „pouvoir exécutif[4]“ genannt werden, und man kündigte demnach sein Spiel an: „Six As de coeur et pouvoir exécutif de trèfle“. Ein idealerer Kartenfabrikant verfiel darauf, seine Könige in Genien zu verwandeln: und zwar den Herzkönig in den Kriegsgenius, während die von Treff, Pique und Carreau die Genien des Friedens, der Kunst und des Handels bedeuteten. Auch die Weisen des Altertums Sokrates, Plato, Aristoteles und Solon mußten sich’s gefallen lassen, an Stelle der Buben ins Kartenspiel zu treten, selbst die modernen großen Gelehrten, Voltaire, Buffon u. a., wurden den Bürgern in gleicher Weise vorgeführt. Weisheit und Tugend waren ja die Schlagworte der Machthaber, welche tagtäglich die unsinnigsten Greuel begingen und Ströme von Blut vergossen.

Für ihre Zwecke bedurften sie natürlich der Presse und handhabten sie mit einer Zügellosigkeit, von der man sich heute keinen Begriff mehr macht. Ueberall tauchten Blätter und Blättchen auf, welche den Krieg der verschiedenen Parteien innerhalb des Konvents führten, aber einig waren in schamloser Verleumdung des Gegners und fürchterlicher Gemeinheit. Solange das unglückliche Königspaar lebte, wurden ihm täglich die Jakobinerblätter recht auffällig vor Augen gelegt, worin Ludwig ein Dieb und Mörder, Marie Antoinette eine verworfene Person, schlimmer als Messalina, genannt wurde. Sie bewahrten diesem ekelhaften Schmutz gegenüber so stolz und ruhig ihre Würde, als es andrerseits viele der gefangenen Aristokraten thaten, welche in



  1. Königliche Schauspieler.
  2. Königskuchen.
  3. Königsuhr.
  4. Vollziehende Gewalt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0431.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2021)