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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

darauf Achim, für seine „junge Frau Gemahlin“ auch etwas zu wählen. Darüber lachten sie nun noch mehr.

Unterdes hatte Onkel Fritz mit dem Herrn des Hauses selbst leise verhandelt.

„Nun, ist das große Geschäft gemacht?“ fragte er, „hat Susanne gewählt?“

„Erst eine engere Auswahl von zehn Stücken,“ erklärte Sabine.

„Das kenne ich. Dann kommt die engste von fünf. Und dann die allerengste von zweien. Und dann die Wahl nach dem Preis, wobei Susanne meint, aus Bescheidenheit das Billigste wählen zu müssen. Liebe Sabine, heute bestimmen Sie! Ihr tadelloser Geschmack wird für meine alte Freundin schon das Beste finden.“

„Dann das,“ raunte Susanne und zeigte mit begehrlichen Blicken auf eine Brosche, die sie sich sehr kleidsam für ihre Mama dachte.

„Also hier.“

Auch Achim sah die bunten Kleinigkeiten mit begehrlichen Blicken an. Brennend gern hätte er den beiden Damen ein Andenken an diese Tage gekauft. Nur einen Scherz – nur irgend ein kleines Ding, das sie am Arme oder am Halse tragen konnten. Er wagte es nicht. Er sagte sich, daß er keck den Augenblick hätte ergreifen müssen, wo der Verkäufer ihn aufforderte, für seine „Frau Gemahlin“ etwas zu wählen; da hätte er scherzen können, „die Damen sind meine Schwestern, geben Sie ihnen zwei gleiche Anhänger.“ Der Augenblick war verpaßt. Achim ärgerte sich.

„Bitte, Kinder – wollt ihr eure Handschuhe ausziehen. Jede den linken,“ sagte Onkel Fritz.

Befremdet und verlegen gehorchte Sabine, freudig und auch ein bißchen verlegen Susanne. Sie begriffen beide auf der Stelle, daß Onkel Fritz ihnen einen Ring schenken wolle.

Er ist zu gut, dachte Susanne dankbar. Geht das nicht zu weit? dachte Sabine, wie kann ich fort und fort von ihm annehmen, ich stehe doch nicht so zu ihm wie Susanne!

Onkel Fritz war dabei, an Susannens Finger einen köstlichen Ring zu schieben. Es war ein glatter Reif mit drei gleichmäßig großen Steinen. Befriedigt lächelnd sah Onkel Fritz in das Freude glühende Gesicht seines Lieblings.

„Da,“ sagte er, „der Saphir heißt: bleibe so treu, der Rubin: bleibe so Weib, und der Brillant: bleibe so rein, wie du bis jetzt warst.“

Obgleich man sich in einem Juwelierladen befand und die draußen vorbeischlendernden Menschen hereingafften, fiel Susanne ihrem lieben Onkel Fritz jubelnd und dankend um den Hals.

„Gottlob,“ dachte Sabine, „dies war ihm der eigentliche Zweck. Sein Takt verbietet ihm, mich ganz zu übersehen.“

Und sie erwartete, daß er ihr einen unbedeutenden kleinen Ring geben werde, vielleicht mit dem Bemerken „für Milly“.

Als der alte Herr nun an sie herantrat, schien sich plötzlich so etwas wie Feierlichkeit über sein Wesen zu legen. Auch der Juwelier nahm eine besondere Haltung an. Er wußte, daß nun erst die große Kostbarkeit verschenkt wurde.

Achim hatte eine Mißempfindung. Bin ich neidisch, dachte er, daß ich nicht so mit Diamanten um mich streuen kann? Oder was ist es sonst?

Er sah, daß Sabine noch blasser wurde, als sie gewöhnlich war, und daß der Ausdruck eines Schrecks über ihre Züge ging.

Und dann sah er, daß der alte Herr ihr schweigend einen kostbaren Ring an den Finger schob, einen Reif, der eine große Perle trug, um welche ein Kreis von Brillanten flimmerte.

Sabine atmete schwer. „O, mein Gott!“ sagte sie.

Stumm und ritterlich neigte sich der alte Herr und küßte die Hand, die er eben so fürstlich geschmückt hatte. Und als er sich wieder aufrichtete, streifte sein Blick beinahe scheu das Antlitz der schönen Frau und wurzelte sekundenlang in ihrem dunklen Auge.

„Ich danke Ihnen,“ sagte Sabine tonlos.

Achim wandte sich ab.

Sie gingen. Susannens kindliche, laute Freude deckte das Schweigen der anderen zu. Ihr ganzer Schmuckbestand setzte sich bisher aus den Sächelchen zusammen, die von ihrer Konfirmation stammten. Nun hatte sie einen kostbaren Ring, so schön, so herrlich, wie sie nie geahnt, einen zu besitzen. Und sie hing am Arm des alten Herrn und plauderte ihm ihren Jubel vor und erging sich in Vorstellungen, wie Mama über die allzugroße Güte doch schelten werde und vielleicht zanken, daß Susanne sie angenommen.

Sabine litt. Sie kam sich wie bedeckt vor mit der Schmach der Undankbarkeit und Unehrlichkeit. Heute abend noch will ich ihn um eine Unterredung bitten und ihm alles gestehen, dachte sie. Aber was hatte sie ihm denn zu gestehen? Nichts! Denn sie konnte nicht sagen: Achim und ich, wir lieben uns und wollen uns verbinden, trotz alledem. Ich vertraue mich dir an. Gieb mir deinen Beistand. Nein, das konnte sie nicht sagen.

Und ihm nur von der Not ihrer Kämpfe, von der Qual ihrer Leidenschaft sprechen? Ihm? Der ihr eben so – in solchem Schweigen und mit so rätselhaftem Blick diesen Ring gegeben!?

Nicht einmal in ihren Gedanken wagte sie, an der Bedeutung dieses Blickes sich grübelnd zu versuchen. Alles, was in ihr an Zartheit weiblichsten Empfindens war, nötigte sie, blind daran vorbeizueilen.

Und auch Achim litt. Das Geschenk des Ringes an Susanne war nur ein Vorwand, dachte er. Und staunend erwog er, ob ein Menschenkind je so alt werden könne, daß es aufhöre zu leiden. Er hatte sich vorgestellt, daß mit den weißen Haaren die große Stille des Lebens kommt.

Und ihm ahnte, scheu und von fern nur, daß er eben etwas habe verräterisch aufblitzen sehen, das etwas anderes war als unberührte Stille – – –.

Tote Seelen weckte sie wieder zu schmerzlichem Leben auf mit ihren lodernden Blicken!

Ihre Schönheit prangte vor aller Augen, und selbst auf der Straße standen die Menschen, ihr nachzuschauen, und sagten: „Wie schön!“

Schritt sie einher, so ging etwas Gebietendes von ihr aus. Es war, als umwittere sie eine Majestät.

Und er, dem dies alles zu eigen zu werden sich glühend drängte – – er sollte kalt und stark bleiben?! Und er war doch auch nur ein Mensch!

„Onkel Fritz,“ plauderte Susanne, „für eine Buchhalterin, die ich doch vom 1. Januar sein will, paßt es gar nicht, so köstlichen Schmuck zu haben.“

„Was,“ sagte Achim, sich gewaltsam bezwingend, „Sie wollen unter die emanzipierten Frauen gehen? Das erste Wort, das ich davon höre!“

„Mit Emanzipation hat das nichts zu thun,“ erzählte Susanne, ganz guter Dinge bleibend. „Mama hat vor einiger Zeit sehr viel von ihrem Vermögen verloren – durch – durch ein Ereignis. Ohne Onkel Fritz’ Güte könnten wir nicht in gewohnter Weise weiterleben. Nun hat Onkel Fritz mir fest versprochen, mindestens hundert Jahre alt zu werden, und ich werde also vierzig Jahre Zeit haben, ein Kapital zusammenzuverdienen.“

Achim hätte gleich viele Fragen thun mögen: was war das für ein Ereignis? Und: beerben denn nicht Sie in erster Linie Onkel Fritz? Er konnte nicht recht begreifen, daß Susanne ein armes Mädchen oder doch ein sehr bescheiden bemitteltes sein sollte. Die Vorstellung, daß sie für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen eines Tages gezwungen sein könnte, regte ihn sehr auf und verscheuchte mit einem Schlag alle quälenden Empfindungen, die ihn eben durchwühlt hatten. Aber er konnte nicht wohl fragen, denn der, dessen Tod und Hinterlassenschaft dabei ins Gespräch kommen mußte, ging ja neben ihnen.

„Kinder,“ sagte der alte Herr, stehenbleibend, „ich weiß nicht, – ist es die schwüle Luft – ein bevorstehendes Gewitter – ich bin sehr müde. Ich möchte allein sein und ruhen. Was meint ihr, wenn ich unserm verehrten Freund hier das Amt übertrüge, mit euch zu lunchen?“

Er lächelte – wie immer. Aber etwas sehr Wehes, Verlegenes war in seinem Lächeln.

„Die Damen können nur über mich verfügen,“ sprach Achim.

Susanne sah den Onkel liebevoll und ängstlich an.

„Wir werden Sie doch erst bis ins Hotel bringen dürfen?“ bat Sabine. „Bitte, stützen Sie sich auf mich!“

Der alte Herr wich zurück.

„Ich bitte Sie, liebe Sabine … ich werde mich doch nicht wie ein zerbrechlicher Greis betragen. Mein Arm für Sie! Aber nicht der Ihre für mich.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0422.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2021)