Seite:Die Gartenlaube (1899) 0406.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

um, zunächst als Pröpstin, in das Stift zu treten, und gedachte, dermaleinst ihre Laufbahn als Aebtissin desselben zu beschließen. Aber dieses Ziel zu erreichen, war ihr versagt; vierzehn Jahre kämpfte sie gegen Intriguen aller Art, und während dieser vierzehn Jahre blieb das Stift ohne Aebtissin. Zwei ältere Gräfinnen von Schwarzburg, welche die schöne, kluge, in allen höfischen Künsten, ja selbst in der Staatsweisheit nicht unerfahrene Dame förmlich haßten, strebten mit ihr nach dieser Würde.

Aurora und jene beiden Gräfinnen bildeten seit dem Ableben der Aebtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar das Kapitel, dem die Regierung bis zur Bestätigung einer Nachfolgerin oblag, kein Wunder, daß sie einander haßten und sich nie einigen konnten. Aurora besaß unstreitig die größte Aussicht, Aebtissin zu werden, ja ein offenbares Recht zur Nachfolge, denn auf Augusts des Starken Empfehlung hatte Anna Dorothea sie zur Koadjutorin in der Abtei erklärt, und daher ist es zu verwundern, daß Aurora ihr Recht nicht nachdrücklicher verfolgt hat.

Fenstersitz in den Gemächern der
Aurora von Königsmark.

Die Frau Kastellanin meinte freilich im Vertrauen, das Vorhandensein des spätern Marschalls von Sachsen sei ihren Plänen hinderlich gewesen, und vom Standpunkt sittenstrenger Stiftsfrauen läßt sich das begreifen, so tolerant auch die damalige Zeit gegen die Gunstdamen großer Herren verfuhr. Jedenfalls wurde Aurora nicht Aebtissin; die beiden Schwarzburgischen Gräfinnen freilich auch nicht.

Nachdem das Stift lange Zeit verwaist gewesen, nachdem Preußen und Sachsen sich in die Angelegenheit gemischt hatten und lange Verhandlungen gepflogen waren – die Gräfin Eleonore Sophie starb darüber hin – wurde endlich eine Aebtissin, Maria Elisabeth, Herzogin von Holstein, gewählt und bestätigt.

Maria Aurora von Königsmark blieb Pröpstin, doch hat sie den Akten nach als solche wenig Einfluß geübt, da sich kaum einige Unterschriften von ihr vorfinden. Sie starb in ihrem fünfzigsten Jahre; sie verwundete sich mit einer Nadel, erkrankte an Blutvergiftung und endete in der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1728 ihr Leben, das, in fürstlichem Glanz und Aufwand begonnen, in Sorge und Not seinen Abschluß fand. Der Hof zu Sachsen hatte ihr zuletzt die Einkünfte entzogen, die es ihr bisher ermöglichten, ein sorgloses, den Künsten und Wissenschaften gewidmetes Leben zu führen. Wie die Frau Kastellanin berichtet und die Chronik erzählt, hinterließ Aurora nur fünfundzwanzig Thaler, zehn Groschen, acht Pfennig, und viele, viele Schulden. Ihre Ausstattungstruhe, deren Beschläge dick vergoldet waren, steht in einem Winkel der einst von ihr bewohnten Gemächer und zeigt ihr Wappen. In der fürstlichen Gruft der Schloßkirche schlummert sie, wie ich vorhin schon erzählt habe, aber der Ruf ihrer Schönheit lebt noch fort im Munde der Quedlinburger, und der Fremde, der die Gruft betritt, fragt zuerst nach dem Sarge der schönen Aurora, dieser ungewöhnlichsten aller Stiftsdamen.

Die lieblichste unter den hohen Frauen, deren Porträts in diesem Saale hängen, dünkt uns die Prinzessin Amalia von Preußen, deren große blaue strahlende Augen an die ihres Bruders, des Großen Friedrich, erinnern. Zweiunddreißig Jahre hindurch war sie Aebtissin des Stiftes. Am 12. April 1756 huldigten ihr Rat und Magistrat, sowie die gesamte Bürgerschaft auf dem Markte, und unter ihrer Regierung erfuhren Stadt und Stift die Drangsale des Siebenjährigen Krieges. Die Frau Aebtissin residierte übrigens nicht in Quedlinburg, sie schenkte dem Stift nur dann und wann einen gnädigen Besuch; war sie aber zugegen, so sah das Schloß glänzende Tage, Gastmähler und Bälle.

Zum letztenmal kam sie im Jahre 1785, um eine neue Kanonissin und eine neue Pröpstin einzuführen. Ihre Gesundheit war erschüttert, sie hatte ja viel, sehr viel Schmerzliches erlebt, und der Tod Friedrichs des Großen brach ihre letzte Kraft. Am 30. März schloß sie die blauen bewunderten Augen für immer. Ihre Nachfolgerin, die letzte Aebtissin, war Sophie Albertine, königliche Prinzessin von Schweden, Schwester Gustavs III.

Mit dem Frieden von Luneville erlosch der Glanz des Stiftes, es verlor nun seine Reichsstandschaft und die Aebtissin ihre Landeshoheit, denn bis dahin war die Aebtissin ein eigner Reichsstand und die vornehmste unter den Reichsfürstinnen. Sie hatte Sitz und Stimme auf den Reichstagen und saß, wie schon im Beginn dieses Artikels bemerkt, auf der rheinischen Prälatenbank. Das Stift wurde jetzt als Fürstentum Quedlinburg dem preußischen Staat einverleibt, jedoch behielten die Frau Aebtissin und die vorhandenen Kapitularinnen ihre Einnahmen unbeschränkt und ebenso ihre Rechte und Freiheiten bis an ihr Ende.

Der Münzenberg.

Im September 1803 reiste Sophie Albertine nach Schweden, nicht ahnend, daß sie nie zurückkehren sollte; der Eroberungszug Napoleons bereitete ihrer Herrschaft das Ende. Der Friede von Tilsit raubte das Fürstentum Quedlinburg der Krone Preußen und teilte es dem Königreich Westfalen zu; es gehörte fürderhin dem lustigen Jérôme. Am 24. Januar 1808 wurde ihm öffentlich gehuldigt.

Im Jahre 1812 war es, als das Stift seinen Todesstoß empfing, seine sämtlichen Liegenschaften, Propsteien, Domänen, Vorwerke, Mühlen, Gärten und Aecker wurden verkauft, ebenso die Güter der Schloß- und Stiftskirche, die Kapitalien wurden eingezogen, die Hofgemeinde aufgehoben und der Gottesdienst eingestellt. Selbst die Altarleuchter und Kelche nahm man in Beschlag; ein Wunder, sagt

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0406.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2021)