Seite:Die Gartenlaube (1899) 0394.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

als kämen die Rätsel des Lebens an sie heran. Ein Schauer rann fröstelnd durch ihre Adern.

Sie versuchte sich vorzustellen, daß Sabine hier mit am Tische säße, daß Achim von Körlegg heiße Liebesblicke ihr zusende. Es ging nicht. Das konnte Susanne sich auf keine Weise vorstellen. Es erschien ihr unmöglich, daß dieser festblickende Mann, von dessen ganzem Wesen eine stille Energie ausging, sich der verderbenden Gewalt einer verbotenen Liebe hingeben sollte. Denn für Susanne blieb diese Liebe eine „verbotene“. Kein Mut, keine Kühnheit, keine Freiheit konnte je groß genug sein, sich über die Kluft hinwegzusetzen, die zwischen den unseligen Beiden gähnte.

Ob er wohl klarer sah als Sabine? Ob er dann nicht litt, sehr schwer und tief litt? Sie hätte in seiner Seele lesen mögen.

Wenn er wüßte, daß ich eingeweiht bin! dachte sie. Vielleicht weiß er es.

Sie fühlte sich ihm ganz vertraut. Er war ihr kein Fremder. Sie kannte sein Schicksal, das ihr ein ungeheures schien.

Er aber bemerkte wohl, daß ihre Blicke sich nicht mehr von ihm wandten. Und er erriet den Grund.

Ein Zorngefühl quoll in ihm auf. Instinktiv wehrte sich seine ganze Männlichkeit dagegen; er wollte nicht beobachtet sein als einer, der nicht mehr Herr seines Schicksals und seiner Person ist. Er fühlte sich als ein Mann, der aller Gefahr siegreich begegnet war. Und in diesem Augenblick glaubte er, daß es fortan überhaupt gar keine Gefahren mehr geben könne.

Er hätte wissen mögen, was dieses Mädchen von ihm wußte oder dachte. Das war ihm wichtig. Durch Sabinens Erzählungen war ihm Susannens Persönlichkeit sehr bekannt, sehr verehrungswert geworden. Sie war ein Mensch, von dem man geachtet zu sein wünschte.

Dachte sie, er habe kein Gewissen, keine ethischen Grundsätze? Nahm sie an, daß er widerstandslos dem Zauber der schönen Frau erlag, die unbewußt, getrieben von der elementaren Gewalt einer großen Leidenschaft, mit ihrem ganzen Wesen zur Versucherin an ihm geworden?

Wenn sie das annahm, konnte sie ihn dann noch für einen rechten Mann halten?

Oder glaubte sie, daß er bei all der Liebe, die ihm entgegenloderte, kühl und fest geblieben war? Daß er wie ein anderer keuscher Joseph seinen Mantel gelassen hatte und entflohen war?

Wenn sie das annahm, konnte sie ihn dann noch für einen rechten Mann halten?

Frauenlogik und Frauenempfindung ist in solchen Dingen unberechenbar. Ein Mann, der sich schwach in eine Leidenschaft verstrickt, erscheint ihnen oft der Teilnahme würdiger als einer, der ihr stark widersteht.

Als Unterlieger oder als Sieger – immer hat er das Urteil der Frauen zu fürchten. Ja selbst den Richterspruch der einen, um die er leidet!

So war für Achim wie für Susanne diese kurze, scheinbar harmlos verplauderte Stunde voll reichsten Inhaltes. Als man sich endlich trennen mußte und Abschied nehmend noch zusammenstand, erzählte der alte Herr, daß er nach Mühlau wolle, dort noch eine Nichte abzuholen. Bläser erlaubte sich die Frage nach dem Namen derselben. „Ach, die wunderschöne Frau von Zeuthern? Ich habe im Sommer oft das Glück gehabt, sie bei ihrem Bruder auf Heinsdorf zu treffen.“

„Da kennen Sie Frau Sabine besser, als ich sie noch kenne,“ sagte der alte Herr, durch diese gemeinsame Beziehung gleich noch zutraulicher geworden. „Ich bin ihr eigentlich ziemlich fremd. Aber mein klaräugiges Mädchen da meinte, eine solche Reise thäte Sabinen gut.“

Bläser machte sich ein bißchen wichtig und sprach sehr intim von Reinald Deuben, dem Oberamtmann und dessen Frau und dem Mühlauer Leben, wo Sabine von Zeuthern allerdings etwas deplaciert sei.

Achims Gedanken blieben an dem einen liebkosenden Wort hangen, das der alte Herr von Susanne gebrauchte, „mein klaräugiges Mädchen“.

Ja, besser konnte man sie nicht benennen. Da waren keine vulkanischen Untiefen. Da war Reinheit und Licht.

Die Offiziere gaben den Herrschaften noch tausend gute Wünsche mit auf die Reise und Achim sagte, daß er nach dem Manöver auch eine kleine Spritztour hinunter zu machen denke, worauf der alte Herr mit der landläufigen, konventionellen Freundlichkeit, die man in solchen Fällen aufwendet, antwortete, dann könne man vielleicht auf ein Wiedersehen hoffen.

Susanne erglühte dermaßen und zeigte so deutliche Spuren plötzlicher Erregung, daß Bläser später den Kameraden neckte, er habe Eindruck gemacht. Achim glaubte den Grund dieser plötzlichen Erregung zu erraten. Er schwieg zu den Neckereien und blieb sehr schweigsam den ganzen Tag.

Susanne aber konnte kaum den Augenblick des Wiedersehens mit Sabine erwarten. Durch die vielfach gestörten Verbindungen ward ihr dieser erst am nächsten Abend.

Sabine stand am Bahnhof. Blanker Sonnenschein brach eben, nach einem regnerischen Tag, durch die Wolken und warf ein hartes, gelbes Licht auf die nassen Büsche rechts und links vom roten Bahnhofsbau. Der kiesbestreute Perron glitzerte. Es war beinahe kalt. Sabine trug deshalb ein schwarzes Jackenkleid von Tuch, aber auf ihrem Hut steckten grünschillernde Fittiche.

Als die Freundinnen sich in jubelnder Freude umarmt hatten, gab Sabine, unwillkürlich etwas befangen, dem alten Herrn die Hand.

Onkel Fritz, groß und vorgebeugt, stand vor ihr und sah unter seiner gesenkten Stirn so forschend heraus, wie es nun einmal immer seine Angewohnheit war. Er beobachtete schnell, schweigend und intensiv. Es war Sabine, als durchschaute er sie ganz und gar. Sie lächelte den alten Herrn etwas gezwungen an.

„Papa und Mama bitten zum Abendbrot,“ bestellte sie. „Papa läßt sich entschuldigen, daß er nicht mit zum Empfang herkam. Er hat wieder dicke Füße.“

„Gut, gut,“ antwortete Onkel Fritz zerstreut.

Die außerordentliche Schönheit der jungen Frau machte ihn betroffen; noch mehr beschäftigte ihn der Ausdruck ihrer Züge. Schweigsam und zerstreut blieb er auch während der Abendtafel.

Er war mit Susanne im „Kronprinzen“ abgestiegen und fügte sich ungern in die freilich auch von ihm anerkannte Notwendigkeit, bei Sabinens Eltern zu speisen. Gegen den alten Deuben hatte er ein Dutzend Vorurteile; mit fremden Menschen unterhielt er sich nur, wenn er aus freiem Interesse die Unterhaltung suchte. Hier lag Zwang vor. Deubens waren ihm gänzlich fremd; von der kurzen Begegnung auf Sabinens Hochzeit hatte er kaum eine deutliche Erinnerung mehr.

Ebensowenig freudig erwarteten Deubens ihre Gäste.

Der alte Deuben war, wie viele Geizige, in die Taschen anderer Leute hinein generös und fand, das könnte Onkel Fritz wohl, zwei hübsche Nichten mit auf Reisen nehmen, daran habe er sicher viel Pläsier. Andrerseits empfand der Oberamtmann diese Reise doch wie einen stillen Vorwurf. Es war eigentlich gerade so, als ob sie ihrer Tochter selbst nicht genug böten. Ueberhaupt war der ganze Onkel Fritz sozusagen ein lebendiger Vorwurf – ein Mann, der so mit vollen Händen gab!

Um sich von diesem heimlichen Druck zu befreien, sprach der Oberamtmann viel von der Art, wie Onkel Fritz sich ausnutzen lasse, und Sabine hörte mit ihrem klugen Ohr sogar ein bißchen Geringschätzung heraus, was sie nicht wenig ärgerte.

Was am Abend gegeben werden sollte, hatte lange Debatten verursacht. Die Oberamtmännin schlug ein Vorgericht von Fisch vor. Aber das wäre dem Oberamtmann undenkbar erschienen, Fische an einem andern Tag als dem Markttag Sonnabend zu essen. Schließlich einigte man sich auf ein Ragout von Kalbsmilch und eine junge Gans. Die Kochfrau Heller, der Stolz von Mühlau, wurde für den Abend bestellt, und Sabine ängstigte sich, daß Onkel Fritz bemerken möge, wie viel Umstände er veranlasse; und zugleich hatte sie das Gefühl, daß ihr diese „Umstände“ sozusagen auf Rechnung gesetzt würden. „Diese Unbequemlichkeiten kommen uns durch dich!“ schien das Wesen ihrer Mutter zu sagen.

Der Oberamtmann zog seinen neuesten braunen Gehrock an, die Oberamtmännin trug ihre alte Staatsrobe, das starre schwarzseidene mit dem eingewebten gelben Treffasmuster. Zu Sabinens Hochzeit war es angeschafft worden. Es stand die Anschaffung eines neuen kostbaren Kleides für Reinalds Hochzeit bevor. Die Oberamtmännin nahm an, daß Onkel Fritz sich dieses ihres Kleides von Sabinens Hochzeit her sicher nicht mehr erinnere.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0394.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2020)