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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Steinen rann. Vorsichtig brachte er den vollen Hut getragen. „Da haben S’ Wasser, Herr Fürst … Sie müssen das arme Fräul’n ein bißl derfrischen!“

Als Ettingen aufblickte, sah er das Blut an den Händen des Jägers.

„Praxmaler! Ihre Hände!“

„No ja, natürlich … Sie haben halt ein bißl scharfe Nagel an die Schuh’! Aber macht nix! Ich hab’ eh ein wengerl z’viel Blüet im Leib’ … so ein kleiner Schröpfer is mir g’sund. Aber jetzt denken S’ net an mich …“

„Wie soll ich Ihnen diese Stunde danken!“

„Was? Danken? Das wär’ mir ’s Richtige … auf die Fünfhundert und aufn Oberjager ’nauf! Aber da hab’ ich ’s Wasser! Brauchen S’ ein Tüchl? Na, um Gottswillen, wie das arme Fräul’n ausschaut! Das liebe G’sichterl … und so verstellt!“

Erst bei diesem Wort des Jägers bekam Ettingen Augen, um zu sehen. „Ach!“ Das war ein Laut, als würde ihm das Herz zerdrückt. Mit zitternden Armen preßte er die Ohnmächtige an sich, schmiegte ihr Haupt an seine Brust und streichelte ihr das Haar und die Wange. Wie müd’ und erschöpft ihr schönes Antlitz war – wie entstellt von Rußflecken und vom Staub der Asche! „Und ihre lieben Hände!“ Sie waren grau vom Steinsand, wund von Rissen, fast alle Nägel gebrochen und mit Blut unterlaufen.

Wie ein Schwindel überkam es ihn, als er sein Tuch in das Wasser tauchte, das ihm der Jäger hinbot. In scheuer Zärtlichkeit hauchte er die Asche aus ihrem Haar, wusch ihr den Ruß vom Gesicht und streifte ihr immer wieder das nasse Tuch über Stirn und Augen. Sie erwachte nicht, doch leise begann sich ihr Atem zu beleben. Er wusch ihr die Hände, küßte jede Wunde – und während der Jäger fortlief, um frisches Wasser zu holen, nahm er sie wieder in seine Arme.

Ein stockender Atemzug erschütterte ihre Brust, und sie schlug die Lider auf.

„Lo’!“

Sie sah das Gesicht, das sich in Glück und Sorge über das ihre beugte, fühlte schauernd den Druck der Arme, die sie umschlungen hielten, und trank den Blick der Liebe, der auf ihr ruhte. Dann lächelte sie müd’ und schloß die Augen wieder, als wüßte sie: Das ist ein Traum, der verschwinden muß, wenn ich wache und mit offenen Augen sehe!

„Lo’! … Kennst du mich nicht? … So sieh mich doch an!“

Sie öffnete die Lider.

„Lo’! … Meine liebe, gute, kleine Lo’!“

Da hörte sie es wieder – das Wort ihres Vaters! Mit dem gleichen Ton der Liebe! Nur süßer, zärtlicher noch, durchweht von einer Glut, die hinüberschlug in ihr Herz und ihr das Blut in die bleichen Wangen trieb. Als sähe sie ein Wunder, dessen Wahrheit sie fühlte und an das sie doch nicht glauben konnte, so hob sie zögernd die Arme und faßte scheu mit beiden Händen die Wangen des geliebten Mannes. Ein Zittern rann durch ihren Körper. „Du! … du!“ Und da schlang sie die Arme um seinen Hals, stark und heiß, und hing an seinen Lippen, als tränke sie neues Leben aus seinem Kuß. Dann schloß sie mit seligem Lächeln die Augen, und ihr Haupt sank auf seine Schulter, als ob sie schlummern wollte.

Er streichelte ihr Haar. „Du Starke, du Mutige du! Was hast du überkämpft in diesen grauenvollen Stunden! Was mußt du erlebt haben in dieser entsetzlichen Nacht!“

Ohne die Augen zu öffnen, flüsterte sie: „Ich weiß es nicht mehr … ich weiß nur, was jetzt ist … und das ist so schön, so schön!“

„Und ich schlief in dieser Nacht und träumte von meinem Glück, während du …“ Er konnte nicht weitersprechen. Der Gedanke an alle Gefahr, die in dieser Nacht auf jedem Schritt mit ihr gegangen, machte ihn zittern bis ins Herz. „Ich habe ja nur dieses Letzte gesehen … und nicht einmal helfen hab’ ich dir können! Das sehen zu müssen, so hilflos … jeder Blick war wie ein Tod für mich! Am Morgen, als ich mein Haus verließ, um dich zu suchen, da wußt’ ich, daß ich dich liebe … aber erst in diesen Stunden der Angst und Verzweiflung hab’ ich’s empfunden, wie viel du mir bist, und daß ich nicht leben könnte ohne dich!“

Sie lauschte seinen Worten wie der Dürstende dem Quell, den er rauschen hört. Aber daß sie so stumm war, das weckte seine Sorge.

„Lo’? … Wie fühlst du dich? Ist dir wohl?“

Sie lächelte nur und atmete tief.

„Warum siehst du mich nicht an?“

Da schlug sie die Augen mit leuchtendem Glanze zu ihm auf.

„Sag’ es mir, Lo’ … bist du mir gut?“

„Ach, du …“ Sie hob die Arme zu ihm hinauf.

„Ich weiß es und fühl’ es ja … aber ich möcht’ es hören mit deinen Worten. Sag’ es mir, Lo’!“

„Du … du …“ Ein anderes Wort fand sie nicht, aber sie schmiegte sich an seine Brust, daß er das Beben ihres Körpers und ihren Herzschlag fühlte.

So hielten sie sich schweigend umschlungen, versunken in ihr Glück, bis ein Schritt sie erweckte.

Der Jäger brachte frisches Wasser, und während er langsam heraufstieg über das Griesfeld, hob er keinen Blick von dem triefenden Hut.

Ettingen richtete die Geliebte in seinen Armen auf. „Willst du nicht trinken, Lo’?“

„Ja, Heinz, mich dürstet … gieb du mir einen Trunk!“

Er schöpfte Wasser, und das schlürfte sie ihm aus der hohlen Hand.

„Wie das erquickt! … Ich danke dir, Heinz!“

Lächelnd strich er das feuchte Haar von ihrer Stirne zurück. Dann nahm er den Hut des Jägers, leerte ihn bis auf den letzten Tropfen und hob sich auf die Kniee. „Komm, Lo’… ich muß dich heimbringen, damit du ruhen kannst. Und sieh nur… deine armen Hände! Wir müssen heim …“

„Heim!“ Sie nickte ernst, und ein Schatten dämpfte den Glanz ihrer Augen. „Die Mutter … kann es meine Mutter schon wissen?“

„Daß der Wald brannte? Nein, Lo’!“ Wohl mußte er fürchten, daß die Nachricht schon hinausgeflogen wäre bis ins Dorf – aber er wollte ihr diese Sorge von der Seele nehmen. „Sie kann es unmöglich wissen … sie wird es hören mit der Nachricht, daß dein Mut dich rettete.“

Sie atmete auf.

„Fühlst du dich stark genug, um gehen zu können?“

„Sag’ mir: Gehe! … und ich kann es.“

„So komm!“

Sie begannen den Heimweg und wanderten langsamen Schrittes durch das von Rauch überschleierte Kar hinunter. Er hielt ihre Hand in der seinen und schmiegte stützend den Arm um ihre Hüfte. Immer suchte er den besten Weg für sie, und lag ein Stein im Pfad, so schob er ihn mit dem Fuß beiseite. Sie sprachen nicht. Was ihre Herzen erfüllte, war zu übermächtig für Worte. Nur ihre Augen suchten sich immer wieder und redeten mit stillem Lächeln. Während sie so hinunterschritten ins Thal, war in ihren Seelen ein Aufwärtssteigen, empor zur Sonnenhöhe des Glückes.

Eine Stunde waren sie schon gewandert, als sie Stimmen hörten.

Lo’ verhielt den Schritt. „Menschen?“ Das sagte sie, wie aus einem Traum erwachend, wie verwundert und erschrocken über die Wirklichkeit des Lebens, dessen Laute ihr entgegenschollen. Da tauchten auch wieder die Bilder der vergangenen Nacht vor ihren Augen auf, und stammelnd fragte sie: „Mazegger? … Ist er gerettet?“

Ettingen erschrak. „Mazegger?“ Und betroffen sah der Jäger seinen Herren an.

„Er wollte nach Ehrwald … und als das Feuer ausbrach, kam er, um mich zu warnen. Er nahm einen anderen Weg … durch den brennenden Wald …“ Das Grauen der Erinnerung machte sie zittern. „Ist er gerettet?“

„Ja, Lo’!“ sagte Ettingen und tauschte einen Blick mit dem Jäger.

Da lächelte sie erleichtert, als wäre mit diesem Ja der letzte Schreck der überstandenen Nacht von ihrer Seele gelöst.

Schreiend kamen ihnen die Leute entgegen. Es waren Sennen und Holzknechte, welche den Paß übersteigen wollten, um droben in den Felsenkaren des Seethals nach dem Jungvieh

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0380.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)