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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ettingen rüttelte ihn am Arm. „Aber Mensch, so sagen Sie doch … was ist denn geschehen?“

„Der Sebenwald brennt … der ganze Wald bis übern See ’nauf … alles ein einzig’s Feuer! ’s ganze Jungvieh droben … alles muß hin sein, alles, alles! Jesus Maria! D’ Höll’ kann net ärger sein! Und ’s Fräul’n is droben seit gestern … das arme Fräul’n! Und alles muß hin sein droben. Jesus! Jesus! … der Förstner? Ja, sag’ mir doch, Jager, wo is denn der Förstner?“

„Mar’ und Josef! … draußten im Tillfuß is er! Lauf, Senn, lauf, ja lauf doch ums Himmelswillen, was d’ lausen kannst!“

Der Senn wollte rennen, doch Ettingen hielt den Arm des Mannes umkrampft wie mit eiserner Faust.

„So lassen S’ doch aus, Herr!“ keuchte der Senn. „Ich muß ja um d’ Leu?! Es brennt ja ’s Fuier schon z’ruck gegen d’ Alm … und die Küh’ sind närrisch, wir zwingen s’ ja nimmer .. .ich muß ja Leut’ haben, Leut’… aber so lassen S’ doch aus!“

Ettingen rang nach Worten. „Giebt es noch einen Weg …“ die Stimme brach ihm wieder, „einen Weg durch das Feuer … zum See hinauf …“

„Kein’ nimmer! Kein’! ’s ganze Seethal is zu mit Fuier! So lassen S’ doch aus … verflucht!“ Mit Gewalt befreite der Senn seinen Arm und rannte davon, mit keuchender Stimme betend: „Jesus, Jesus Maria … und Vater, Vater unser, der du bist im Himmel …“ Er verschwand im Nebel, und das Geklapper seiner schweren Schuhe erstickte die betende Stimme.

Zitternd klammerte sich Ettingen an den Ast einer Fichte, als müßte er eine Stütze haben, um sich aufrecht zu erhalten. Dem Jäger schössen vor Erbarmen die Thränen in die Augen, als er das verstörte Gesicht seines Herren sah und diesen verzweifelten Blick. „Um Christiwillen … mein lieber, lieber Herr Fürst!“

Ettingen erwiderte keinen Laut. Aber seine Glieder streckten sich, als wären sie Stahl geworden – und ein Blick nur sagte dem Jäger: „Kommen Sie!“

Wortlos eilten sie durch den Wald hinauf und erreichten das Almfeld. Hier lag der Nebel nicht mehr so dicht wie im tieferen Thal. Man sah die Leute, die mit Geschrei umherrannten, um die Kühe einzufangen und nach dem Stall zu bringen – man sah den Wald und über seinen Wipfeln den schwarzen, von trübem Feuerschein durchflackerten Qualm, der von Wand zu Wand die ganze Breite des Seethals füllte.

Mit brennenden Augen spähte Ettingen durch die Schleier des Nebels. „Nein … da giebt es keinen Weg mehr! Nicht durch den Wald hinauf!“ sagte er mit erloschener Stimme. „Aber einen anderen giebt es! Sie muß sich ja vor dem Feuer geflüchtet haben … in die Felsen hinauf! Dort müssen wir sie finden! Wir müssen!“ Er eilte den Latschengehängen zu, die sich oberhalb des Almfeldes steil emporhoben gegen den Tejakopf, dessen gewaltige Felsenmauer zwischen dem Prantlkar und dem brennenden Seethal aufstieg und mit seiner Zinne in schwarzem Rauchgewölk verschwand.

Erschrocken lief der Jäger seinem Herren nach. „Mar’ und Josef! Duhrlaucht! Wo wollen S’ denn hin?“

„Hinauf! Dort hinauf! Durch das Prantlkar und über den Paß … den Weg, den wir neulich gingen, als das Gewitter kam … und die schöne Nacht …“ Seine Stimme erlosch wie in einem Schluchzen, das keine Thränen hatte.

„Ja, ja, Herr Fürst … aber da müssen wir wieder ’nunter durch’n Wald und drüben ’nauf!“

„Nein! Ich sehe einen Weg ins Kar, der näher ist. Dort hinauf!“ Ettingen deutete nach den Latschenbändern, welche schräg über die Felswand emporkletterten gegen die Höhe des Kars. „Da sparen wir eine Stunde!“

Praxmaler wischte sich den Schweiß von der Stirn und stammelte: „Um Gott’swillen, Duhrlaucht … alles was recht is … aber da steig’ ja ich kaum durch! Sie kommen net ’nauf!“

„Ich muß hinauf!“ Ettingen hatte schon den Latschenhang erreicht und begann zu klimmen.

Ohne Widerrede legte der Jäger alles ab, was er trug, die Büchse, den Rucksack, die beiden Wettermäntel – jetzt brauchte er freie Arme, denn er wußte, daß es um das Leben seines Herren ging.

Sie kamen zum Fuß der Felswand und begannen zu klettern, wortlos, mit schwerem Atem – Ettingen immer voran. Mit Rasseln und Sausen stürzten unter seinen Tritten die Steine in die Tiefe – er hatte keinen Blick für sie, seine Augen suchten nur immer die Höhe. Nie bedurfte er der Hilfe des Jägers – und wenn Praxmaler schon ratlos innehielt, immer wieder fand Ettingen eine Schrunde im Gestein, einen Tritt für seine Füße, der ihn höher brachte, so rasch, daß der Jäger Mühe hatte, sich dicht hinter seinem Herrn zu halten.

Als sie die Kuppe der Wand erreichten, schlug Praxmaler ein Kreuz und sah mit bleichem Gesicht in die schwindelnde Tiefe.

Nur eine kurze Strecke hatten sie noch zu steigen, weniger mühsam, und dann kam über Griesfelder und Latschenrücken ein ungefährlicher Weg in das Kar.

Der Nebel begann sich langsam zu heben – und von der Höhe, auf der die beiden waren, konnten sie den Eingang des brennenden Thals überblicken. Zwischen Qualm und Dämpfen sah man die flammenden Bäume. Auf weite Strecken war der Grund schon kahlgebrannt – und bald erschienen diese Stellen grau, bald wieder, wenn der Wind die Asche verwehte, verwandelten sie sich in rote Glut. Und alles, die Flammen der Bäume, Rauch und Qualm, die Aschenwolken – alles strebte im jagenden Winde hinauf und immer hinauf, dem See entgegen.

Ettingen bedeckte mit den Händen das Gesicht, als könnte er diesen grauenvollen Anblick nicht ertragen, als müßte er mit Gewalt die martervollen Bilder ersticken, welche die Angst seines Herzens ihm vor Augen stellte.

Schwere Thränen rannen ihm über die Lippen, als er sich wandte und den Weg ins Kar begann.

„Ich bitt’ Ihnen, mein lieber Herr,“ bettelte der Jäger, „thun S’ doch ein bisserl rasten!“

Ettingen schüttelte den Kopf und eilte weiter.

Sie stiegen eine Stunde und eine zweite. Je näher sie im Kar der letzten Grieszunge kamen, von deren Ende der Steig über brüchige Wände hinaufkletterte zum Paß, desto ungeduldiger wurden die Schritte des Fürsten, obwohl ihm Atem und Kräfte schon fast zu Ende gingen. Auch der Jäger war so erschöpft, daß er die letzte Kraft seiner Glieder geben mußte, um sich an der Seite seines Herrn zu halten.

Einer steilen Felswand nahe, ging der Weg zwischen mächtigen Felsblöcken dahin, die ein Bergsturz über das Griesfeld geworfen hatte. Wohl war der Nebel gestiegen und hatte sich schon über Thal und Bergen zu einer grauen, regungslosen Decke gesammelt – aber das ganze Kar lag verschleiert vom dünnen Geriesel der Asche, die aus den Lüften fiel, und vom Rauch, der drüben aus dem brennenden Seethal aufstieg und im Kar sich wieder niedersenkte über die Wände.

Nur einen Weg von wenigen Minuten hatten sie noch bis zu der Stelle, an welcher der Paßweg beginnen mußte, und Ettingen suchte ihn schon mit brennenden Blicken. Da rollten Steine aus der Wand herunter, an der sie vorüberschritten. Im gleichen Augenblick riß der Jäger seinen Herren hinter einen Felsblock und stammelte: „Mar’ und Josef! Kein’ Laut … nur um Gottswillen kein’ Laut nimmer! … Da schauen S’ ’nauf!“

Hoch über dem Griesfeld, in der steilen Felswand, welche pfadlos schien, bewegte sich unter dem Schleier des Rauches langsam eine Gestalt.

„Lo’!“ glitt es mit ersticktem Klang über Ettingens Lippen. Sein erstes Gefühl war ein Sturm von Freude. Sie nur wiederzusehen! Lebend! Doch dieser Rausch der Freude ging ihm unter in Angst und Grauen, das ihn fast um die Sinne brachte. Jeder Schritt in dieser Wand war ein Schritt in den Tod.

Ettingen raffte sich auf mit schluchzendem Laut und streckte die Arme. Nur helfen, helfen, dieses stürzende Leben schützen – kein anderer Gedanke mehr war in ihm! Er wollte schreien: Ich komme, Lo’! – doch seine Stimme war nur ein Lallen. Und da preßte ihm der Jäger die Hand auf den Mund und riß ihn zurück und flüsterte:

„Ein’ Laut, Herr Fürst, und Sie bringen das Fräul’n um! Da giebt’s kein Helfen … wir stehen ja da mit leere Händ’, ohne Seil und Eisen, ohne alles! Sie muß allein da ’runter … da hilft ihr keiner, bloß die eigne Kraft! Und schauen S’ nur ’nauf, wie s’ jeden Schritt probiert und wie sie sich ruhig halt’t!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0378.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)