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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Bauern-Pferderennen in Südtirol.
Von Karl Wolf.


Der Reisende, welcher mit der Eisenbahn thalauf fährt, von Bozen nach Meran, hat keine Ahnung von der herrlichen Hochebene auf dem mächtigen Bergstock, dessen Abhänge, bald als öde Schutthalden, dann wieder streckenweise von Busch und Niederwald bedeckt, gegen die Etsch zu abfallen.

Es wohnt da oben ein ganz eigener Volksstamm, grundverschieden von den Bewohnern des Thales. Er hat eine eigene Mundart und eine eigene Nationaltracht und zum Teil auch eigene Volksgebräuche. – Der Bergstock erstreckt sich von den Granitwänden des Ifinger bis hinunter, wo sich die Talfer aus dem Sarnthale bei Bozen ihre wilde Bahn bricht. Die Bewohner der Dörfer dieses Hochlandes, Hafling, Vöran, Mölten und Jenesien, werden im Volksmunde „Hössen“ genannt, und sie sollen thatsächlich von einem hessischen Volksstamme übrig geblieben sein, welcher sich in dieser Gegend zur Zeit der Völkerwanderung niedergelassen hatte. Die Leute treiben Feldbau und Alpenwirtschaft, Viehhandel und ganz besonders Pferdezucht. Durch eine glückliche Wahl geeigneten Materials wurde mit der Zeit eine konstante Züchtungsrasse herausgebildet, welche im Handel unter dem Namen „Haflinger“ bekannt ist.

Der Haflinger ist mittelgroß, hat einen charakteristisch geformten, stockigen Kopf mit breitem, schön getragenem Hals, gedrungenen Leib, breite Brust und starke, wohlgeformte Füße mit kräftigem Huf. Von den Bauern werden die Haflinger Pferde als Reit- und Tragtiere verwendet. Der Reiter benutzt als Sattel meist nur ein aufgeschnalltes wolliges Schaffell; die Steigbügel, wenn er überhaupt solche mag, hängen fast vorne beim Hals des Pferdes – und das Zaumzeug? Hängt gerade eine Trense zur Hand, so ist es gut; wenn nicht, so zieht er dem Gaul einen Riemen oder einen Strick durch das Maul; dann schwingt er sich mit einem Satz auf den Rücken, schlägt den weichen Hut dem Tiere um die Ohren, und wie das Wetter geht es über Stock und Stein, über Wiesen, über Zäune, Abhänge hinunter, Abhänge hinauf, und ein heller Jauchzer um den andern giebt Zeugnis, daß der Reiter noch immer nicht den Hals gebrochen hat. Als Gangart liebt der Bauer nur Schritt oder Galopp. Die Weiber, wenn sie in die Sommerfrische, auf eine Wallfahrt oder zu Besuch reiten, sitzen nach Männerart zu Pferde. Der Knabe erwischt auf der Weide einen Gaul an der Halfter, zerrt ihn zum nächsten Zaune und klettert hinauf. Wie ein Frosch sitzt er oben, und es hilft kein Bocken und Schütteln. Er behält seinen Sitz, und wird der Gaul endlich der Geschichte überdrüssig, so muß er sich legen, will er den mutwilligen Reiter abbringen.

Benutzt man das Pferd als Tragtier, so wird ihm ein breiter, hölzerner Sattel übergeworfen und es bekommt links und rechts einen Korb für kleinere Gegenstände oder zwei lederne Säcke für Getreide. Der Wein wird in kleinen, einen Meter langen zugespitzten Fässern verladen.


Haflinger Bauern, zum Start abreitend.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0373.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)