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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

fliegender Hast, eilte sie in die Stube und holte eine schon halb verbrauchte Pechfackel. Damals, als diese Fackel gebrannt hatte, das war auch eine ernste Nacht gewesen, eine Nebelnacht im Juni – sie hatte die Rufe eines verstiegenen Touristen gehört und hatte den Verirrten aus der Tejawand heruntergeholt und zur Sebener Almhütte geführt.

Die brennende Fackel senkend, damit das Harz sich Heller entzünden möchte, trat sie aus der Hütte. Was den Nebel so durchscheinend erleuchtete – war es die Flamme der Fackel oder das wachsende Feuer dort unten, das man rauschen hörte wie heranziehenden Sturm?

Sie wollte zur Gartenthüre, aber da taumelte ihr ein Mensch entgegen. Erst als er vor ihr stand, mit rasselndem Atem, das verzerrte und erschöpfte Gesicht von Schweiß überronnen, erkannte sie ihn. „Mazegger!“

Lallend stürzte er vor ihr nieder und klammerte sich an ihr Kleid. Auch ihr Anblick konnte in ihm nicht mehr erwecken, was ihn zum Wahnsinn dieser That getrieben hatte. Seine Eifersucht und seine Liebe, alles, was er erwartet hatte von dem Gewaltstreich dieser Nacht, das alles war erloschen in ihm. In ratloser Angst und in der Verstörtheit seiner Sinne umklammerte er die Knie des Mädchens und keuchte:

„Der Sebenwald brennt … der Sebenwald … wir müssen verbrennen … du und ich … ersticken im Rauch!“ Mit Zittern und Grauen drückte er das Gesicht in die Falten ihres Kleides.

Lo’ war bleich geworden. Aber sie wich nicht zurück vor ihm. Was zwischen ihr und diesem Menschen lag, das war vergessen beim Anblick dieser lallenden Angst, die sich zu ihren Füßen krümmte.

„Aber Mazegger! Sind Sie denn ein Mann? Wie können Sie sich vom Schreck nur so verstören lassen!“ Sie versuchte ihn aufzurichten.

Doch er war wie Blei und blieb auf den Knien liegen, immer nur mit dem einen Wort: „Verbrennen … verbrennen …“

„Aber seien Sie doch vernünftig! Man verbrennt nicht gleich, weil Feuer im Wald ist. Und stehen Sie auf!“

Er wollte sich erheben, aber die Knie brachen ihm wieder, und er taumelte auf die Schwelle hin.

Da lief auch ihr ein Zittern über die Hände. Doch ihre Stimme klang ruhig: „Ich sehe, daß Sie sich übermüdet haben bei dieser sinnlosen Flucht. Aber wenn Sie schon flohen vor dem Feuer … wie kommen Sie hierher? Zu mir? Wollten Sie mich warnen?“

Er schwieg und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

„Aber Mazegger! So geben Sie mir doch Antwort! Und sagen Sie mir: in welcher Richtung des Waldes ist das Feuer?“

„Ueberall … überall … es giebt keinen Ausweg nimmer!“

„Das ist ja Thorheit! Wenn es aus dem Feuer keinen Ausweg gäbe … wie wären Sie denn hereingekommen in den brennenden Wald?“

„Ich … ich weiß nicht.“

„Wissen Sie denn, wie das Feuer ausgekommen ist?“

„Nein … nein … nichts weiß ich … nichts …“

„Aber wie kamen Sie denn in den Sebenwald? Jetzt? In der Nacht?“

„Ich … ich …“ es fiel ihm wohl die Lüge ein, die er dem alten Hüter gesagt hatte, „ich hab’ nach Ehrwald wollen … nach Ehrwald … und hab’ mich verirrt … im Nebel … und … da war das Feuer da … überall Feuer … überall!“ Das Grauen schüttelte ihn. „Wir müssen verbrennen … es giebt keinen Ausweg nimmer!“

„Ich will ihn suchen! Kommen Sie, Mazegger!“ Sie nahm seine Hand und zog ihn von der Schwelle auf. „Ich kenne hier im Wald jeden Weg und Steg … und ich will Sie führen.“

„Führ’ mich, führ’ mich, ja, mit dir ist der liebe Herrgott!“ keuchte er und klammerte die Hände um ihren Arm. „Wenn’s noch einen Weg giebt … du … du mußt ihn finden … über den Paß hinüber … ins Prantlkar …“

Den Felsenpaß, den Ettingen und Praxmaler an jenem Gewittertag überstiegen hatten – ja, den kannte sie. Aber dort hinauf, über die steilen Wände? Jetzt, bei Nacht und Nebel? Nein, das war unmöglich – das wäre der sichere Tod! Es mußte einen anderen Ausweg geben, thalwärts durch den Wald. Der Zufall dieses Brandes konnte so unselig nicht gespielt haben, daß schon das ganze Thal vom Feuer verschlossen war.

„Kommen Sie, Mazegger!“

Er ließ sich ziehen von ihrer Hand. Als sie über das Latschenfeld gegen den See hinunterkamen, mischte sich der Rauch immer dichter in den Nebel, immer lauter tönte auf allen Seiten das Brüllen der Rinder. Ein paarmal tauchte der Esel in ihrer Nähe auf, mit Schnauben und Gewieher, begleitete sie eine Strecke und verschwand wieder. Schwüle Hitze wehte ihnen vom brennenden Wald entgegen, und rauschend zog der Wind, der die Rauchwolken über die Berge hinausjagte. Als die beiden den See erreichten, kamen von allen Seiten die Rinder auf sie zugerannt und folgten ihnen Schritt um Schritt unter angstvollem Gebrüll. Ein sausender Windstoß teilte den von Rauch durchflossenen Nebel, und nur noch matt verschleiert lag der brennende Wald vor ihnen, eine näher rückende Flammenmauer, welche die ganze Breite des Thales füllte, von Wand zu Wand.

„Wir laufen ins Feuer,“ schrie Mazegger wie ein Wahnsinniger, „wir müssen hinauf! Ueber die Wänd’ hinauf!“

„Nein! Das ist unmöglich!“

Mazegger bedeckte mit dem Arm die Augen, und die Zähne begannen ihm zu klappern.

Das bleiche Gesicht vom Ruß der Fackel angeflogen, stand Lo’ auf einem Felsblock und spähte über den brennenden Wald hinunter, aus dem die Flammen schon herauszüngelten gegen die Latschenfelder. Nur an einer einzigen Stelle des Waldes, dort, wo der Seebach seinen Weg hinunter nahm gegen Ehrwald, dort war es noch dunkel. Aber auch dort schon quoll es mit rötlichen Dämpfen hinter den Bäumen herauf. Es gab durch den brennenden Wald keinen Ausweg mehr – und wollten diese beiden Menschen ihr Leben retten, so mußten sie das Unmögliche versuchen: den Weg über die Berge.

Das erkannte Lo’, und schon wollte sie dem Jäger sagen: ja, wir müssen hinauf, wir haben keinen anderen Weg mehr – als jählings die Rinder, welche brüllend um sie herstanden, ein tolles Rennen begannen. Hatte eines der Tiere jene dunkle Stelle im Wald gewahrt? Ahnte es dort noch einen Weg der Rettung? Es begann zu rennen, und alle die anderen Rinder jagten ihm nach im blinden Herdentrieb, schnaubend und mit gestreckten Schweifen.

„Das Vieh … das Vieh weiß einen Ausweg!“ kreischte Mazegger, und nur an die Rettung des eigenen Lebens denkend, riß er dem Mädchen die Fackel aus der Hand und rannte mit verzweifelten Sprüngen den Tieren nach. Rauch und Nebel verschlangen ihn, und das Gerassel der Steine, die sich auf seinem Wege lösten, ging unter im Sausen des Windes, im Geprassel und Krachen des brennenden Waldes.

„Mazegger! Mazegger!“ schrie Lo’ in der Todesangst, die sie erfüllte um diesen verlorenen Menschen. Sie schrie und schrie, doch keine Stimme gab Antwort – und das Brüllen der Rinder war verstummt dort unten. Nur über den See herüber klang noch das Röhren einzelner Tiere, welche bergaufwärts flüchteten, den Felsen zu. „Mazegger!“

Sie wollte ihm folgen, hoffte, ihn noch hindern zu können, den Weg der toll gewordenen Tiere zu nehmen. Aber dichter Rauch umwirbelte sie, der sie fast zu ersticken drohte, und wohin sie auch ihren Weg nahm, überall loderte ihr das wachsende Feuer entgegen, das den Waldsaum schon übersprungen hatte und die Latschen ergriff.

„Mazegger! Mazegger!“ schrie sie noch immer, bis ihr die Stimme versagte.

Rauch und Flammen trieben sie weiter und weiter zurück. In Qualm und Nebel wußte sie nicht, wohin sie kam – sie merkte nur plötzlich, daß ihre Füße in Wasser traten. Der See!

Da ihre Kräfte zu erlöschen drohten, bückte sie sich, schöpfte Wasser mit den Händen und trank und kühlte das Gesicht. Im jagenden Winde flogen schon die glühenden Funken über sie her, als sie die seichte Bucht durchwatete und wieder das Ufer gewann. Während sie hineilte über den ebenen Rasen, kam es mit Keuchen und Schnauben hinter ihr nachgerannt.

„Hansi!“

Zitternd drängte sich das Grautier an seine Herrin, als wäre Hilfe bei ihr.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0351.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2019)