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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Die Fäuste hinter dem Rücken, das Gesicht verzerrt und mit funkelnden Augen, so stand er und sah, daß aus dem dürren Reisig das Feuer aufflog wie aus verpuffendem Pulver, und daß es mit Prasseln und Geknister zu beiden Seiten des Thores über den Wall dahinlief, so flink, als hätf es hundert flammende Füße.

„So! Jetzt komm!“

Den Mantel und die Büchse vergessend, schritt er in den Wald hinein. Hinter ihm erlosch die matte Feuerhelle, die den dichten Nebel durchglomm, und je tiefer er in den Wald kam, desto finsterer wurde es um ihn her. Schritt für Schritt mußte er den Weg suchen, sich forttasten von Baum zu Baum.

In diesem Dunkel verlor er den Pfad und wußte nicht mehr, wohin seine stolpernden Schritte ihn führten. Und plötzlich wich der Grund unter seinen Füßen. Er stürzte und kollerte über eine steile Lehne hinunter. Stöhnend richtete er sich auf und kletterte wieder über den Hang empor. Als er den Grat erreichte, wehte ihm dicker Rauch entgegen – und jählings war es im Nebel, als ginge die Sonne auf, rot, blutig rot, wie sie am letzten Morgen aufgegangen war. Das wurde heller und immer heller, dazu ein Knistern und Geprassel, ein Rauschen und Krachen, als wäre ein Sturm über den Wald gefallen, um alle Bäume zu brechen. Wie brennende Bäche schlängelte sich das Feuer über den Waldboden hin, faßte das dürre Zeug, das in Haufen überall umherlag, und geschürt vom Winde, klomm es mit Zucken und Gwflacker an den hundertjährigen Stämmen hinauf und entzündete das Harz der blutenden Baumwunden. Die morschen Aeste brannten mit weißer Flamme, die dürren Nadeln gingen glitzernd in Feuer auf und warfen im Winde den Brand mit Funkengesprüh von einem Stamm auf den andern.

Ein keuchender Laut rang sich aus Mazeggers Kehle. Jählings aus allem träumenden Wahnwitz seiner Leidenschaft ernüchtert und von Entsetzen erfaßt, stand er wie gelähmt und starrte mit glasigen Augen in dieses Brennen und Glosten, in dieses Gewirbel von schwarzem Rauch und leuchtenden Dämpfen. Statt der Richtung gegen den See zu folgen, war er im Kreis gegangen, die äffende Finsternis hatte ihn zurückgeführt an den Ausgang seines Weges. Und beim Anblick des grauenvollen Flammenbildes, zu dem die That seiner Eifersucht sich ausgewachsen, erlosch ihm alles Denken und Verlangen, so daß in ihm nur noch ein einziges war: die jäh erwachte Angst um das eigene Leben!

Mit heiserem Schrei begann er zu rennen, immer am Rande des Feuers hin, verfolgt von den züngelnden Flammen und überschüttet vom Regen der Funken. Er kam bis zur kahlen Felswand und sah das Feuer hinaufschlagen über die Steinmauer, turmhoch, halb verschleiert von Rauch und Nebel. Keuchend rannte er zurück, quer durch das ganze Thal, bis wieder die Felsen vor ihm aufstiegen. Feuer, Feuer und überall Feuer. Nirgends ein Ausweg mehr – das ganze Thal verriegelt von Rauch und Flammen.

Schreiend rannte er zurück in den finsteren Wald, rannte wie sinnlos, strauchelte und fiel, schlug mit dem Gesicht an die Bäume und schrie vor Entsetzen, wenn flüchtendes Hochwild mit Brechen und Gepolter an ihm vorüberjagte. Schon sah er, daß der Wald sich lichtete, aber seine Kräfte begannen zu schwinden, sein Atem erlosch. Taumelnd brach er in die Knie, mit gellendem Schrei, der im Nebel zerschwamm und nur noch wie ein matter Ruf hinauftönte zum See.

Dort oben, am Ufer, klangen in Unruh’ die Glocken der Almtiere, als hätte das Vieh sich erhoben aus der Ruh’ und zu weiden begonnen, mitten in der Nacht.

Dieses Klingen und wirre Läuten tönte hinauf zum kleinen Seehaus, dessen Fenster noch erleuchtet waren. Die Thür stand offen, und trüb’ zerfloß die ins Freie fallende Lampenhelle in Nebel und Nacht.

In der Stube war Lo’ damit beschäftigt, alles Grün und alle Blumen von den Wänden zu nehmen und das kleine Haus für die lange Zeit in Ordnung zu bringen, in der es nun unbewohnt und verschlossen stehen sollte. Still und ruhig that sie diese Arbeit, aber der verlorene Blick ihrer feucht umflorten Augen verriet, daß sie mit den Gedanken nicht bei dem Werk ihrer Hände war. Manchmal wurden ihr die Arme müd, und dann stand sie eine Weile unbeweglich, und während sie mit schmerzvollem Lächeln ziellos vor sich hinblickte, löste sich Thräne um Thräne von ihren Wimpern und perlte über die bleichen Wangen nieder. Wenn sie mit stockendem Atemzug aus solcher Versunkenheit erwachte, streifte ihr Blick alles Gerät der Stube, das ihr so lieb und durch Erinnerung so heilig war. Dann redete aus ihren Augen eine Wehmut, als wäre in ihr die Ahnung, daß sie diese trauliche Waldstube, in der sie so viele glücklich schöne Stunden und Tage verlebt hatte, niemals wieder sehen würde.

Wieder begann sie die Arbeit. Und da blickte sie lauschend auf. Was sie gehört hatte, draußen in Nacht und Nebel – war das ein Ruf?

Sie legte die Blumen nieder, die sie aus einer Rindenvase genommen hatte, und trat vor die Thüre. Nur den Nebel sah sie, der in der Dunkelheit das Haus umlagerte, und einen trüben Umriß der nächsten Beete. Horchend stand sie eine Weile und rief dann mit lauter Stimme in die Nacht hinaus: „Ist jemand hier?“

Keine Antwort kam. Aber mit fauchenden Stößen fuhr der immer stärker werdende Wind über das Dach der Hütte hin, es rauschte in den Zweigen des Harfenbaumes, und mit wirrer Unruh’ tönten in seinen Wipfeln die kleinen Glocken.

Und was nur die Almtiere haben mochten? Jetzt, in der Nacht? Drunten am See, auf den höheren Latschenfeldern, überall klangen ihre Schellen. Ein Rind begann zu brüllen, ein anderes gab Antwort, kurz und dumpf – wie das Jungvieh brüllt, wenn es sich in den Felsen verstiegen hat und hilflos auf den Sennen wartet. Und die Tiere befanden sich doch auf gefahrlosem Weidegrund! Oder hatten sie das Vorgefühl eines bösen Wettertages, den dieser Nebel bringen würde? Wohl schien der Wind, der über den See heraufblies, noch unbedenklich, aber dort unten, im tieferen Thal, da schien er stärker zu wehen, fast wie Sturm, denn ein dumpfes Krachen und Rauschen tönte verworren mit dem Winde über den Wald herauf. Und dieser Nebel – wie seltsam! Er hatte einen Geruch wie Rauch. Oder war’s der Herdrauch, den der Wind herauftrieb von der Sebenalpe? Sollten sie dort unten so spät noch beim Feuer wachen? Oder waren Holzknechte untertags im Sebenwald bei der Arbeit gewesen? Hatten sie das Gezweig und die Rinden der Windbrüche auf einer Blöße verbrannt – und diese Feuerstätten rauchten noch?

Schon wollte Lo’ in die Stube zurückkehren. Da hörte sie ein Gepolter, das Krachen von Aesten und den Sprung eines Tieres, das den Gartenzaun durchbrochen hatte.

„Hansi!“

Mitten durch die Blumenbeete kam der Esel zur Thüre gestürmt. Schnaubend und zitternd blieb er neben dem Mädchen stehen und windete mit vorgestrecktem Halse gegen den Wald hinunter.

Was hatte das Tier? War es durch Raubwild erschreckt worden? Oder durch einen Steinschlag unter den Wänden?

„Hansi? Geh, du Närrchen, was hast du denn?“

Beruhigend wollte sie ihm den Rücken streicheln und fühlte, daß seine Haare gesträubt waren wie Stacheln. Das Tier mußte eine ernste Gefahr überstanden haben – oder sah es eine Gefahr, welche kam?

„Hansi?“

In grober Zärtlichkeit fuhr der Esel mit der Schnauze an ihr hinauf und drückte gegen sie, als wollte er das Mädchen von der Stelle drängen. Schnaubend schüttelte er das Fell und machte, den Hals immer länger streckend, ein paar zögernde Schritte. Plötzlich setzte er mit tollem Sprung über den Zaun, und ein schmetterndes Gewieher ausstoßend, verschwand er im Dunkel.

Im gleichen Augenblick jagte im stärker ziehenden Wind eine dicke Rauchwolke an der Hütte vorüber. Ein Schein durchglomm den wirbelnden Nebel, nur matt, doch er wurde breiter und breiter. Ueberall im Thal begannen die Glocken der Almtiere zu läuten, überall dröhnte und röhrte ihr Gebrüll, überall hörte man das Rollen der Steine, die der Schritt der Rinder auf den steilen Gehängen löste – jählings war das ganze Thal erfüllt von unheimlichem Leben – und da erkannte Lo’, was die Tiere fürchten und flüchten machte.

„Feuer im Wald! … Die armen Tiere!“

Daß auch ihr eigenes Leben bedroht sein könnte, daran schien sie nicht zu denken. Denn ohne Erregung, wenn auch mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0350.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2019)