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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

zu „sinnieren“ – er studierte sich’s aus, wie er’s der Burgi sagen wollte. Was die für Augen machen würde! „Teufi, Teufi, Teufi!“ Und selig lachte er vor sich hin.

Eine Stunde, und sie hatten die Tillfußer Alm erreicht. Als sie aus dem Wald traten, kam gerade der Förster mit Mazegger von der anderen Seite übers Almfeld heraufgestiegen. Schon von weitem winkte Kluibenschädl seinem Herrn zu und eilte ihm atemlos entgegen. „O mein Gott, mein Gott, Duhrlaucht, wenn S’ nur heut’ bei mir g’wesen wären. Da hätten S’ ein’ Hirsch g’schossen … ein’ Kapitalkerl!“

„So?“ Ettingen schien über den Entgang dieser Weidmannsfreude nicht sonderlich schmerzlich berührt.

„Ja, denken S’ … wie ich gegen Zehne vormittags beim Steigvermessen ’runterkomm’ aufs Straßl, schau ich so zufällig ’nunter zum Bach. Was steht drunten? Ein Kapitalhirsch! Gar net ’kümmert hat er sich um uns … und wer weiß, wie lang’ er noch g’halten hätt’, wenn ’s Malerfräul’n net daher’kommen wär’…“

„Fräulein Petri?“

„Ja, die is auf ihrem Hansi ’nausg’ritten zum Sebensee. Natürlich, da hat sich der Hirsch davong’macht. Aber ganz g’mütlich is er ang’stiegen … zwei-, dreimal hätt’ man ihn noch derglangen können mit der Kugel … und d’ Haar’ hätt’ ich mir schier ausg’rissen, weil ich mir allweil hab’ denken müssen: Ja wenn nur der Herr Fürst da wär’, um Gottswillen, wenn nur der Herr Fürst da wär’!“

„Ja, Herr Förster,“ Ettingen lächelte, „ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich bei Ihnen gewesen wäre.“

„Gelten S’, ja? Aber morgen müssen S’ ’nunter auf den Hirsch … der kommt schon wieder!“

„Nein, lieber Förster! Für morgen hab’ ich andere Pläne. Praxmaler!“

Pepperl, der zur Sennhütte hinuntergeschielt hatte, fuhr auf: „Ja, Herr Fürst?“

„Morgen machen wir einen Birschgang zum Sebensee. Früh um fünf Uhr … da sind wir draußen, bis die Sonne kommt.“

Ettingen nickte dem Jäger zu und ging zum Fürstenhaus hinauf, in dessen Thüre Graf Sternfeldt erschienen war.

Pepperl, um seine Büchse los zu werden, eilte ins Försterhäuschen. Kluibenschädl wollte ihm folgen. Aber da sah er Mazegger stehen und sagte freundlich zu ihm: „Jetzt leg’ dich aber schlafen, Toni! Du mußt ein’ ja erbarmen, wenn man dich anschaut … und seit Mittag hast dich ja schier nimmer auf die Füß’ derhalten können. Wenn mir gleich hundertmal sagst, es fehlt dir nix … so kann doch ein Mensch net ausschauen, wenn er richtig bei ’nander is! Sei g’scheid und schlaf dich ordentlich aus … und wenn dir morgen net bester is, gieb’ ich dir dienstfrei.“

„Morgen?“ Mazegger nickte und ging seiner Hütte zu.

Droben im Hof des Fürstenhauses war Sternfeldt dem Freunde lachend entgegengekommen.

„Schau hinauf, Heinz, wie wir gelüftet haben!“

Am Jagdhaus standen alle Fenster offen.

„Aber damit du das Ende der Komödie entsprechend heiter nimmst, hab’ ich eine Ueberraschung für dich. Baronin Pranckha und Mucki, der Edle von Sensburg, empfehlen sich als Verlobte.“

„Nein?“

„Wahrhaftig!“ Da lachte Ettingen hell hinaus.

„Ich war sogar Zeuge dieses weltgeschichtlichen Aktes. Dem kleinen süßen Mucki schien’s „ainigermaaasen“ überraschend zu kommen, als sie ihm vor meinen Augen feierlich die Hand reichte … um jedes Mißverständnis auszuschließen, wie sie sagte. Du hättest sein Gesicht sehen sollen! Im ersten Moment war er so verblüfft, daß er richtiges Hochdeutsch sprach … und das will viel sagen. Aber dann wurde er wieder ganz „Fiaker“, stellte sich möglichst empört über dich – was er sich dabei dachte, will ich nicht näher untersuchen – ärgerte sich, daß er „ohne Gams“ fort sollte, und gab dem drolligen Lied seiner Wut und Verlegenheit den klassischen Refrain: „,So eine Benehmitätt, großoatig!*“ Sternfeldt lachte. „Er brauchte zehn Mnuten, um sich in die Glücksstimmung hineinzuzappeln. Aber dann … ah! Als er mit ihr abdampfte, benahm er sich in der Rolle des Glücklichen so musterhaft, daß ich ihn fast um seine Dummheit beneidete! Na also…“ lachend winkte er gegen den Wald, „fort mit Schaden! Sie wird ihm ehrlich helfen, die zwei dunklen Millionen seines Vaters ins Rollen zu bringen.“ Nun wurde er ernst. „Aber du, Heinz? Dein Brief? Ich stand vor diesem lyrischen Bekenntnis wie der Prophet vor dem Berg! Aus der einen Todesangst um dich errettest du mich und wirfst mich in die andere. Du schriebst mir doch in jenem ersten Brief, daß du dich fühlst wie ein gebranntes Kind, das nach neuem Feuer nicht lüstern ist? Und jetzt? … Heinz?“

Ettingen legte den Arm um die Schulter des Freundes.

„Komm!“

Sie traten ins Haus.

Drüben bei der Försterhütte rumpelte Pepperl aus der Thür und eilte über das Almfeld hinunter, mit langen Sprüngen, als könnte er den Augenblick nicht erwarten, den er sich auf dem Heimweg ausgemalt hatte wie der Hungrige die Mahlzeit.

Auf der Schwelle der Sennhütte stellte er sich breitspurig auf, mit den Daumen in den Hosenträgern und mit dem Hut im Genick. „Grüß Gott, Frau Oberjagerin!“

Burgi erhob sich von der Herdbank, machte scheue Augen an den Jäger hin und fuhr sich mit dem Schürzenzipfel über die Wangen, als hätte sie einen feuchten Tag hinter sich. „Geh, du!“ Mehr sagte sie nicht.

Pepperl schraubte die Stimme. „Grüß Gott, Frau Oberjagerin!“

„Ich bitt’ dich, Pepperl, mach’ mir kein’ Fasnacht her … mir is net z’ Mut danach … ich weiß schon, wie ich dran bin!“

Das war ein Ton, als wären die Thränen nicht weit.

Der Jäger aber lachte und rief es zum drittenmal: „Grüß Gott, Frau Oberjagerin!“ Dann sprang er mit ersticktem Jauchzer auf das Mädel zu wie der Fuchs auf die Ente, packte sie mit beiden Armen, wirbelte sie im Kreis und küßte sie ab, daß ihr der Atem verging.

„Wenn’s ebber sieht … Mar’ und Josef … wenn’s ebber sieht …“ stotterte sie wehrlos unter seinen Küssen.

„Soll’s sehen, wer mag! Meintwegen der Pfarrer!“ schrie er lachend. Und dann kam’s wie ein Wolkenbruch der Freude aus ihm heraus: Fünfhundert Gulden und Oberjäger!

Als sie begriffen hatte, brachte sie keinen Laut hervor, rührte nur wortlos die Lippen, und in Schluchzen ausbrechend, drückte sie das Gesicht an seine Brust.

Er schmiegte gerührt seine Wange an ihren Kopf, tätschelte sie auf den Rücken und tröstete schluckend: „Geh, Schatzerl, schau, was hast denn? Thu’ dich doch lieber freuen! Was thust denn jetzt weinen? Is ja doch eh’ alles gut! In drei Wochen wird g’heirat’!“

„Pepperl? … Is wahr?“

„Meiner See!’!“

Da legte sie ihm die Arme um den Hals, sah ihm unter Thränen lachend in die Augen und atmete auf. „Nachher is mir alles recht … alles!“

„Gelt, ja? Und unser Herr Fürst! Das is halt einer!

Gleich hat er’s ’raus g’habt, daß ebbes in der Familli net in Ordnung is. Und wie er nachher g’redt hat mit mir … alles, alles verzähl’ ich dir aufn Abend! Jetzt hab’ ich kein’ Zeit nimmer, weißt, jetzt muß ich ’nauf! Oder weißt es noch gar net? Der Schwarzlackierte is abg’schoben!“

„Ja! Gott sei Dank!“

„Und jetzt hab’ ich d’ Verantwortigung, daß ich sein’ Dienst übernimm … da muß ich sehrwieren beim Dineh.“

„Was mußt?“

„Sehrwieren … aufwarten beim Essen.“

„Du, Pepperl, da mußt dir fein d’ Händ’ ordentlich waschen!“

„Ja freilich, das is g’wiß! Hast ein warm’s Wasser?“

„Ja, da geh her!“ In geschäftigem Eifer schöpfte sie aus dem Kupferkessel, der über dem Feuer hing, eine Schüssel voll dampfenden Wassers heraus und probierte mit der Hand, ob es nicht zu heiß wäre. „Es thut’s g’rad’.“ Dann holte sie einen Klumpen Seife und die Holzbürste.

Pepperl rieb und scheuerte aus Leibeskräften, zuerst mit der rechten Hand die linke, dann mit der linken die rechte. Als er die Hände an Burgis Schürze trocknen wollte, sagte sie: „Halt, laß mich z’erst anschauen!“ Und nach kurzer Musterung meinte sie: „Na, na, du, da muß schon ich noch ein bißl drüber!“ Es dauerte eine ziemliche Weile und viel Seife ging drauf, bis sie erklärte: „So, jetzt kannst doch eine fürstliche Schüssel anrühren mit Manier!“

„Du bist halt ein Madl! Mit dir bin ich aufg’richt’! Ja!“

Ein Kuß, der sich etwas in die Länge zog, und dann rannte Pepperl davon.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0347.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2019)