Seite:Die Gartenlaube (1899) 0344.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

sagen. Ihren Namen herschreiben auf dieses gleiche Blatt, auf dem ich von jener anderen schrieb? Nein! Das wäre Entweihung. Am Abend, wenn ich heimkomme, sollst Du alles wissen. Und morgen, Goni, morgen hol’ ich mein Glück! Küsse mir das Bild meiner Mutter, Du Guter und Treuer, und freue Dich mit dem glücklichsten der Menschen. Das ist

Dein Heinz.“

Mazegger hatte schon längst zu Ende gelesen, und noch immer saß er über das Blatt gebeugt, das in seinen Händen zitterte. Sein fahles Gesicht war verzerrt, und mit einem Lächeln, das alle Zähne sehen ließ, als wären ihm die Lippen eingetrocknet, raunte er nur immer das eine Wort des Briefes vor sich hin: „Morgen hol’ ich mein Glück … morgen hol’ ich mein Glück…“

Plötzlich fuhr er auf, als hätte ihn eine Stimme geweckt. Erschrocken sah er um sich, schob den Brief in den Umschlag und verschloß ihn. Hastig blies er die Lampe aus und stieß am Fenster die Läden auf. Draußen war es Tag geworden.

Als wüßte er nicht, was er that, so verloren ging er zum Tisch zurück und betrachtete wieder den Brief.

„So? … Morgen? … Morgen? …“

Er lachte heiser, und seine Augen glühten. Dazu machte er eine Bewegung, als wollte er den Brief in Fetzen reißen.

Da trat der Förster in die Stube. „Guten Morgen, Toni! Und gut, daß d’ noch daheim bist. Heut’ mußt mit mir… Aber was hast denn da?“ Er nahm dem Jäger den Brief aus der Hand. „An Herrn Grafen? Und die Schrift von der Duhrlaucht? Ja, von wem hast denn den Brief?“

„Vom Peppi.“ Mehr zu erklären, hielt Mazegger nicht für nötig.

„Der Brief muß ja b’sorgt werden! Gleich auf der Stell’!“ Mit diesen Worten eilte Kluibenschädl davon.

Finsteren Blickes sah ihm Mazegger nach. Daß er heute den Förster begleiten sollte, gerade heute, das schien ihm nicht zu passen. In aller Hast machte er sich fertig, warf die Büchse hinter den Rücken, steckte mit zitternder Hand ein paar Patronen zu sich und schritt über das Almfeld hinunter. Doch bevor er den Wald noch erreichen konnte, klang hinter ihm die Stimme des Försters: „He! Toni! Was is denn? Warten, sag’ ich!“

An der Lippe nagend, blieb Mazegger stehen, bis der Förster ihn eingeholt hatte.

„Wo rennst denn hin? Ich hab’ dir doch g’sagt, daß ich dich brauch’! Oder hast schon wieder dein’ eigenen Kopf? Was? Und ausschauen thust wieder! Hast am End’ ein’ Ausflug g’macht in der Nacht… Gott weiß wohin?“

Mazegger wandte sich wortlos ab.

„Heut’ bleibst bei mir! Wir müssen die neuen Steig’ vermessen. Da haben wir Arbeit den ganzen Tag.“

„So?“ Mazegger lächelte. „Aber die Nacht? Die gehört doch mein?“

Der Förster sah ihn von der Seite an. „Was das jetzt wieder für eine Red’ is! D’ Nacht, natürlich, die g’hört freilich dein.“

„Gut! Mehr brauch’ ich nicht.“

„Zu was?“

„Zum schlafen.“

„Geh, du!“ brummte der Förster und schüttelte den Kopf. Sie verschwanden im Wald. –

Eine stille Morgenstunde, und dann kam die Sonne. Heute flog sie die Berge nicht mit jenem reinen Schimmer an, der all die hohen Felsen wie in durchsichtiges Flammengebilde verwandelt. Es war etwas Trübes in ihrem Feuer. Und die dünnen Nebel, die mit zerrissenen Formen hoch in den Lüften schwammen, glühten so rot, als wären Blutbäche über den mattblauen Himmel ausgegossen. Auch die Sonne selbst, als sie hinter den östlichen Bergen hervortauchte, hatte einen roten Schleier umgehangen – man konnte sie ansehen, ohne geblendet zu werden. –

Hoch droben über dem Bergwald, auf einem steilen, von Almrosen überwucherten Gehäng’, das die Sonne mit ihrem roten Feuer schon überleuchtete, ruhten Ettingen und Praxmaler zu Füßen einer einsamen Zirbe.

Pepperl saß mit dem Rücken gegen den Stamm gelehnt, so schwer, als hätte er eine Stütze recht nötig. Und er machte kein lustiges Gesicht. Die zehn „Viertelen“ rumorten wohl in seinen Haaren, denn er sah übernächtig aus und hatte Ringe um die Augen. In seinen Blicken, die das Thal suchten, leuchtete es wohl manchmal auf wie Glück und Freude, aber das erlosch immer wieder in trüber Kümmernis wie droben das Sonnenlicht in Nebelschleiern. Dazu wurde er, je länger er saß, immer schläfriger; ein um das andere Mal fielen ihm die Augen zu für einen kurzen „Sumser“, aus dem er mit erschrockenem Nicker wieder auffuhr.

Im Gesicht des Fürsten aber hatte die durchwachte Nacht keine Spur von Ermüdung zurückgelassen. Ettingen lag behaglich ausgestreckt in den Almrosenbüschen, über die der Wettermantel gebreitet war. Mit dem Blick des Glücklichen, für den alle Rätsel seines Lebens sich aus schwüler Nacht zu schönem Tage lösten, sah er träumend und lächelnd über den Bergwald in ziellose Ferne hinaus und empor zum glühenden Himmel.

Wieder einmal fuhr Pepperl aus kurzem Schlummer auf.

„Was meinen S’, Duhrlaucht … heut’ macht’s ein Lüfterl, da könnt’ man rein einschlafen dabei … sollten wir net ein bißl weiterbirschen?“

„Nein. Ich will nicht jagen heut’. Nur ruhen … so wie jetzt. Das alles zu sehen, wie das leuchtet, der Wald, die Berge, der Himmel … wie schön das ist! Bleiben wir nur!“

Pepperl seufzte. Um sich wach zu erhalten, mußte er wenigstens versuchen, einen „Dischkurs“ in Gang zu bringen.

„So ein Himmel wie der heut’? Der g’fallt Ihnen? Mir net! Na!“

„Ich habe noch keinen gesehen, der mir besser gefiel.“

„Aber ich bitt’ Ihnen, schauen S’ doch die verzupften Wölkerln an! Das is ein grauslichs Wetterzeichen. Morgen kriegen wir schlechte Birsch und ein’ trüben Tag.“

„Meinen Sie? … Nein! Wie morgen der Tag auch sein mag, er wird helle, reine und schöne Sonne haben!“

„Da täuschen S’ Jhnen. Herr Fürst … da möcht’ ich gleich wetten drauf.“

Als Ettingen nicht antwortete, machte Pepperl noch ein paar Versuche, den abgerissenen Gesprächsfaden wieder anzuknüpfen. Umsonst. Schließlich ergab er sich in stummer Geduld, und dann fielen ihm wieder die Augen zu.

Eine schweigsame Weile verging. Da machte ein Rascheln den Fürsten aufblicken. Praxmaler war mit dem Rücken halb über den Stamm hinuntergeglitten und fing schüchtern zu schnarchen an.

„Gute Nacht, Pepperl!“

Nun streckte sich auch Ettingen bequemer aus und verschränkte die Hände unter dem Nacken. So blickte er träumend zu den ziehenden Wolken auf, deren Rot immer blässer wurde, bis sie weißlichen Glanz bekamen.

Als hätte, was er fühlte und sann, nicht Raum in seinem Innern, als wäre die Brust zu enge dafür und als müßt’ es heraus an den Tag, so flüsterte er lächelnd vor sich hin:

„Lo’! … Meine Lo’!“

Tief atmend, mit diesem Lächeln auf den Lippen, schloß er die Augen, weil ihn der silberne Glanz der Wolken blendete.

Stille. Träumende Sonnenstille.

Kaum hörbar fächelte der laue Wind um die Almrosenbüsche mit ihren halb verwelkten Blüten, machte die Blätter zittern und rollte wie spielend die abgefallenen Blütenkelche über das kurze Gras.

Langsam zogen die weißen Wolken im Blau, sammelten sich immer dichter und hüllten schon die höchsten Spitzen ein. Doch immer noch fand die Sonne zwischen Nebel und Gewölk eine Gasse für ihre Strahlen. –

Es war schon Mittag vorüber, als die beiden aus diesem wohligen Sonnenschlaf erwachten. Sie stiegen über den Berghang hin und hielten Einkehr im „Steinernen Hüttl“ – in einer aus groben Felsblöcken gefügten Sennhütte. Da gab es freilich nichts besseres als Milch und grobes Brot mit frischer Butter – aber die beiden verspürten nach diesem Schlaf einen Hunger, der mit allem zufrieden war.

Während sie neben der Sennhütte auf dem Rasen kauerten, jeder mit der Milchschüssel auf den Knieen, fragte Ettingen: „Sagen Sie mir, Praxmaler … Sie sind heute nicht wie sonst … was ist denn los mit Ihnen?“

„Nix! Na, na! Gar nix!“ Pepperl wurde rot bis über die Ohren. „G’wiß wahr! Nix, nix, nix!“

„Doch, Pepperl! Sie kommen mir heute so gedrückt vor, so unruhig? Haben Sie Unannehmlichkeiten in Ihrer Familie?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0344.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2019)