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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

gepreßter Schrei übertönte. Ein Stuhl wurde gerückt, hastige Schritte klangen, durch den Lichtschein des Fensters glitt ein Schatten – und nun ein Stammeln und Flehen, halb wie Lachen und halb wie Schluchzen, ein Ton, der dem lauschenden Jäger alle Sinne schauern machte. Dumpfe Stille – dann ein jähes Auslachen, herb und mißtönig, das Geräusch einer Thür – und wieder Schweigen. Aber das währte nicht lang – klirrend wurde droben das Fenster aufgerissen.

Mazegger drückte sich regungslos an die Mauer. Im Lichtschein, der übers Almfeld hinausfiel, sah er den Schatten des Fürsten – und deutlich hörte er den tiefen Atemzug, mit dem der Einsame dort oben die frische Bergluft trank wie eine köstliche Erquickung.

Der Schatten im Fensterlicht verschwand, und man hörte den Schritt des Fürsten, der im Zimmer auf und nieder ging. Ein Stuhl wurde gerückt – und dann war’s still.

Noch lange stand Mazegzer in der Nacht und spähte zu dem hellen Fenster hinauf. Kein Laut mehr, dort oben – aber auch die Lampe erlosch nicht. Wie gebrochen an allen Gliedern taumelte der Jäger zu seiner Hütte hinunter, nahm die Schuhe vom Boden auf und trat in die Stube. Er machte Licht und zog die Uhr. Drei Uhr vorüber – in einer halben Stunde mußte der Tag beginnen.

Immer mit der Uhr in der Hand, stand Mazegger am Tisch und starrte brütend vor sich nieder. Sein Gesicht war grau wie Asche, und die Augen brannten ihm wie im Fieber.

Schwankend ging er zum Bett, warf sich auf die Matratze und brütete mit starrem Lächeln vor sich hin.

Draußen begann es zu dämmern. Da huschte ein Schritt an der Hütte vorüber, vorsichtig und leis, als möchte er nicht gehört werden. Das erleuchtete Fenster der Jägerhütte war ihm offenbar nicht ganz willkommen, denn er duckte sich, um ungesehen vorüberzuschlüpfen. Schon wollte er auf den Fußspitzen in das Försterhäuschen schleichen, als ihn eine Stimme anrief: „Praxmaler?“

„Mar’ und Josef!“ stotterte Pepperl. „Der Herr Fürst!“ Scheu trat er seinem Herrn entgegen, der über den Weg herunterkam. „Ja Duhrlaucht! Was machen denn Sie schon auf? In aller Früh?“

Ettingen lachte. „Das begreifen Sie nicht? Ein Jäger? Sie sind ja doch auch schon munter!“

„Ja mein, ich … das is ganz was anders!“

„Wo waren Sie denn heute schon?“

„Ich? Nirgends! Na, na! Gott bewahr’! Ich bin nirgends g’wesen!“ stammelte Pepperl. „Bloß da drunten … ein bißl da drunten halt … weil ich ein bißl ausschauen hab’ wollen, wie sich der Tag heut’ anlaßt, ja … weil ich befohlen bin … mit’m Herrn von Sensburg, zur Gamsbirsch. Den muß ich wecken jetzt! Gleich!“

„Lassen Sie den nur schlafen und gehen Sie lieber mit mir!“

„Mit Ihnen, Duhrlaucht? Gott sei Dank! Das is mir freilich lieber! Und der ander Herr, mein’ ich, thut sich eh viel leichter im Bett als wie auf der Gamsbirsch! … Aber wohin denn, Duhrlaucht?“

„Wohin Sie wollen. Nur hinauf! Hoch hinauf! Ich möchte eine Stunde früher die Sonne sehen.“

„Da steigen wir zum Steinernen Hüttl ’nauf … das is der nächste Weg in d’ Höh. Und gleich bin ich fertig!“

„Noch eines … hier ist ein Brief. Der soll an Graf Sternfeldt übergeben werden, sobald er aufsteht. Ich bitte, besorgen Sie das. Und bis Sie sich fertigmachen, geh ich langsam voraus.“

Ettingen folgte dem Steig, der sich in das matte Zwielicht des Waldes verlor.

Als Praxmaler in seine Hütte treten wollte, wurde er von einer zischelnden Stimme angerufen: „Peppi!“

Mazegger kam auf ihn zugesprungen.

„Was is?“

„Ich hab’ dich reden hören mit dem Herrn Fürsten … kannst ja mir den Brief geben. Ich besorg’ ihn.“

Hätte Pepperl nicht Kopf und Herz mit anderen Dingen voll gehabt, so hätte ihm der seltsame Klang dieser Stimme auffallen müssen. So aber sagte er: „Ja, is recht … und is mir lieber, als daß ich den Herrn Förstner aus’m besten Schlaf wecken muß! Aber gelt, ich kann mich verlassen auf dich?“

„Ja! Gieb her…“

„No, no, no? Was hast denn? Geh, du bist einer! Reißt er mir den Brief aus der Hand als wie … ich weiß net, wie!“

Ohne zu antworten ging Mazegger zu seiner Hütte. Auf der Schwelle blieb er lauschend stehen, bis er die davoneilenden Schritte des Jägers hörte, der seinem Herrn folgte. Dann schloß er am Fenster die Läden, trat in die Stube und verriegelte die Thür. Schwer atmend, mit starren Augen und klaffenden Lippen stand er und lauschte – rings um die Hütte war alles still. Nun untersuchte er den Brief und drehte ihn hin und her, langsam, als wäre das leichte Papier so schwer Wie Blei. Der Brief war nicht gesiegelt, nur leicht verklebt.

Mazegger öffnete ihn – und damit kein Lichtschein durch die Ritzen der Läden hinausfallen möchte, schraubte er an der Petroleumlampe die Flamme ganz klein herunter. Bei diesem trüben Zwielicht las er:

„Drei Uhr Morgens.

Lieber Goni!

Du hast recht gehabt! Ich sollte nicht erlöst werden ohne ,Gewaltstreich’. Aber sie war es, die ihn versuchte – mit einer plumpen Reminiscenz an die französische Komödie, deren Heldinnen sie ja verkörperte, bevor sie den adeligen Hochstapler fand, der ihr seinen Namen gab und dann auf Reisen ging, damit sie ungestört die ‚schöne Witwe‘ spielen und ihre Netze stellen konnte. Aber was mich in meinem Wahnsinn damals, als ich allen Zusammenhang erfuhr, vor Ekel krank machte, krank auf den Tod fast – daran kann ich heute denken, als wär’ es nie gewesen, als hätt’ es mich nie berührt, als läge für mich eine ganze Welt zwischen damals und heute, ein Feuer, das mich reinigte, als ich seine Flammen durchschritt. Und denk nur, Goni, sie kam, um die Flitterwochen ihrer Freiheit mit mir zu verleben! Denn sie hat sich scheiden lassen – das war der Grund ihrer langen, Dir so unbegreiflichen Reserve – sie wollte frei sein, um mir sagen zu können: ich habe mich frei gemacht, für dich! Daß sie mir das nicht einen Monat früher sagte – das ist für mich ein Glück, das ich meinem Gott und meinem guten Engel danke. Ich glaube, ich wäre bei meiner falschen Vorstellung von dem, was .‚Verpflichtung‘ heißt, noch vor wenigen Wochen zu jeder Thorheit fähig gewesen, auch auf die Gefahr hin, mit Bewußtsein mein Leben zu vernichten. Aber daß sie für das Bekenntnis ihres ‚Opfers‘ gerade diese Stunde wählte und dazu ein Kostüm, wie für die Rolle der,JIza’ im ‚Fall Clemenceau‘ geschnitten – das war ein schlechtes Spiel, mit dem sie gegen meine gute Karte nicht aufkam. Das hat mir die Bilanz meiner Vergangenheit und Zukunft leicht gemacht. Nun ist alles vorüber und abgethan! Gründlich! Wie ich aufatme! Und nun brauch’ ich Dir gar nicht mehr zu schreiben: Mache mein Haus rein, Goni, und ich will es Dir danken! Denn ich bin überzeugt, sie wird den Wagen schon befohlen haben, noch ehe Du am Morgen munter wirst. Daß ich nach einem solchen Auftritt keine Stunde mehr mit ihr unter dem gleichen Dach verbringe, wirst Du begreiflich finden. Nur diese Zeilen schreib’ ich Dir. Dann weck’ ich den Jäger und steige mit ihm hinauf – hoch, hoch hinauf, wo ich Sonne und reine Luft finde. Am Abend komm’ ich heim – und ich bitte Dich, Goni, laß im Jagdhaus alle Fenster öffnen! Weit!

Und doch – eigentlich muß ich ihr dankbar sein. Denn sie verhalf mir zu einer Erkenntnis, die ich gestern noch nicht besaß – zur Erkenntnis meines Glückes, das gestern noch unbewußt in mir blühte wie ein Gefühl wunschloser Freude, ruhig, heiter und schön. Doch als ich diese Frau so vor mir stehen sah, mit ihrer blendenden Schönheit und all ihrem innerlichen Unwert, da zwang sie mich zu einem Vergleich, da sah ich neben ihr eine andere stehen – wie neben einer faulen Frucht der Großstadt eine reine, schöne Blume der Berge. Ach, Goni, wie wurde mir da die Wahl so leicht! Wenn ich Dir nur sagen könnte, wie mir zu Mute war, als es so plötzlich Licht wurde in mir, als ich so jählings das Glück erkannte, das mich erwartet wie ein blühender Frühlingstag, so plötzlich fühlte, daß ich liebe! Ja, Goni, ich liebe, liebe, liebe! Mit meiner Seele! Tief und heilig! Ein Glück, das ich gefunden habe auf reinem Weg! Erinnerst Du Dich an dieses Wort meines ersten Briefes? Nun ist es zur Wahrheit an mir geworden. Aber nun hab’ ich mehr Glück erkannt, nun will ich es auch gewinnen und wahren an meiner Brust! Mit starken Armen. Mehr kann und will ich Dir jetzt nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0343.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2021)