Seite:Die Gartenlaube (1899) 0338.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

und ist, trotz der dafür bezahlten respektablen Summen, heute wertlos.

Den Gipfel dieser traurigen Nachahmung bezeichnet die in Linderhof konstruierte „blaue Grotte“. Mit künstlichen Tropfsteinen und präparierter Leinwand wurde die Form hergestellt, Spießglanz und farbige Gläser mußten unter den Händen geschickter Theatermechaniker die Bedingungen zum Lichteffekt liefern, und dieser selbst wurde durch elektrische Bogenlampen bewerkstelligt, deren Glocken mit Blau, Rot, Grün und Gelb überzogen waren. Aber Blau war des Königs Lieblingsfarbe, es kostete den mit der Illumination betrauten Maler O. Stöger unendliche Mühe, sie ganz nach seinem Wunsch herzustellen. In dieser theatralischen Zauberwelt saß Ludwig dann nach Mitternacht auf dem „Königssitz“ unter künstlichen Rosenguirlanden, bestieg dann den goldenen Nachen und ließ sich auf dem künstlichen See herumrudern, während die Grotte abwechselnd in rotem, grünem, gelbem und rosa Licht erglühte. Die Riesenkosten, die schwere Arbeit der Ofenheizer und Elektrotechniker bekümmerten ihn nicht. „Ich will nicht wissen, wie es gemacht wird, ich will nur die Wirkung sehen,“ pflegte er zu sagen, wenn irgend eine Bemerkung sich hervorwagte. Einmal nach einer solch anstrengenden Sonntagnacht, wo Stöger, der geschickte und unermüdliche Direktor des ganzen Zaubers und der vielen dabei mitwirkenden Arbeiter, sich ein paar Ausgehestunden erlaubte, kam Ludwig II an dem Laboratorium vorüber und fragte einen Wegmacher: „Wo ist Stöger?“

„Der macht blau, Majestät.“

„Ah, das ist recht, er soll nur so fortfahren!“ erwiderte der König, ahnungslos über den wahren Sinn der Rede, nur in Gedanken an seine blaue Grotte. Später bei dem Schlafzimmer in Herrenchiemsee sollte Stöger wieder eine blaue Beleuchtung liefern. Er nahm eine blaue Glaskugel und steckte das Licht hinein. Aber am nächsten Morgen war der König höchst unzufrieden: die Flamme schimmere weiß durch das blaue Glas durch. Stöger probierte und probierte, ohne besseren Erfolg. „An der Kugel werde ich noch verzweifeln,“ stöhnte der sonst so lustige Künstler gegen die Lakaien, die ihm die allerhöchste Unzufriedenheit meldeten. Aber der König ließ ihm dagegen sagen, zu verzweifeln brauche er nicht, er werde es schon herausbringen. Nach 11/2 Jahren endlich gelang das Gewünschte und der arme Stöger war erlöst.

Man denkt bei Ludwigs ausschließlicher Neigung für blaues Licht unwillkürlich an die „blauen Zimmer“ der Irrenanstalten, die eine so merkwürdig besänftigende Wirkung auf die Kranken ausüben! Im übrigen war ihm die blaue Farbe von seiner Mutter schon im Knabenalter verliehen, alle seine Besitztümer trugen sie, während Prinz Otto rot als Abzeichen bekam.

Der Linderhof war vollendet, aber des Königs Baulust noch nicht befriedigt. Ein Zufall richtete seine Augen auf das stille Eiland Herrenwörth im Chiemsee, dessen uralter Hochwald mit der Abholzung durch eine Aktiengesellschaft bedroht war. Ludwig II kaufte die Insel ihrem Besitzer ab, weilte mehrere Male dort und faßte bald den Entschluß, durch seinen Architekten Dollmann, der auch Linderhof geschaffen hatte, hier ein großes Schloß zu bauen, ein zweites Versailles, welches ebenso der Verherrlichung des „Sonnenkönigs“ gewidmet sein sollte wie das französische Original, und er besaß einheimische Kräfte genug, um den Plan glänzend auszuführen. Auf der Münchner Ausstellung von 1876 hatte das bayrische Kunstgewerbe den großen neuen Zug nach Stilreinheit und mustergültiger Arbeit zum erstenmal in vortrefflichen Werken verkörpert. Damals herrschten die Renaissanceformen, es wurde aber den Künstlern nicht schwer, sich in den von dem König gewünschten pomphaften Barockstil einzuarbeiten und für das neue Versailles die prachtvollen vergoldeten Decken, und Wandskulpturen, Stickereien, Lüster, Möbelbezüge, Holzschnitzereien, Trophäen und Spiegel anzufertigen, deren vortreffliche Nachbildungen das Buch L. v. Kobells in reicher Fülle ihren Lesern bietet. Auch die Maler mußten die Siege Ludwigs XIV zum Gegenstand der vielen Bilder nehmen, welche die Wände der goldstrotzenden Säle und Galerien schmücken.

Es gelang ihnen nicht nur, die verschiedensten Hof- und Staatsaktionen, Friedensschlüsse und olympische Scenen im Geiste jenes Zeitalters darzustellen, sondern sich auch in die Atmosphäre des absoluten Königtums soweit einzuleben, daß z. B. einer von ihnen dem auf dem Sonnenwagen emporsteigenden Phöbus Apollo Ludwigs Züge lieh! Sechs Jahre lang betrachtete der neue Sonnenkönig die gemalte Schmeichelei mit Wohlgefallen, dann siegte aber doch die historische Passion und er befahl, daß Ludwigs XIV Gesicht dem Apollo aufgemalt werde!

Die sämtlichen großen und kleinen Säle waren nur prunkvolle Coulissen für eine Schattenwelt. Nie hat in der Salle du Conseil[1] ein Ministerrat getagt, nie die goldene Chambre de Parade[2] ein königliches „Lever“ gesehen, nie wurde in dem prunkvollen Speisesaal eine Tafel für die Hofgesellschaft gedeckt: einsam saß der König in seinem großen, bildergeschmückten Arbeitszimmer oder ging des Nachts, wenn die berühmte Spiegelgalerie im Glanz unzähliger Kerzen strahlte, darin auf und ab. Im Geiste sah er alle, die einst die große Galerie in Versailles belebt hatten, Prinzen, Feldherren und Künstler, schöne Damen, die sich tief vor den eintretenden Majestäten verneigten. „Das ist mir die liebste Gesellschaft,“ sagte er, „sie kommt und verschwindet, wann ich will!“

Auf des Königs Wunsch standen fruchtbeladene Orangenbäume in prachtvollen großen Vasen in den Fensternischen der Galerie. Als er einstmals die Hand ausstreckte, eine Orange aus dem dunklen Laub herauszupflücken, bekam er statt des Stieles einen Metalldraht zu fassen, der die Frucht an dem Ast befestigte. „Schwindel!“ rief er entrüstet und warf die Orange an die Wand. Er ahnte nicht, wie oft sein herrisches Gebot derartige Surrogate hervorrief, deren Anblick ihm die Illusion gab, das Unmögliche sei für ihn möglich gemacht! Wo es aber galt, die Konsequenz seiner nur auf Pracht ausgehenden Schöpfungen, also den völligen Mangel an Behaglichkeit zu ertragen, da zeigte er sich ganz geduldig. „Nur ungern,“ sagt Frau v. Kobell, „senkte sich der Schlaf auf seine Augen in dem mit Schmuck beladenen Bett, unsanft lag der Körper auf den zollhohen Stickereien des Kanapees; setzte sich der König an den Tisch, so kamen seine Knie in empfindliche Berührung mit den Goldornamenten, die Schreibmappe war wegen ihrer Porzellan- und Metallbelastung schwer zu benutzen, der Federhalter derart mit benvenutischen[3] Ciselierungen übersät, daß ihn die Hand nur auf kurze Zeit zu ergreifen vermochte. Aber dank seiner Liebe zur Kunst setzte sich Ludwig II über diese Mängel und Schattenseiten gern hinweg.“ Sein Schreibzeug wenigstens, ein kleines Meisterwerk von Goldbronze, durch Münchner Künstler hergestellt, machte ihm ein außerordentliches Vergnügen. Es zeigte neben reichem Figurenschmuck ein von der Krone überragtes Medaillon mit dem Brustbild Ludwigs XIV. Drückte man auf eine Rosette, so verschwand dieses und an seiner Stelle erschien das Ludwigs XV. Der König ergötzte sich an diesem Mechanismus so sehr, daß er die Bilder beständig hin und her schob. Am zweiten Tag versagte der Apparat schon und mußte sofort in Reparatur gehen!

Wie schon gesagt, war Ludwig freigebig mit Lob und Lohn, wenn seine Künstler ihn befriedigt hatten, aber er hetzte sie auch auf eine Weise, die nur mit seiner gänzlichen Unkenntnis der Arbeit und der dazu nötigen Zeit zu entschuldigen ist. „Ich wünsche sogleich“ … „Teilen Sie mir unverzüglich mit“ … „Setzen Sie sogleich alles Erforderliche ins Werk“ … „Ich wünsche bis morgen“ … sind die steten Anfänge seiner Billets, in denen er Kupferstiche aus entfernten Bibliotheken verlangt, oder den Hofphotographen nach Paris beordert, um einige Bilder in Versailles aufzunehmen, seltene Ausgaben von Büchern „unverzüglich“ haben will u. a. m. In anderthalb Tagen mußte die Einbanddecke eines großen Albums für die Kaiserin von Oesterreich mit Alpenrosen und Edelweiß gestickt werden. Als viele Hände bei Tag und Nacht dies fast Unmögliche vollendet hatten, schickte der König einen Riesenstrauß der schönsten Rosen an die kunstreiche Stickerin.

Aehnlich befahl er auch die Bilder und plastischen Arbeiten seiner Künstler (worunter die meistbeschäftigten: Spieß, Hauschild, Pixis, Schwoiser, F. Piloty, Heigel, Pechmann, Watter, Perron, Widnmann) in der kürzesten Zeit und korrigierte sehr häufig ihre Skizzen in Kostüm und Haltung, stieß aber auch dann und wann einmal auf einen ungeahnten Widerspruch. Moritz von Schwind,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0338.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2020)
  1. Beratungssaal.
  2. Paradezimmer.
  3. Benvenuto Cellini, der berühmte Goldschmied.