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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Das ging dem Praxmaler-Pepperl über die geduldige Leber, und er fuhr auf, mit zornrotem Gesicht: „Du! Solchene Sachen verbitt’ ich mir fein!“ Er fand auch gleich für diesen Gewaltstreich das richtige Advokatenwort: „Die berseenliche Freiheit laß ich mir net beschränken!“

„G’hören thät’s dir aber, daß man dich einsperren thät’!“ fiel Burgi mit heißer Erregung ein. „So ein’, wie du bist, sollt’ man ja doch net freilings laufen lassen! Dir g’höret ein Halsbandl, dir!“

„Natürlich, mit ein’ Schnürl dran … daß du mich führen könnt’st! Aber gelt! Mich laß in Ruh’! Führ’du dein’ Schwarzlackierten spazieren … den mit die seidenen Höserln!“

„Du … du …“ Sie ballte die Fäuste und brachte nur mühsam die Worte heraus. „Ueber den … da sag’ mir fein nix mehr … du!“

„Dir sag’ ich noch viel!“

„Mein’twegen, ja! Aber gelt? Mit deiner Tugendhäftigkeit, da kannst mich auslassen, du! Und mit die Gomorringer! Denn die wann ausrucken, bist du als Korporal dabei.“

„Wer weiß, ’leicht awanzier’ ich gar noch zum Leutnant!“

„Ja, da hast recht! Du bringst es noch weit! Heut’ hab’ ich dich ausstudiert, du scheinheilig's Brüderl, du! Jetzt kenn’ ich dich, weißt! Denn so, wie du heut’, hat sich ja doch net bald einer aufg’führt!“

„Natürlich, ich hab’ halt was g’lernt von dir!“ erklärte Pepperl mit höhnischem Gelächter. „Schlechte Beispieler, weißt, verderben halt gute Sitten!“

„Verderben? So? Verderben?“ keuchte Burgi, als hätte ihr dieses Argument einen Stoß ins Leben versetzt. „An dir is noch was zum verderben? Meinst? Ja, kann schon sein … aber da bist in der richtigen Schul’ … bei der! So eine, freilich … die wachst net bei uns … die muß extra aus’m Frankreich kommen! Wie’s die versteht! Ah! Ah! Pfui Teufel! Und net einmal Deutsch kann s’, die!“

„Macht nix! Ihr Bussel, das hab’ ich schon gut verstanden!“

„So? Hast es verstanden?“ höhnte Burgi, während ihr die Thränen in die Augen sprangen. „Gut verstanden? So?“

„Ja! Und sie haben was Extrigs, die franzeesischen Busseln … da muß ich schon schauen heut’, daß ich noch eins derwisch …. drum geh’ von der Thür weg, sag’ ich, und laß mich ’naus!“

„So? ’Naus thätst mögen? ’Naus?“ Sie retirierte einen Schritt und machte die Ellbogen breit, um den Riegel zu decken. „Fensterln? Bei der? Das thät’ dir halt taugen, dir? Gelt?“

„Und wie! Es taugt ja dir auch net schlecht, wenn der ander kommt: Main scheenes Gindd!“

„Und du: Schö wussem, schö wussem …“

„Schö wussem, ja,“ schrie Pepperl mit erloschener Stimme, „schö wussem … noch tausendmal sag’ ich’s ihr heut’!“ Er machte einen drohenden Schritt. „Von der Thür geh’ weg!“

„Ich mag net! Na!“ Und während ihre Augen immer größer wurden, stemmte sie sich mit dem Rücken gegen die Bretter.

„Gehst weg oder net?“

Sie starrte ihn an, regungslos, mit einem Gesicht, das wie versteinert schien. Je bleicher sie wurde, desto dunkler stieg dem Praxmaler-Pepperl das Blut in die Stirn. „Geh weg, sag’ ich … zum letztenmal!“ Aber sie rührte sich nicht.

Da riß ihm die Geduld. Er machte einen Sprung zur Thür und versuchte Burgi mit dem Ellbogen beiseite zu schieben. Aber sie klammerte sich an den Riegel, als hinge ihre Seligkeit an diesem Stücklein Holz. Pepperl tauchte mit der Schulter an und schob und drückte, bis er den Riegel zur Hälfte frei bekam. Nun riß er ihn auf, und schon klaffte die Thür um einen handbreiten Spalt – aber als gält’ es jetzt einen Kampf auf Leben und Tod, so warf sich Burgi dem Feind entgegen, packte ihn mit der einen Hand an der Brust, mit der anderen an der Kehle, und suchte ihn mit verzweifelter Kraft von der Thüre wegzureißen. Und wirklich, Pepperl war von diesem jähen Ueberfall so völlig überrascht, daß er schon bis in die Mitte der Stube gezogen war, bevor er noch recht an Widerstand denken konnte. Aber jetzt erwachte die Wut in ihm. Mit Zucken und Zerren versuchte er sich freizumachen und wurde grob dabei. Doch Burgi hielt ihn mit den Armen umklammert, ihre letzte Kraft erschöpfend, und ließ ihn nicht los. Da begannen sie ein Ringen, wortlos und keuchend. Als wären ihre Körper festgewachsen aneinander, so bogen und krümmten sie sich – –

Dann plötzlich – als hätte ein Zauber ihre Kräfte gelähmt – standen sie regungslos, alle beide. Sie hielten sich mit den Armen noch umschlungen wie im Ringen – aber sie sahen sich an, bleich und erschrocken, Aug’ in Auge, mit einem Blick, der in die Herzen tauchte. Sie wollten sprechen, aber sie lallten nur – und eines schloß dem anderen die Lippen mit brennendem Kuß.

Die Stubendecke pumperte über ihren Köpfen, und eine Lachsalve nach der anderen prasselte dort oben im Heu.

Aber die beiden hörten es nicht. Sie waren auf die Herdbank niedergesunken, hielten sich mit den Armen umschlossen und wurden nicht satt an ihren Küssen. Nur einmal, scheu, hob Burgi das Gesicht und flüsterte: „Pepperl …“

„Ja, mein Schatzerl?“

„Neulich, weißt … da hat er mich busseln wollen … und … da hab’ ich ihm eine ’runterliniert!“

„Geh? Is wahr?“ Dieses Bekenntnis rührte ihn fast zu Thränen, als hätte sie ihm ihre Liebe besser nicht beweisen können als durch das „Zähntweh“ des Kammerdieners. „Geh? Is wahr! Na! So ein guts Madl wie du bist – so ein gut’s giebt’s nimmer auf der Welt! … Aber gelt? Das einschichtig Bussel von der andern da … das thust mir schon auch net verübeln?“

„Aber g’wiß net! G’wiß! Wir müssen noch froh sein, daß ’s bloß ein einzig’s war! Und sie hat’s ja dir ’geben … da kannst ja du nix dafür!“

„Ja, da hast recht!“ Dankbar zog er sie an seine Brust, und nun saßen sie wieder schweigsam und hielten sich fest umschlungen.

Droben auf dem Heuboden schien der übermütigen Gesellschaft allmählich der Schlaf zu kommen. Nur ein paarmal hörte man noch ein leises Gekicher, das sich in lautlose Stille löste.

Die Kienfackel an der Wand war schon erloschen; der Stumpf aber glühte noch und winzige Funken fielen von ihm zu Boden. Kleiner und kleiner wurde das Feuer auf dem Herd. Doch bevor es in stille Glut versank, züngelte knisternd noch ein letztes bläuliches Flämmlein auf.

(Fortsetzung folgt.)




Die Ursachen der Bergkrankheit.


In unserm Jahrhundert wurde das früher gemiedene Hochgebirge für die Menschheit erschlossen. Alljährlich wandern Tausende und aber Tausende zu ihm hinauf, um in der frischen Bergluft zu gesunden, beim Erklimmen der Höhen ihre Kraft zu stählen und Eindrücke, die den Geist erheben, zu genießen. Wie schön und nützlich aber der Alpinismus auch ist, er bringt dennoch Gefahren mit sich; alljährlich hört man von Unfällen im Hochgebirge, die zur Vorsicht mahnen, und auch über den Einfluß des Aufenthalts in den höchsten uns zugänglichen Bergregionen auf die Gesundheit des Menschen ist noch keineswegs eine klare Anschauung erlangt worden.

Wer 3000 m über den Meeresspiegel und höher hinaufsteigt, der versetzt sich allmählich in ungewöhnliche Lebensbedingungen. In diesen Höhen atmet er eine dünnere Luft und bemerkt je nach seiner Veranlagung früher oder später, daß seine Muskeln, seine Lungen und sein Herz anders arbeiten als in den tiefer gelegenen, von Menschen ständig bewohnten Gegenden. Unter Umständen nehmen die Störungen in den Lebensfunktionen des Bergsteigers zu und beeinträchtigen sein Wohlbefinden. Es stellt sich bei ihm die sogenannte Bergkrankheit ein, die zumeist in Herzklopfen und Atemnot, Uebelkeit und Erbrechen, Verfall der Körperkräfte bis zur Unfähigkeit, sich zu bewegen, bläulicher Färbung der Haut, Ohrensausen, Verdunkelung des Sehens und in Ohnmachtsanfällen besteht. Das eigenartige Leiden befällt nicht gleichmäßig alle Menschen; Kälte, Ermüdung, Aufregung und Furcht beschleunigen seinen Ausbruch; manche Bergsteiger erholen sich leicht und rasch von dem Anfall, andere wieder leiden dauernd in einer bestimmten Höhe. Alle diese Erscheinungen weisen darauf hin, daß die Bergsteiger sich der Grenze nähern, welche nach der Höhe hin dem menschlichen Leben gezogen ist. Die Bergkrankheit hat schon vor hundert Jahren Naturforscher wie Saussure und Alexander von Humboldt lebhaft beschäftigt, es ist aber bis heute nicht gelungen, ihre Ursachen völlig zu ergründen und Mittel zur wirksamen Bekämpfung des Leidens zu finden.

Einen sehr beachtenswerten Beitrag zur Erforschung der so rätselhaften Einwirkung der Höhenluft auf den Menschen hat neuerdings Angelo Mosso, Professor der Physiologie an der Universität in Turin, geliefert. Im Jahre 1894 unternahm er in Begleitung von zwei Aerzten und zehn Soldaten sowie den nötigen Führern eine Expedition auf den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0316.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)