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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

colosse empfand, fing an ins Bedenkliche zu wachsen. Alles an ihm gefiel ihr, aber ihr ganz besonderes Entzücken erregten seine „Kreuzerschneckerln“.

Regardez, Jean, quels jolis cheveux il a! Ils ont l'air de s'amuser beaucoup!

„Was hat s’ g’sagt?“ fragte Pepperl mit etwas gereizter Neugier. „Daß deine Schneckerln so lustig ausschauen … sie meint, die müssen sich gut unterhalten.“

Fifi kicherte vor Vergnügen über das sonderbar erstaunte Gesicht, das der Jäger zu dieser Verdeutschung machte – und als müßte sie dem Wohlgefallen, das sie an diesen „lustigen“ Haaren fand, noch deutlicheren Ausdruck geben, sprang sie auf, faßte den Praxmaler-Pepperl über den Tisch hinüber am Kopf und wühlte mit ihren winzigen Spinnenhänden in diesem Wust von blonden Locken wie ein Geiziger in seinem Gold.

Alles lachte – nur drüben am Herd empörte sich die Sennerin und zischelte vor sich hin: „So ein ausg’schaamts Frauenzimmer! Die erlaubt sich ein bißl gar z’ viel! Das muß ich schon sagen!“ Und ein Scheit flog ins Feuer, daß die Funken aufstoben.

Comme il me plait! Ah! Ah! Qu'il me plait bien!“ zwitscherte Fifi. „Mai! Mais! Attention!“ Gestikulierend suchte sie das Gelächter der anderen zu beschwichtigen. „Je veux lui dire ça en allemand! Comment cela ce dit-il en tyrolien, tu me plais, tu es un joli garçon, toi?

„Ruhe! Ruhe! Jetzt will sie deutsch mit ihm reden!“ verkündete der Dolmetsch. „Sie will wissen, wie das auf ‚tirolerisch‘ heißt: du gefällst mir, du bist ein hübscher Junge! … das muß ihr ganz echt gesagt werden! Also …“

Unter fideler Spannung der ganzen Tafelrunde sprach ihr einer der Touristen im breitesten Tirolerdialekt den Satz vor: „Du g’follscht ma, bischt a liaba Bua!“

Fifi versuchte die bleischweren Laute nachzuschwatzen, aber was auf ihrem leichten Zünglein daraus wurde, das hörte sich so drollig an, daß die ganze Gesellschaft in schallendes Gelächter ausbrach. Sogar die Sennerin lachte – aber das war ein Lachen, so grell und mißtönig wie der Klang einer springenden Saite.

Den Praxmaler-Pepperl schien diese Liebeserklärung der Französin – oder etwas anderes – um den letzten Rest seiner Zurückhaltung gebracht zu haben. Er stieß einen gellenden Jauchzer aus, griff mit beiden Armen zu, und wie man einen Knödel aus der Suppe sticht, hob er das kleine Persönchen über den Tisch herüber an seine Seite. „Sie, jetzt spielen S’ ein’ auf, ein’ rassigen!“ schrie er dem Zitherspieler zu. „Jetzt wird einer ’tanzt mit meiner Franzeesin! Ein g’sunder!“ Wieder jauchzte er und schwang seinen Hut dazu.

Mit schwirrenden Klängen fiel die Zither ein. Zwei der jungen Touristen faßten die beiden als Dirndln kostümierten Mädchen um die Hüfte, und Jean, der nicht leer ausgehen wollte, machte den Versuch, die Sennerin zum Tanz zu holen. Doch wortlos drehte ihm Burgi den Rücken, während Pepperl dem Verschnürten mit höhnischer Freude zurief: „Sie! Die lassen S’ in Ruh’! Die is der Rühr-mi-net-an! Die hat ein’ Heimlichen, wissen S’! Wann die ein’ andern anschaut, wird er wild, der Heimliche, und sie darf ihm die schecketen Jagdküh’ nimmer melchen … juhuuu!“ Das war ein Jauchzer, dessen scharfer Klang wie ein Dolch in alle Ohren fuhr – und mit einem Luftsprung, wie ein Tollgewordener, trat Pepperl an der Hand „seiner Franzeesin“ zum Schuhplattler an.

Burgi stand bleich am Herd und starrte ins Feuer.

Aber auch Fifis Gezwitscher war verstummt, und einen Augenblick schien es, als bekäme sie Angst vor diesem superbe colosse, der ihre Hand umklammert hielt wie mit eisernem Schraubstock und das kleine Persönchen im Kreise wirbelte, daß ihre Röcke flogen wie ein sausendes Rad. Dann aber lachte sie wieder, blitzte ihn mit ihren schwarzen Augen an, und flink hatte sie es den beiden anderen Mädchen abgeguckt, wie sie sich, mit beiden Händen die Röcke niederhaltend, vor ihrem Tänzer drehen, wiegen und wenden mußte, um den Sinn dieses urwüchsigen Naturtanzes zum Ausdruck zu bringen: dieses Entfliehen und Sich-haschen-lassen, dieses Versagen und Gewähren einer Gunst, um die der Tänzer wirbt.

Mit einem Jauchzer, daß die Stubendecke dröhnte, umkreiste Pepperl die sich wirbelnde Tänzerin und begann ein Schlagen und Springen, ein Blasen und „Schnackeln“ wie ein liebes- und frühlingstrunkener Spielhahn. Er „plattelte“, als wollte er seine Schuhe und Kniee zu Scherben klopfen, schlug Räder und Purzelbäume, schnellte im Aufsprung die Fußspitze bis zur Stubendecke und schwang, als die Zither schwieg, mit gellendem Juhschrei seine Tänzerin durch die Luft wie eine Feder.

Die beiden anderen Paare, auch Jean und der Zitherspieler, schrieen Bravo und applaudierten. Und Fifi, als sie mit den zappelnden Füßchen wieder zu Boden kam, schaute glühend und staunend an ihrem Tänzer hinauf und pisperte mit ihrem atemlosen Stimmchen: „Bigre, tu as de la race, toi!“ Mit beiden Händen haschte sie ihn am Schnurrbart, zog ihn zu sich nieder, hob sich auf die Fußspitzen und drückte ihm einen Kuß auf die Lippen. Dann huschte sie kichernd zur Stube hinaus.

Die Touristen machten dazu einen fidelen Spektakel und klatschten Beifall, während Jean der kleinen Französin ein wenig indigniert und mit der Bemerkung folgte: „Die ist ja rein wie verrückt, die kleine Katze!“ Er fand sie draußen, wie sie vor Lachen kaum Atem und Worte hatte. Und als sie sich in seinen Arm einhängte, um sich zum Jagdhaus hinaufführen zu lassen, meinte sie, das wäre die richtige Hetz’ gewesen, wie sich’s gehört für die Sommerfrische … „la vraie bêtise de campagne!

Auch Pepperl lachte. Aber es schien, als wäre ihm dabei nicht besonders wohl zu Mut. Sein Gesicht brannte wie Feuer. Er mußte sich abkühlen und schrie der Wirtin zum „verloffenen Lampl“ mit heiserer Stimme zu: „He, Sennerin, noch ein Viertele!“

Wortlos, mit zitternder Hand, nahm Burgi das Glas vom Tisch und ging in den Keller. Schwer seufzend öffnete sie den Hahn am Faß, und während das dünne rote Brünnlein niederplätscherte in das Glas, tröpfelten ihr die dicken Zähren über die Wangen – und eine dieser Thränen fiel in den Rotwein. Wie in Wut über sich selbst fuhr sie mit der Faust über die Augen und biß die Zähne übereinander.

Als sie hinaufkam in die Stube, packte der Zitherspieler sein Instrument in den Rucksack, und die jungen Leute, denen der Wein ein wenig in den Köpfen wirbelte, schickten sich an, ihr Nachtlager auf dem Heu zu suchen. Unter Späßen, die der späten Stunde entsprachen, sagten sie der schweigsamen Sennerin Gute Nacht, stiegen mit Schwatzen und Gekicher über eine Leiter zum Heuboden hinauf und ließen an der Stubendecke die Klappe hinter sich zufallen.

Burgi und Pepperl waren allein. Ueber ihren Köpfen pumperte die Decke, und man hörte gedämpft die lachenden Stimmen der Heugäste, die es mit Schlaf und Ruhe nicht eilig hatten.

Unter schwülem Schweigen räumte Burgi den Tisch ab, so daß nur das letzte „Viertele“ des Praxmaler-Pepperl noch stehen blieb. Der suchte mit zitternden Händen aus seinem schweinsledernen Ziehbeutel das Geld für die zehn Schoppen heraus und legte die Münzen schön geordnet in Reih’ und Glied auf den Tisch. „So! … Da is mein’ Schuldigkeit!“

Er packte das Glas und stürzte den Wein hinunter – das ganze „Viertele“ mitsamt der bitteren Thräne, die hineingefallen, das war nur ein einziger Schluck. Dann stülpte er den Hut über die Kreuzerschneckerln, blies die heißen Backen auf, und ohne die Sennerin noch eines Blickes zu würdigen, wollte er zur Thüre.

Aber wie die strafende Gerechtigkeit den Verbrecher faßt, mit so jähem Sprung verlegte ihm Burgi den Weg.

Pepperl wurde bleich, und während sie so voreinander standen, sich messend mit finsteren Blicken, schienen sie alle beide zu ahnen, daß es jetzt ein Unglück geben würde.

Vor Aufregung klang die Stimme des Mädchens ganz verändert: „Wart’ ein bißl, du Moralischer, du! Mit dir muß ich noch was reden!“

„Du? Mit mir?“

„Ja! Ich! Mit dir!“

„Haha!“ Pepperl versuchte so von oben herab einen Ton anzuschlagen, der ihm nicht ganz gelang. „Wir zwei haben ausg’red’t miteinander! Und wenn schon meinst, du mußt mir was sagen, so such’ dir ein’ andere Zeit dafür aus! Heut’ weiß ich mir was bessers!“

Stolz machte er einen Schritt zur Thüre; doch Burgi war flinker, stieß den Riegel vor und nahm eine so kühne Fechterstellung ein, als wollte sie sagen: „Jetzt probier’, ob d’ ’nauskommst!“

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