Seite:Die Gartenlaube (1899) 0311.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Das soll ich dir noch erklären?“ Sternfeldt lachte. „Nein, guter Heinz! Da wart’ es nur lieber geduldig ab, bis du verstehst, was ich meine. Und jetzt Gute Nacht!“ Er zerdrückte die Cigarre in der Aschenschale und trat vor Ettingen hin. Jeder spottende Zug war ausgelöscht in seinem Gesicht, und tiefer Ernst blickte aus seinen Augen. „Heinz, du bist erregt … das gestehst du ja selber zu! Und Blut, das siedet, ist immer zu unberechenbaren Dingen geneigt. Laß dir wenigstens den einen Rat noch geben … leg’ dich mit diesem heißen Kopf nicht schlafen! Mach’ draußen in der kühlen Nacht noch einen Bummel, oder … auf deinem Schreibtisch liegt der Quartalsbericht und die Abrechnung deines Verwalters … setz’ dich heute noch drüber, Heinz! Da hast du drei oder vier Stunden nüchterne Arbeit. Das wird dich beruhigen, und …“ wieder lächelte er, „dann geht’s ja auch auf den Morgen zu. Ja, Heinz? Willst du das?“

Zögernd reichte Ettingen dem Freunde die Hand, ohne ein Wort zu sagen.

„Na also, ruhige Nacht!“

Ettingen sah dem Grafen nach, der zur Thüre ging. Dunkle Röte war ihm ins Gesicht gestiegen. „Goni? … Du denkst nicht gut von mir!“

„Von dir? Doch, Heinz!“ Sternfeldt lächelte. „Aber von ihr nicht.“ Er wollte schon die Thür öffnen, aber da blieb er wieder stehen. Der Ausdruck seiner Züge verriet, daß er mit einem Entschluß kämpfte, der ihm nicht leicht wurde. Und dann erwachte in seinen ernsten Augen ein Blick, so träumend weich und von so mildem Feuer, daß Ettingen seltsam betroffen zu ihm aufsah.

„Goni?“

Sternfeldt hob den rechten Arm und streifte die Manschette zurück. „Sieh her, Heinz, was ich da habe!“ Er trug am Handgelenk eine Goldkette mit kleinem Medaillon. „Ein Talisman, den ich seit fünfzehn Jahren trage! Es hat eine Zeit gegeben, Heinz, in der ich, aller Tollheit des Lebens fähig, ein Spielzeug jeder Stunde war, die mir das Blut heiß machte. Aber dann kam eine Wandlung über mich, es ist rein in mir geworden, klar und still. Seit damals trag’ ich diese Kette. Und der Talisman, den diese Kapsel enthält, hat mich seit fünfzehn Jahren vor aller Thorheit und Häßlichkeit des Lebens bewahrt. Und dieser Talisman, Heinz … ich glaube, der hätte auch Macht über dich … und ich möcht’ ihn dir geben. Aber ich kann die Kette nicht abnehmen … sie hat kein Schloß und ist angeschmiedet an meinen Arm … denn weißt du, ich will sie mitnehmen auf meinen letzten Weg. Aber willst du nicht sehen, was diese Kapsel enthält?“ Er trat zum Schreibtisch und hielt den Arm in das helle Licht der Lampe. „Komm her, Heinz!“ Schweigend öffnete Ettingen die goldene Kapsel und sah in ihr das Miniaturbild einer Frau, noch schön, obwohl sich schon graue Fäden in das Braun ihrer welligen Haare mischten, mit ernsten ruhigen Augen und einem leisen Schmerzenszug um den lächelnden Mund.

„Das Bild meiner Mutter? … Goni!“

„Das sagst du ja wie in Schreck? Daß ich deine Mutter liebte … hast du es nie geahnt?“

„Und … und meine Mutter?“ stammelte Heinz.

„Sie war mir gut … und ich glaube, sie wäre glücklich geworden an meiner Seite. Aber sie war es … auch ohne mich! In ihrer Liebe zu dir! Und sie wies mich ab, weil sie ganz ihrem Sohn gehören wollte. Aus dir einen Mann zu machen, frei, glücklich und stolz … mehr wollte sie nicht von ihrem Leben. Dafür konnte sie jedes Opfer bringen, auch das Opfer ihres Frauenherzens. Und sag’, Heinz … verpflichtet solche Liebe nicht? Und begreifst du nun meine Sorge um dich? Soll deine Mutter umsonst gelebt haben?“

„Goni…“

„Nein! Jetzt wollen wir nicht weiter reden. Nachdem ich dir das gesagt habe, giebt es kein Wort mehr!“ Sternfeldt legte die Hände auf Ettingens Schultern und sah ihm in die Augen. „Gute Nacht, Heinz!“ Dann ging er.

Ettingen blieb in einer Erregung zurück, die ihn erschütterte bis ins Innerste. Als wäre in ihm ein Wirbel von Gefühlen und Bildern, die in stürmendem Wechsel auf und nieder tauchten, ohne vor seiner Seele zu rechter Klarheit zu kommen, so stand er regungslos inmitten des Zimmers und preßte die zitternden Hände an seine Schläfen.

Da weckte ihn ein Geräusch im anstoßenden Raum. Er richtete sich auf, und eine Furche grub sich in seine brennende Stirne. Als er die Thüre des Schlafzimmers aufstieß, gewahrte er den Lakai, der das Lager für die Nachtruhe seines Herrn bereit gemacht hatte und mit einem Sprühflacon durch das Zimmer ging, um ein schwül duftendes Parfum in die Luft zu stäuben.

„Was machen Sie da?“ fragte Ettingen mit erzwungener Ruhe. „Ich habe Sie nicht gerufen.“

„Aber ich bitte, Durchlaucht,“ stotterte Martin, „mein Dienst..“

„Dienst? Bei mir? Sie irren sich! Ich habe Grund zu vermuten, daß Sie im Dienst der Baronin Pranckha stehen. Und fremde Dienerschaft will ich für meine Person nicht belästigen. Sie können gehen … und von morgen an wird Praxmaler den Dienst bei mir übernehmen. Adieu!“

Mit aschfahlem Gesicht verbeugte sich Martin, und während er das Zimmer verließ, konnte er noch hören, wie Ettingen das klirrende Fenster aufriß. Die frische Nachtluft rauschte in den schwülen Raum und trieb, als die Thür geöffnet wurde, den schweren süßen Wohlgeruch in den Flur hinaus und hinter dem Lakaien her, dessen Frackschöße in der Zugluft wehten.

Eine Weile stand er ratlos, mit geballten Fäusten. Da sah er die kleine Französin aus dem Zimmer der Baronin treten.

Lautlos huschte er auf das Mädchen zu. „Mam’zelle Fifi?“

„Monsieur?“

Ob die Baronin noch zu sprechen wäre? Nur eine Minute.

Für den guten getreuen Martin? Gewiß.

Er pochte an die Thüre.

„Entrez!“

Martin trat ein. Als er einige Minuten später das Zimmer wieder verließ, schien seine Erregung und Sorge beschwichtigt, denn er trug die Nase hoch in der Luft und lächelte.

Während er über die Treppe hinunterstieg, hörte er das kichernde Gezwitscher der Französin. Sie stand mit Sensburgs Leibjäger im Hof, und der heitere Lärm, der von der Sennhütte heraufklang, reizte ihre Neugier.

Das wollte, das mußte sie sehen.

Zu diesem Wunsche zuckte Martin hoheitsvoll die Schultern. Der „Stall“ dort unten, das wäre doch kein Aufenthalt für „feine Leute“ – in „solche“ Gesellschaft könnte man unmöglich gehen, ganz unmöglich.

Fifi verzog das hübsche Mäulchen und lachte. Ob man in solche Gesellschaft gehen könne oder nicht, das wäre ihr ganz egal, erklärte sie. Um sich zu langweilen wie in der Stadt, dazu wäre sie doch nicht aufs Land gekommen. Und wenn es der „feine“ Herr Martin vorzöge, schläfrig unter die Decke zu.kriechen, statt sich eine Stunde nach Herzenslust zu amüsieren, so wäre doch zum Glück noch ein anderer da, um den Wunsch einer Dame zu erfüllen und sie als Kavalier in die Sennhütte zu begleiten.

Geschmeichelt verneigte sich der Grünverschnürte und bot ihr galant den Arm.

Während Martin geärgert seine Stube aufsuchte, wanderten die beiden schwatzend und kichernd über das finstere Almfeld hinunter.

17.

Einige Stunden früher.

Es dämmerte über dem Thal der Leutasch, und vom Kirchturm tönte der Abendsegen über die stillen Häuser hin und hinaus über die von zartem Nebel behauchten Wiesen. Auf den Straßen lag schon die Ruhe des schläfrig gewordenen Tages, nur einige junge Burschen stapften paarweis mit ihren qualmenden Pfeifen an den Zäunen hin, manchmal nach einem Fenster spähend, hinter dem ein Licht brannte.

Da kam ein Jäger hastigen Ganges durch das Dorf herunter. Es war Mazegger. Keuchend ging sein Atem, und in Unruh’ blickte er nach allen Seiten und über die Straße aus. Sein Schritt verzögerte sich, je näher er dem Petrischen Hause kam. Um das Klappen seiner Schuhe verstummen zu machen, trat er in den mit Gras bewachsenen Straßengraben hinunter. Als er den Zaun des Hauses erreichte, das vom Duft seiner tausend Blumen still umflossen war, duckte er sich und schlich an der Holunderhecke hin, um eine Lücke zu finden, durch die er in den Garten blicken könnte. Am Hause waren die Fenster der Wohnstube schon erleuchtet, und da die Vorhänge offen standen, sah

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0311.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2019)