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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

schien. Häufig hörte man auch ein Helles, perlendes Lachen. Die Fiakerspäße des „kleinen süßen Mucki“ schienen die schöne Frau in die heiterste Laune zu versetzen.

Je ruhiger der schöne Abend um die Mauern des Jagdhauses und um die stillen Jägerhütten dämmerte, desto lauter ging es drunten in der Sennhütte zu, in der sich die junge Touristengesellschaft gemütlich eingerichtet hatte. Vergnügtes Schwatzen wechselte mit Gesang, lustiges Kreischen mit lautem Gelächter, und dazu klimperte und klang eine Zither.

Als es dunkel wurde, kehrte Pepperl von der Birsche zurück. Lange stand er vor der Thür des Försterhäuschens und lauschte zur Sennhütte hinunter, bis er wütend vor sich hin brummte: „So ein Madl! Da hört sich doch alles auf! Daß die doch allweil ihr Gaudi haben muß … mit andere Leut’!“ Schwer seufzend trat er in die Hütte, legte sein Jagdzeug ab und setzte sich vor die Thüre.

Wenn drunten in der Sennhütte ein Lied verklang und die jungen Stimmen so recht in übermütigem Jubel durcheinander schrieen, drückte Pepperl die Hände über die Ohren, als ginge ihm diese laute Freude wie ein unerträglicher Schmerz in den Kopf.

Es war finstere Nacht geworden, als Martin mit einer Laterne über den Weg herunterkam, um Herrn von Sensburg zum Fremdenhaus zu führen.

Ein paar Minuten später erschien der Förster, und gerade, als er seine Hütte erreichte, fingen sie drunten in der Sennhütte wieder zu singen und zu jodeln an. Fast wäre er in der Finsternis über Pepperls Beine gestolpert. „Geh, du Leimsieder! Was hockst denn da in der Nacht umeinander! Hörst denn net, wie lustig als ’s zugeht bei der Burgi drunten! Mach’ weiter … geh halt auch ein wengerl ’nunter und thu dich ein bißl veramasieren. Brauchen kannst es … du mit deiner maulhenkolischen Traurigkeit allweil! Geh zu, geh ’nunter ein bißl!“

Pepperl erhob sich – er war ein allzugehorsamer Jäger, als daß er einem so klaren Befehl seines Vorgesetzten hätte widersprechen können. „No ja, wenn S’ meinen, es muß sein … in Gott’snamen … geh ich halt ’nunter!“

„Aber bleib net z’lang, gelt? Morgen in der Früh um Fünfe mußt mit’m Herrn von Sensburg zur Gamsbirsch ’naus!“

„Mit dem? Da dank ich schön! Vor dem laufen ja die Gamsböck davon auf tausend Schritt’! Wo soll ich denn hin mit ihm? Zum Sebensee ’naus?“

„Na, na! G’rad’ hat’s der Herr Fürst g’sagt: überall kann er hingehn, bloß net zum Sebensee … den b’halt’ sich der Herr Fürst für ihm selber vor! Gehst halt hin, wo d’ meinst, er verdirbt nix! Und schießen kannst ihn lassen, auf was er mag … treffen thut er eh nix, der! Aber jetzt geh zu, Pepperl, und sei vergnügt!“

„No ja, mein’twegen, muß ich halt ’nunter!“ Pepperl seufzte, als wäre für ihn der Weg zur lustigen Sennhütte noch eine „viel härtere Sach’“ als die Gamsbirsche, die ihm für den kommenden Morgen drohte. Und stolpernd verschwand er in der Nacht.

Der Förster zündete in der Hütte die Lampe an. Da hörte er einen Wagen kommen. Es war ein Einspänner aus Innsbruck, der das Gepäck des Grafen brachte. Kluibenschädl hieß den Kutscher warten und eilte ins Jagdhaus hinauf. Am Wohnzimmer des Fürsten mußte er ein paarmal pochen, bis man ihn hörte – so erregt, wenn auch mit gedämpften Stimmen, wurde da drin gesprochen.

Als Kluibenschädl in das von einer großen Lampe hell erleuchtete Zimmer trat, saß Graf Sternfeldt mit erloschener Cigarre in einem Fauteuil, und Ettingen stand mitten im Zimmer. So hatte der Förster seinen Herrn noch nie gesehen: mit dieser Zornader auf der Stirn, mit diesen blitzenden Augen.

„Ich bitt’ um Vergebung, Duhrlaucht, wenn ich gestört hab’,“ stotterte Kluibenschädl, „aber ich hab’ nur dem Herrn Grafen melden wollen, daß seine Sachen ein’troffen sind.“

Ettingen nickte, als hätte er nicht recht gehört. Und zum Fenster tretend, preßte er die Hand an seine glühende Stirne.

„Ja, lieber Förster, ich danke Ihnen,“ sagte Sternfeldt, „und bitte, lassen Sie drunten im Fremdenhaus die Sachen einstweilen in mein Zimmer schaffen … ich komme gleich hinunter. Es ist Zeit für mich, daß ich mich aufs Ohr lege … ich bin müde.“ Er erhob sich und streckte die Beine. „Jetzt merk’ ich doch, daß ich meinen alten Knochen mit diesem Ritt mehr zugemutet habe, als ihnen lieb ist. Nna, hoffentlich werde ich heute in meinem delogierten Bett ebensogut schlafen, als ob es noch an feinem alten Platz stünde.“

Lachend trat er zum Schreibtisch und brannte die erloschene Cigarre wieder an. „Also, lieber Förster, ich komme gleich!“

Kluibenschädl machte ein Buckerl und drückte sich, wobei er noch einmal mit scheu besorgtem Blick seinen Herrn streifte.

Eine Weile war’s still im Zimmer. Ettingen blickte durch das Fenster in die sternhelle Nacht hinaus, und obwohl die Scheiben geschlossen waren, konnte er den heiteren Spektakel hören, den die junge Gesellschaft drunten in der Sennhütte trieb.

Sternfeldt blies den Rauch seiner Cigarre vor sich hin und betrachtete das erlöschende Zündholz, als wäre er neugierig, wie lang’ der kleine Funke, der von der Flamme zurückgeblieben, noch glimmen würde.

Plötzlich kehrte sich Ettingen vom Fenster ab, und wie an eine Auseinandersetzung anknüpfend, in der sie durch den Eintritt des Försters unterbrochen wurden, sagte er: „Von allem, was du mir vorgehalten, kann ich nicht ein einziges Wort widerlegen. Und ich will es auch gar nicht. Aber versetze dich nur in meine Lage, Goni! Sie sind meine Gäste … das bindet mir die Hände … auch wenn ich mir hundertmal sage: ich habe sie nicht gerufen. Ich selbst empfinde doch das Zusammenleben mit diesen beiden wie etwas Unerträgliches! Und ja, du hast recht … dem wäre am leichtesten mit einem rücksichtslosen Wort ein Ende gemacht. Aber das kann ich nicht, das bring’ ich nicht fertig. Ich kann doch meine Natur nicht auf den Kopf stellen. Ich bin nun einmal so… und damit mußt du rechnen.“

„Ja, ich habe in meiner Rechnung einen Fehler gemacht. Während ich da heraufritt, daß mir und dem Pferd der Atem ausging, hab’ ich mit all deinen Eigenschaften gerechnet, nur nicht mit deiner Höflichkeit. Die ist in dir zu klassischer Vollendung ausgebildet. Wär’ ich ein Dieb, ich würde bei dir einbrechen … da wär’ ich eines liebenswürdigen Empfanges sicher! Sollte dir der unhöfliche Gedanke kommen, mich aus dem Haus werfen zu lassen, dann dürfte ich nur sagen: Mein Herr, ich bin unter Ihrem Dach und fühle mich als Ihr Gast! Tableau! Und ich würde an deiner Tafel sitzen und bekäme von dir die Schüssel gereicht … wie heute die Pranckha.“

„Ich bitte dich, Goni .. du marterst mich .. laß diese Scherze!“

„Ich? Und scherzen? Gott bewahre! Mir ist so ernst, wie einem Menschen nur sein kann, der einen Freund in Gefahr weiß.“

„Gefahr? Ach, geh doch!“ erwiderte Ettingen fast unwillig. „Glaube mir, ich fühle mich an Leib und Seele so frei, als hätte mich nie ein Wunsch meiner Sinne an diese Frau gefesselt. Sie ist mir so fremd geworden, so völlig fremd, daß ich sie ansehen und mich erschrocken fragen kann: Wie war’s nur möglich, daß ich sie geliebt habe? … Das ist Wahrheit, Goni! Was fürchtest du also?“

„Ihre Schönheit! Denn schön ist sie … das muß ich ihr lasten. Ich habe sie heute bei Tisch allen Teufeln an den Hals gewunschen … aber bewundert hab’ ich sie doch! Und noch etwas anderes macht mich unruhig: deine Erregung. Könntest du nur sehen, wie deine Augen brennen, und hören, wie deine Stimme klingt. Wenn du deiner so sicher bist … weshalb diese Erregung? Das versteh’ ich nicht.“

Ettingen antwortete nicht gleich. „Ja, du hast recht! Ich begreife mich selbst nicht. Ich könnte doch wirklich die deplacierte Posse, die mir diese beiden Menschen ins Haus brachten, mit kalter Ruhe an mir vorüberspielen lassen! Und doch ist ein Aufruhr in mir …“

„Ja, Heinz, in dir ist etwas, das sich meinem Blick verschließt. Und das eben beunruhigt mich. Das ist noch etwas anderes als nur der Widerwille, von dem du sprichst. Diesen Widerwillen … den hast du übrigens bei Tisch zur Genüge merken lassen, trotz all deiner Höflichkeit als Wirt. Der süße Mucki, freilich, der war blind dafür … dem geht nicht so leicht was durch die dicke Haut. Aber sie hat gemerkt, wie sie dran ist. Und es war für mich ein wahrer Hochgenuß, ihre wachsende Wut zu beobachten und das fabelhafte Geschick, mit dem sie ihren nervösen Zorn durch forcierte Heiterkeit maskierte. Der erste, lächelnde Empfang, den sie dir bereitete, ließ mich vermuten, daß sie dich in aller Liebenswürdigkeit ein paar Wochen blockieren will, um dich im Anblick ihrer Reize dürsten zu lassen. Aber sie wird ihre Taktik ändern. Nun weiß sie, daß deine Höflichkeit mit dem Ekel kämpft – und sie ist klug genug, um diese Stimmung in dir nicht wachsen zu lassen. Sie selbst wird die gründliche Aussprache, die du in deiner übel angebrachten Höflichkeit gerne vermeiden möchtest, so rasch wie möglich herbeiführen …“ ein sarkastisches Lächeln glitt über die Lippen des Grafen, „vielleicht schneller, als du denkst ...“

„Was meinst du damit?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0310.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2019)