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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

während du fort warst, wurde meine Stube in ein Boudoir für die Pranckha verwandelt! … Also? Soll ich den Förster rufen? Und willst du noch ein Uebriges thun, so schreib’ mir auf eine Visitenkarte: ‚Mache mein Haus rein, Goni, und ich werde dir dankbar sein!‘ … Willst du?“

„Nein!“

„Siehst du, wie ich dich kenne!“

„Sie ist unter meinem Dach, sie ist mein Gast! Und was du mir auch sagen magst … eines wirst du nicht aus der Welt schaffen: ich habe diese Frau geliebt!“ erwiderte Ettingen in Erregung. „Und eine Roheit an ihr begehen, um sie abzuschütteln? Nein! Das kann ich nicht!“

„Roheit? Ich danke für das Kompliment. Aber ich bin nicht gekränkt. Ganz im Gegenteil … ich vermute sogar, daß du schon morgen für meinen Rat empfänglicher sein wirst. Du hast sie geliebt … ja! Und daß du von deiner Liebe geheilt bist, das glaub’ ich auch! Nur die Blindheit ist dir geblieben. Ich aber habe diese Person gehaßt … um deinetwillen! Und der Haß hat Augen. Ich kenne sie. Besser als du. Ohne Gewaltstreich, lieber Heinz, wirst du mit der nicht fertig! Sei vornehm, wohlerzogen und höflich … und in drei Tagen hat sie dich wieder eingefangen.“

„Da irrst du dich!“

„Beweis’ es mir, und ich leiste dir Abbitte. Aber jetzt komm! Nun weißt du, daß die beiden unter deinem Dach sind … und deiner vornehmen Seele muß es doch als eine Unhöflichkeit erscheinen: liebe Gäste so lange warten zu lassen. Komm!“ Lachend gab Sternfeldt dem Freunde einen leichten Schlag auf die Schulter und ging auf Kluibenschädl zu. „Na also, lieber Förster … fertig zum Heimweg! Unsere gute Durchlaucht hat über ernste Dinge reiflich nachzudenken … aber wir beide, wir plaudern? Ja? Was macht die Jagd? Und wo ist der Zwölfender gefallen?“

„Droben beim Sebensee, Herr Graf! Und wenn S’ das G’weih sehen … da passen S’ auf!“ – Sie waren noch nicht weit gegangen, als sie laute Stimmen im Wald vernahmen. Ueber den Weg, der zur bayrischen Grenze, zur Knorrhütte und zur Zugspitze führte, kam mit Lachen, Schwatzen und Singen eine lustige Touristengesellschast herunter, vier junge Leute mit dick angepackten Rucksäcken, und zwei hübsche Mädchen, zu deren runden, vergnügten Grübchengesichtern die Maskerade des ländlichen Kostüms nicht übel paßte. Pfundweis trugen sie die Blumen auf Hüten und Bergstöcken. Ob das der richtige Weg nach der Tillfußer Alpe wäre, fragten sie den Förster.

Freilich; nur immer gradaus, und sie könnten nicht fehlen.

Und ob in der Sennhütte für sechs Leute Platz zum Uebernachten wäre?

„Natürlich! Auf’m Heuboden halt! ’s Heu is frisch … da liegen S’ gut!“

Diese Aufklärung wirkte auf die heitere Gesellschaft, als hätte man ihr ein köstliches Amüsement in Aussicht gestellt. Lachend und singend wanderten die jungen Leute davon, so eilig, als hätten sie was zu versäumen, und von ihren fröhlichen Stimmen wiederhallte der ganze Bergwald. Als sie die Lichtung erreichten und über den Baumwipfeln die Fahnen des Flaggenmastes wehen sahen, begrüßten sie das Ziel ihres Marsches mit Jauchzern und mit Jodelrufen, von denen der eine und andere freilich etwas zweifelhaft ausfiel. Aber das gab nur Anlaß zu neuer Heiterkeit. Lachend und schwatzend musterten sie die Wagen, guckten in den Stall und grüßten einen Kutscher: „Guten Abend, Herr Vetter!“ Als sie an Mazeggers Hütte vorüberkamen, blickte eines der Mädchen neugierig durch das offene Fenster in die Stube. Kichernd fuhr die Kleine zurück, winkte ihrer Freundin und flüsterte ihr zu: „Du, da mußt hineinschauen: da sitzt einer drin, der macht ein Gesicht wie der Hamlet nach dem Monolog: Sein oder Nichtsein!“ Natürlich, das mußte die andere auch sehen. Aber als sie mit ihren lachenden Augen in die Stube spähte, fuhr Mazegger mit groben Worten auf: „Was wollen Sie denn? Machen Sie, daß Sie weiterkommen!“

Die Folge war, daß von den jungen Touristen einer nach dem anderen ans Fenster trat und sich höflich verbeugte: „Habe die Ehre!“ Und dann ging’s mit Gelächter hinunter zur Sennhütte.

Mazegger hatte im ersten Zorn das Fenster zugeschlagen. Doch als die lustigen Stimmen verklangen, öffnete er die Scheiben wieder und kehrte zu seinem Lauerposten neben dem Herd zurück.

Rittlings saß er auf dem Holzstuhl, mit den Ellbogen auf die Lehne gestützt, das Gesicht zwischen den Händen. Seine Augen schienen nichts anderes zu sehen als Thür und Fenster des Fürstenhauses. Da schoß ihm das Blut ins Gesicht, und hastig griff er nach dem Fernrohr.

In der Thür des Jagdhauses war Baronin Pranckha erschienen. Während sie über die Stufen langsam niederstieg in den Hof, stützte sie sich auf die Goldkrücke ihres Spitzenschirmes. Sie trug eine Sportmütze aus schottischer Seide und ein weißes Lodenkleid von glatter Elegance, mit breitem Ledergürtel von schillerndem Kupferglanz. Faltenlos, wie angegossen, umschmiegte der linde Stoff die schöne Büste dieses Frauenkörpers, der bei all seiner schlanken Grazie leicht zur Fülle neigte. Weich flossen die Falten des Rockes von den Hüften nieder, jeder Bewegung sich anschmeichelnd, als ob sie nicht verhüllen, sondern zeigen wollten. Dieser langsam ruhige Gang war von seltsam weichlicher Geschmeidigkeit – bei jedem Schritt, bei jeder leisen Bewegung der Arme, bei jedem Wenden und Neigen des Kopfes schien der ganze Körper mitbewegt. Und wie dieses Haar in der Sonne schimmerte! Es war nicht blond, nicht rot – es hatte jenen dunklen Farbenglanz, wie ihn die sterbenden Blätter an einem schönen Herbsttag haben. In seiner kapriziösen Modefrisur, in dem lockeren Gewell, das sich reich über die Schläfe herauslegte, umschloß dieses Haar gleich einer leuchtenden Goldhaube ein rundes Gesichtchen, wie von Watteau gemalt, weiß und rot, mit zarten Grübchen und bläulichen Schatten, mit den klar gezeichneten Sicheln der dunklen Brauen und mit heißen Lippen, leicht geöffnet, wie ein Mund, welcher dürstet. Und diese reinen, frischen Farben wirkten wie Natur. Waren sie Kunst – dann verstand sich diese Frau wie eine Meisterin auf das corriger la beauté.

Bei der rosigen Frische dieser Farben hatte das linde Gesichtchen etwas jugendlich Unreifes, fast rührend Kindliches. Dem widersprachen aber die feinen, wie mit der Nadelspitze gezogenen Linien an den Mundwinkeln – und die Augen! Das waren Augen, die zu einem anderen Gesichte zu gehören schienen. Wohl gaben die schweren Wimpern diesen Augen etwas müd’ Verschleiertes, und ihre Farbe war ein erloschenes Blau, doch in der matten Iris brannten die großen Pupillen, schwarz und feurig wie die Beeren der Tollkirsche.

Und wie diese Augen in nervöser Ungeduld und Erregung flackerten, während sie beim Hofthor stand, mit der Schirmspitze im Sand wühlte und immer hinunterspähte über den Weg!

Dann plötzlich lachte sie, mit perlender Stimme, hell und vergnügt wie ein Kind, das in gereizter Laune mit einem Spielzeug überrascht wird.

Sensburg kam über den Weg herauf – „jaagerisch“ maskiert, mit Joppe, grüner Weste, kurzen Lederhosen, genagelten Schuhen und Wadenstrümpfen, die wohl mit fünffacher Wolle unternäht waren, um hinter den Knien den „echten“ Buckel zu machen. An der Joppe trug er Hirschhornknöpfe, die ein spannenlanges Knopfloch brauchten, und an der Uhrkette baumelte eine faustgroße Berlocke von silbergefaßten Adlerklauen, Hirschgranen und Murmeltierzähnen. Die Knie mußte er mit irgend einer Tinktur gefärbt haben, denn sie waren wie Kastanien so braun. Er ging wie ein Holzknecht, breitspurig und die Arme schlenkernd.

Das war ein Anblick, daß auch Mazegger lächeln mußte, als dieser „jaagerische Bua“ im Gesichtsfeld des Fernrohrs erschien. Bis in seine Stube konnte Mazegger das heitere Lachen der schönen Frau und ihre Stimme hören, als sie in einer fremden Sprache – es war englisch – dem anderen etwas sagte. Das mußte ein Kompliment gewesen sein, denn der „Jaagerische“ verbeugte sich geschmeichelt, und um seiner Rolle recht getreu zu werden, versuchte er das Lallen und Wortkauen eines steirischen Kretins nachzuahmen. Dann fiel er, nach ein paar englischen Floskeln, wieder in den Wiener Fiakerton und lachte:

„So ein G’stell? Was? Is ein G’stell! Eisssen! Und ächter man kann nicht! Aber Sie, Baronin … ausschauen thun S’ heint wieder … ich sag’ Ihnen, Baroninderl, großoatig! Zucker!“ Galant umtänzelte Sensburg die schöne Frau und begann mit gustiöser Ausführlichkeit ihre Reize zu preisen. „Und denken, daß all diese heazige Schennheit für einen anderen blüttt … das ist schmeazhaft, Baronin, wiaklich schmeazhaft!“ Er verdrehte die Augen und seufzte. Um die schöne Frau wieder lachen zu machen, spielte er eine drollige Pantomime als hoffnungslos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0307.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2019)