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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Das Schweigen im Walde.

Roman von Ludwig Ganghofer.
(9. Fortsetzung.)


16.

In lautloser Stille lag der Tillfußer Wald. Schon zog der laue Abendwind von den Bergen abwärts durch das Thal, aber so lind und leise, daß er die Zweige der Bäume nicht bewegte. Nur die schlanken Gräser, die am Saum des Pfades wuchsen, rührten sich ein wenig. Der ganze Waldgrund lag schon in tiefem Schatten, doch die Wipfel waren noch vom Glanz der Sonne umglüht, welche sinken wollte, und wie goldfunkelnde Riesenmauern, von purpurnen Schattenlinien durchzogen, sahen durch die Lücken des Waldes die grellbeleuchteten Berge nieder.

Auf einem Baum, den der Sturm geworfen hatte, saßen Graf Sternfeldt und der Förster. Nicht weit von ihnen zweigte sich der Pfad – der eine Weg führte zur Jagdhütte im Sebenwald, der andere zur Sebenalpe und zum See. Diesen letzteren Pfad konnte man, da er durch schütteren Wald in gerader Linie hügelan stieg, auf eine weite Strecke übersehen.

Je länger die beiden warten mußten, desto ungeduldiger wurde Sternfeldt.

„Endlich! Da kommt er!“ Der Graf erhob sich. „Bleiben Sie nur, Herr Förster … ich geh’ ihm entgegen!“

In Gedanken versunken und behaglich schlendernden Ganges kam Ettingen über den Pfad heruntergeschritten. Er trug den leichten Bergstock quer über den Rücken und hatte die Arme darübergelegt. Träumend und lächelnd blickte er vor sich nieder. Sein Hut war rings um die Krempe mit Blüten besteckt – es waren Edelrosen vom Sebensee.

„Heinz!“

Ettingen blickte auf, verwundert, als könnte er dem Klang dieser Stimme nicht glauben. Aber da leuchtete ihm die Freude aus den Augen. „Goni! Du?“ Ettingen stieß den Bergstock in die Erde und streckte dem Freunde die beiden Hände entgegen. „Du? Du? Wahrhaftig? Du? Ja sag’ mir nur … Nein, Goni, die Freude, die ich habe! Sagen kann ich dir das nicht … aber sieh mich an, und du mußt es fühlen!“

„Ja, Heinz!“ Tiefe Bewegung klang aus der Stimme des Grafen. „So deutlich wie in diesem Augenblick hab’ ich es noch nie empfunden, daß du mir gut bist!“

„Aber Goni! Hast du denn je daran gezweifelt?“

„Nein. Aber wer Gold besitzt, will auch gerne wissen, wie viel es ist, und freut sich der Stunde, die ihn zählen läßt. Und solch eine Zählstunde für deine Freundschaft … das war dieser Blick jetzt in deine Augen! Aber weißt du … dich jetzt so ansehen dürfen, das hat noch eine andere Freude für mich. Heinz! Heinz! Was ist aus dir geworden, seit ich dich nicht mehr gesehen habe!“

„Ein gesunder, froher Mensch! Ja, Goni, das hab’ ich dem Wald zu danken – und seinem schönen Schweigen! Und dir! Denn du warst es, der diesen herrlichen Fleck Erde für mich aussuchte … und du weißt ja gar nicht, was du da alles für mich gefunden hast! Ich danke dir, Goni! Ich danke dir! Aber …“ Ettingen lachte und schüttelte dem Freund die Hände. „So sprich doch endlich auch wieder ein Wort! Sieh mich nicht immer nur an! Ich will dich nicht nur sehen, ich will dich auch hören! … Aber Goni! Was machst du denn da für Augen?“ Lachend beugte er das Gesicht bis nah’ vor die Augen des Freundes. „Ich bin es schon! Wirklich! Ja, ja, ja!“

„Höre, Heinz! Wahrhaftig, jetzt hätt’ ich dich beinah’ gefragt: Bist du es? Denn daß du so gesund vor mir stehst, so sonnverbrannt, so lachend … das allein ist es nicht! Noch etwas anderes! An dir ist was Neues, weißt du! Und wär’ ich dir so in der Stadt begegnet, ohne zu ahnen, daß du da bist … ich glaube, ich hätte dich auf den ersten Blick gar nicht erkannt. Wie ein ganz anderer stehst du vor mir! Und wie mir dieser neue Heinz gefällt! Aus deinen Augen redet eine Lebenskraft, ein Wille zur Freude … Nein, jetzt hab’ ich keine Sorge mehr um dich! Jetzt kann ich es dir sagen, warum ich kam … heute! Ich bringe dir eine Nachricht, Heinz! Denk’ dir … sie ist da!“

„Wer?“

„Aber Heinz! Errätst du denn nicht?“

„Nein! Wer ist da?“

„Das ist eine Frage, die ich fast nicht begreife. Aber du hättest mir kein Wort sagen können, das ich lieber gehört hätte, als dieses ahnungslose: ‚Wer?‘ … Die Pranckha ist da. Draußen im Jagdhaus.“

Der Fürst erblaßte. So standen sie eine Weile schweigend voreinander. Dann stammelte Ettingen: „Sie? Bei mir? … Das ist stark!“

Sternfeldt lachte trocken. „Das weißt du doch aus Erfahrung: in Dingen, die stark sind, ist sie groß!“

„Und … sie kam allein?“

„Gott bewahre! Wenn ihr auch wenig daran liegt, dich zu kompromittieren – das dürfte sogar in ihrer Rechnung eine sehr notwendige Ziffer sein … aber für sich selbst muß sie den Schein wahren, um so mehr, da sie … wie ich fürchte … ‚ehrbare‘ Absichten hat.“

„Sie ist mit dir gekommen?“

„Aber, Heinz! Das ist eine Frage, die mich wirklich verdrießen könnte!“

„Ich bitte dich, Goni, sei mir nicht böse … aber ich weiß in meiner Empörung wahrhaftig nicht mehr, was ich rede.“

„Empörung? Wirklich? Was dich blaß macht und dir das Blut wieder ins Gesicht treibt … das ist nur Empörung?“

„Was sonst? … Aber ja, Goni, ich will ehrlich sein, es ist noch etwas anderes,“ sagte Ettingen mit bebender Stimme. „Was ich jetzt empfinde … es ist wie Schmerz! All dieses Vergangene, dieses Häßliche … vor einer Stunde noch war es so ganz vergessen, für mich so versunken, als wär’ es nie gewesen … und nun steht es plötzlich da vor mir! Ich hab’ ein Gefühl, als hätte man mir ein Stück Sonne ausgelöscht, das mich wärmte … als hätte man eine Blume zertreten, deren Anblick mir Freude war! Ich hatte das Gefühl wie nach einem Bad, als wär’ ich reingewaschen an Leib und Seele! Und jetzt! … Mir ekelt!“

„Sag’ ihr das … und du bist sie los! Aber das mit der Sonne und der Blume … wie meinst du das?“

„Nein! Diese Nachricht hören … und im gleichen Augenblick alles andere sagen? Nein! Das kann ich nicht! … Aber wenn sie nicht allein kam? Mit wem kam sie?“

„Rate!“

„Eine ihrer zweifelhaften Freundinnen?“

„Du mußt tiefer greifen! Aber du kommst nicht drauf! Denk dir, wen sie mitbrachte … den kleinen süßen Mucki!“

„Den soll ich auch noch ertragen? Ich danke!“ Ettingen lachte in Zorn vor sich hin. „Die Geschichte fängt an, mich zu erheitern. Und daß der mit ihr ist … das macht mir die Sache leichter. Aber du? Daß du mit ihnen kamst?“

„Mit ihnen? Nein! Nach ihnen! Aber gerade noch zur rechten Zeit, um dir die erste gefährliche Verblüffung zu ersparen. Gestern mittag brachte mir der biedere Mann, von dem ich in meiner ahnungsvollen Vorsicht ihre Villa überwachen ließ, die Nachricht: mit dem Frühzug sind sie abgereist, Salonwagen nach Innsbruck. Am Abend saß ich im Coupé, kam heute um 10 Uhr in Innsbruck an … drei Stunden früher waren sie vom ‚Hotel Europe‘ abgefahren … ich erinnerte mich an Shakespeare: ein Königreich für ein Pferd … und da bin ich! Und bin neugierig, was du thun wirst. … Nun?“

„… Ich bin ratlos, Goni!“

„Ich wüßte dir einen Rat! Aber ich weiß, du befolgst ihn nicht.“

„Ja, Goni! Ja! Ja! Jeden, den du mir giebst!“

„Machen wir die Probe! Dort steht der Förster. Laß dich von ihm nach Ehrwald führen, jetzt gleich … drunten nimm dir einen Wagen, fahre nach Garmisch, nach München … oder nach Imst, nach Trafoi, wohin du willst … oder bleibe in Ehrwald, bis ich dich wieder rufe. Was du brauchst, schick’ ich dir noch heute hinunter … durch einen Jäger, nicht durch Martin!“ Sternfeldt lachte. „So schmerzlich es für dich sein wird, aber von diesem Ehrenmann wirst du dich trennen müssen; denn er ist ihr Helfer gewesen …“

„Martin?“

„Ja! Er hat dich neulich auf die Jagd geschickt – und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0306.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2020)