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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

keinen vor die Thür – die waren es gewöhnt, daß das so kommt, so plötzlich. Drum hörten sie es kaum.

Kluibenschädl, der sich auf die Matratze gestreckt hatte, um den Wein zu verschlafen, fragte gähnend: „So? Hat’s schon wieder ’kracht?“

„’s wird halt wieder ein Trümml abig’rissen haben!“ meinte Pepperl in seinem Trauerwinkel und fügte mit philosophischem Seufzer bei: „No ja … auf d’ Letzt’ muß alles ’runter!“




15.

Praxmaler machte sich, als der Abend kam, zu einem Birschgang fertig. Dabei erwachte der Förster, gut ausgeschlafen, und er selbst hatte das Gefühl, daß seine zufriedene Laune recht auffällig abstach gegen die trübe Kummermiene des Jägers. Wer frohen Herzens ist, möchte auch gern die anderen vergnügt und munter sehen, deshalb sagte er: „Machst noch allweil ein G’sicht wie die Katz’, wenn’s dunnert? Geh, Pepperl, sei doch g’scheid und thu dich wegen die drei Hirschen net gar so abikränken! Es is ja schön, wenn sich ein Jager über ’s Jagdpech von sei’m Herrn betrübt. Aber Maß und Ziel muß der Mensch in allem halten! Sei g’scheid, Pepperl! Der Herr Fürst schießt schon wieder ein’ guten Hirsch!“

„Ja, wollen wir’s hoffen,“ seufzte Pepperl und trollte sich zur Thür hinaus. Mit abgewandtem Gesicht, die Augen steif ins Blau des Himmels bohrend, ging er an der Sennhütte vorüber.

Drinnen in der Almstube nahm Burgi gerade Abschied von ihrem Vater. Sie hatte die Kleider des Alten leidlich wieder in stand gesetzt, in dem mürben Zeug alle Löcher geflickt und gab nun dem Vater ein „Binkerl“ guter Lehren mit auf den Weg, wie die Mutter einem Kind, das zum erstenmal wallfahrten geht.

„Sei mir z’frieden, Vaterl! Dein Essen und alles hast ja, schau! Und thu mir d’ Fremdenleut’ net anbetteln auf der Straß’ … da hat ja kein Mensch mehr ein’ Rischpeckt vor deiner! Und schenkt dir wer ein’ Kreuzer aus Gutigkeit, den muß man doch net stantipeh in d’ Wirtsstuben einitragen! Schau, halt’ dir die paar Nedscherln lieber z’samm’ aufs G’wand! Ja? Thust mir’s versprechen, Vater?“

„Ja, ja, ja … versprich, ja, versprich schon ... ja, ja, ja!“

Der Alte schnaufte, als er die Predigt überstanden hatte und sich endlich trollen konnte. Doch während er über das Almfeld hinunterwackelte, schielte er zu den Fenstern des Jagdhauses hinauf und murmelte kauend vor sich hin: „Mit ’n, ja, mit ’n Herrn Fürsten … so ein Nobliger, der … dem hätt’ ich, ja, hätt’ ich gern was verexpliziert … dem!“

Burgi blieb auf der Schwelle stehen, bis sie den Vater im Wald verschwinden sah. Dann kehrte sie müden Schrittes in die Stube zurück und machte sich an die Arbeit, still und verdrossen. Es schien ihr wie ein Stein auf der Brust zu liegen, so mühsam atmete sie manchmal – und immer wieder drückte sie den Arm über die Augen.

Als es Abend wurde und die Kühe gemolken waren, mußte Burgi von der frischen Milch eine Kanne voll hinauftragen in die Küche des Fürstenhauses. Droben war sie kaum um die Ecke verschwunden, als Martin mit dem Förster kam, den er zum Abendtisch gerufen hatte. Kluibenschädl trat ins Haus, Martin aber blieb vor der Thüre stehen und lauschte gegen den Hof. Sein Blick huschte über alle Fenster, und schmunzelnd schlich er auf den Zehen an der Mauer hin.

Da kam die Sennerin mit der leeren Kanne zurück.

„Mein schönes Kind …“

Das war so leis geflüstert, daß sie es fast überhörte. Aber da hatte er sie schon um die Hüfte genommen und wollte sie küssen. Erschrocken gab sie ihm einen Stoß vor die Brust, und dann kam noch was anderes nach – das klatschte, daß es an der Mauer ein Echo gab, wie von einem Peitschenknall.

Sie lassen mich in Ruh’! Gelten S’! Und wenn S’ Jagdverwalter werden, können S’ Ihnere Küh’ selber melchen! Sie!“

Ruhig wischte sich Burgi am Rock die Hand ab und ging ihrer Wege. – Martin kühlte sich in seiner Stube das Gesicht mit kaltem Wasser; aber die Wange brannte ihm noch feuerrot, als er droben bei der Tafel die Bouillon servierte.

„Martin?“ fragte der Fürst. „Was hast du im Gesicht?“

„Ich … es scheint, Durchlaucht, daß ich mir eine Verkühlung zuzog. Ich habe Zahnweh.“

„Sie, gegen Zähntweh weiß ich ein Mittel, das hilft! Und sicher!“ fiel der Förster ein. „Da machen S’ aus Baumwoll ein Kügerl, das spießen S’ an ein’ Hölzl auf und nachher zünden Sie ’s an. Wenn’s halb verbrennt is, löschen Sie ’s aus, und den Rauchen, der aufgeht, den schnupfen S’ ins rechte Nasenloch auffi … weil Ihnen der Zahn auf der linken Seit’ wehthut, wissen S’! Ja, das hilft!“

Ettingen lachte. „Versuchen kannst du es ja! Aber ich meine, es wird besser sein, du gehst an die Hausapotheke und legst dir etwas Chloroform auf den kranken Zahn.“ –

Ob Martin nun das eine oder das andere Mittel versuchte – geholfen hat keines. Denn bis spät in die Nacht ging er noch immer mit der geschwollenen Backe herum. –

Funkelnd standen am tiefblauen Himmel schon die Sterne, als Pepperl nach Hause kam. Die Glieder waren ihm wie zerschlagen, und ohne ans Nachtmahl zu denken, streckte er sich auf die Matratze nieder, auf welcher Kluibenschädl in seinem sorglosen Bärenschlummer schon fleißig die Säge zog. Rücken an Rücken lagen die beiden – und schlaflos seufzte der Jäger nach links herum in die finstere Stube, während der Förster nach rechts herum gegen die Holzwand schnarchte, daß die Bretter tönten wie ein Geigenboden, wenn die tiefste Saite gestrichen wird.

Am anderen Morgen brachen sie zusammen auf, um bei den Steigarbeiten Nachschau zu halten. As sie gegen Mittag heimkehrten, hörte der Förster von Martin, daß die Durchlaucht ganz allein einen Ausflug zum Sebenwald unternommen hätte und vor Abend nicht heimkommen würde. Zu dieser Nachricht schüttelte der Förster verwundert den Kopf. „Ja, sagen S’ mir nur … auf was will er denn da birschen? Jetzt in der Sonn’? Er wird doch net denken, daß ihm einer von die drei Hirschen ums Mittagläuten übern Weg lauft?“ Sein Staunen wuchs aber noch, als er horte, daß der Fürst die Büchse gar nicht mitgenommen hätte. „Ja was thut er denn nachher draußen?“

Martin lächelte. „Träumen … denk ich mir!“ Aber das Lächeln gelang ihm nicht so leicht – seine Wange war noch immer ein wenig gespannt, vom Zahnweh.

Träumen? Dazu hätte man doch Zeit genug in der Nacht, meinte der Förster, und einen schönen Traum könnte man doch leichter auf dem „Kanapee“ finden als bei einem dreistündigen Marsche bis nach Seben hinaus.

Um sich den schönen Hunger, den er heimgebracht hatte, für den guten Abendtisch im Fürstenhaus zu sparen, ging er in die Sennhütte hinunter und ließ sich, nur für den Durst, eine Schüssel Milch reichen. Er that ein paar lange Züge, wobei er an Burgi die Mahnung richtete: „Jetzt könntst aber schon endlich einmal ein anders G’sicht auch wieder dahermachen! Oder hast leicht so ein mitleidigs Herzl? Thut’s dich kränken, daß der Herr Kammerdiener Zähntweh hat? Da plauscht er halt net gern? Oder?“

Burgi runzelte die Stirn und machte finstere Augen. „Was hat er?“

„Zähntweh.“

„’leicht auf der linken Seit’?“

„Ja, ich glaub!“

„So? … No ja, das is ihm g’sund! So ein Zähntweh, das treibt die ung’sunden Hitzen aus!“ Und mit trockenem Lachen trat sie in die Kammer, während der Förster die Büchse nahm und davonwanderte.

Schwüle Mittagsstille lag über dem Almfeld. Kein Laut – nur das Gemurmel der Brunnen; keine Bewegung – nur über den Dächern das blaue Gekräusel des Rauches.

Auch Pepperl hatte in seinem Herd schon Feuer gemacht, hatte aber dann aufs Kochen vergessen. Mit aufgezogenen Knien saß er neben dem Schürloch auf den Dielen. Und so „sinnierte“ er eine Stunde lang vor sich hin. Da hörte er Peitschenknall, das Rollen eines Wagens und Pferdegewieher.

Mißmutig erhob er sich und trat unter die Thüre.

Eine vierspännige Equipage fuhr an ihm vorüber, und im Wagen saß eine junge Dame – „Herrgott, das muß was Fürnehms sein!“ dachte sich Pepperl, denn sie hatte auf dem Hut einen Vogel, wie er seiner Lebtag’ noch keinen gesehen hatte – einen Vogel, der in allen Farben schillerte. Neben der Dame saß ein Herr mit einem Jägerhut, wie Pepperl auch noch keinen gesehen hatte – es war ein Spitzhut mit handbreitem,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0287.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)