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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

dann New York, später gehen wir an die See. Mein Vater hat eine Villa in Newport. Da wirst Du sehen was ist Leben. Du wirst merken Unterschiede. Wie zwischen einem netten kleinen Ruderboot und einer prachtvollen Dampfjacht. Und Du wirst auch kennenlernen meine Cousine Miß Ethel Burry. Sie hat zehn Millionen Dollars, lieber Achim. Und der alte preußische Adel steht bei uns ebenso hoch im Kurse. So es sich gleicht aus. Aber darüber hinaus: sie ist ein lovely girl. Mich will sie nicht. Mir gönnte ich sie am liebsten. Aber weil da nichts zu machen ist: demnächst Dir.

Ich erwarte Deine Nachricht: mit dem und dem Schiff komme ich – Robert, sei in Hoboken. Und Du findest pünktlich zum Empfang zur Stelle

Deinen alten Robert.“ 

Achim fühlte sich erfrischt und beglückt. Also seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen. Von dem Jugendfreund kam ihm ein Wink zur Neugestaltung des Lebens. Er wollte über den Ocean gehen, da war Vergessen, da waren Ereignisse!

Und er lechzte nach Ereignissen. Irgend etwas mußte geschehen, ihn aus dem Grau seiner Tage hinaus zu retten in den vollen Sonnenschein.

Er vergaß in diesem Augenblick ganz, daß Robert ihn beinahe in jedem Brief mit ähnlichen Worten einlud und daß er ihm diese Millionen-Cousine und noch einige andere Erbinnen als Lockspeise schon öfters vorgehalten. Früher hatte er diese Hinweise Roberts belächelt und gedacht: „So ein Amerikaner kann sich’s wohl gar nicht anders vorstellea, als daß man nach Geld heiratet.“

Und wenn er den Kameraden diese Hinweise auf reiche, schöne Amerikanerinnen vorlas, hatte sich wohl scherzhaft der eine oder andere erboten, anstatt seiner hinüberzugondeln und die Dollars einzufangen.

Heute lachte er nicht. Er bildete sich abergläubisch ein, daß das ein Zeichen sei, und fühlte sich plötzlich wieder dem Freund so nahe wie in den Primanertagen. Gc hatte Robert lieb. Er machte sich Vorwürfe, diese Liebe so lange vor sich selbst verleugnet zu haben. Und er setzte sich hin, in einem langen, langen Briefe sein Herz zu entlasten.

Er schrieb den ganzen Abend und schrieb am nächsten Vormittag weiter. Ihm wurde wohl und leicht und vieles, was er bis dahin nur dumpf empfunden, klärte sich zu Worten, formte sich zu Erkenntnissen. Es war kein Brief, es war beinahe ein Manuskript. Und es lautete:

 „Mein alter Junge!

Die Photographie, zu welcher Du so schmeichelhafte Randglossen machst, habe ich Dir nicht vor acht oder zehn Wochen, sondern vor rund vier Monaten geschickt. Aber es ist mir lieb gewesen, daß Du mir erst jetzt, gerade jetzt erst, den Empfang anzeigst. Dein Brief konnte in keinem günstigeren Augenblick zu mir kommen. Ich hatte es gerade verzweifelt nötig, daran erinnert zu werden, daß die Welt groß und weit ist und daß ich vielleicht in neuen, fremden Verhältnissen das finde, wonach meine ganze Seele sich sehnt: unbekümmerte Frische, interessanten, zerstreuenden Inhalt für mein Leben. So entschloß ich mich denn, fast noch ehe ich Deinen Brief gelesen hatte, nur auf den Anblick Deiner Handschrift und den der amerikanischen Freimarke hin, eine mehrmonatige Reise nach Amerika zu machen und mich so lange à la suite stellen zu lassen. Denn meine Zukunft kann ich mir schließlich doch nicht anders denken als im Soldatenrock. Ich will nichts aufgeben. Ich will bloß ein Intermezzo. Es kann sein, daß ich sehr bald komme. Am Tage, wo die Begnadigung eintrifft, die stündlich zu erwarten ist, werde ich sogleich mein Gesuch, betreffend die à la suite-Stellung, einreichen. Zugleich werde ich meine Versetzung in ein anderes Regiment beantragen. Was das für einen deutschen Offizier heißt, aus seinem Regiment zu scheiden, wo er seit seinen kindlich wichtigen Avantageurtagen gestanden hat, kannst Du nicht begreifen. Aber das wirst Du begreifen, daß es immer auch nicht leicht ist, Berlin als Garnison aufzugeben, um vielleicht in irgend einem Provinznest weiter zu vegetieren. Warum? Das nachher.

Erst will ich Dir noch sagen, daß ich im Prinzip auch nicht abgeneigt bin, mich drüben zu verheiraten. Deine Cousine Ethel Burry mit ihren zehn Millionen Dollars kommt hierbei natürlich nicht in Betracht. Das ist zu viel für einen einfachen adeligen Infanterieoffizier der Linie – denn mit der Garde ist es wohl vorbei –. Du bist so höflich, zu bemerken, der alte Adel stehe hoch im Kurse drüben. Jawohl: wenn er eine Grafen- oder Herzogskrone bieten kann oder eine große Stellung bei Hof. Mir eine solche mit dem Gelde meiner Frau zu machen, widerstrebt mir total, obschon ja an und für sich bei keinem Lieutenant, auch mir nicht, Geld ein Hindernis für Liebe ist. Bei uns ist ja nun einmal, wenn vom Heiraten die Rede ist, auch fast immer vom Geld die Rede – darum sind thatsächliche Geldheiraten aber doch selten, während es häufig, zu häufig vorkommt, daß ein junger Offizier und ein junges Mädchen mit wehem Herzen aufeinander verzichten müssen, weil’s eben am Gelde fehlt. So haben wir uns denn gewöhnt, da wir ein Weib nicht ernähren können, wenn wir kein Familienvermögen haben, immer gleich von vornherein jedes Mädchen auf ihre mögliche Mitgift zu taxieren.

Ich, der ich eine auskömmliche Rente habe, sah mir die heiratsfähigen jungen Damen ohne diese Nebengedanken an. Aber in Amerika werde auch ich immerhin fragen: wieviel? Was man einer deutschen jungen Dame als treffliche Versorgung bieten kann, möchte den Damen Deiner Kreise vielleicht lächerlich bescheiden vorkommen. Aber reich, in Eurem Sinne reich, darf sie nicht sein. Ich liebe die Gesundheit und das Gleichgewicht in allen Dingen. Es soll ein gewisser pedantischer Zug in mir sein, sagen meine Freunde. Weißt du noch: auf der Schule sagten sie, der Mangel an Ueberschwang in Dir und mir mache, daß wir so gut zusammenpaßten.

Bei Dir war dieser Mangel ein Zeichen klarsten, zielbewußten Verstandes. Bei mir war’s vielleicht die Furcht vor dem Ungewöhnlichen.

Denn es hat sich nun klärlich an mir erwiesen, daß all meine seelischen Organe gerade bloß für das Korrekte ausreichen. Oder schätze ich mich da nicht richtig ein? Ist es das Landläufige, daß jeder, der etwas erlebt, denkt: Ich nehme mir das zu sehr zu Herzen! – Ich leide mehr, als ich andere unter ähnlichen Verhältnissen leiden sah. Man hält sich, in naiver Arroganz, vielleicht immer für tiefer und intensiver an Gefühl als seinen Nebenmann rechts und links.

Trotzdem sehe ich die Sachen nicht sentimental an.

Ich bin Edelmann und Offizier. Die Redereien und Schreibereien über das Duell gehen an meinem Ohr und an meinem Auge vorbei. Solange mir nicht jemand zu sagen vermag, was ich thun und fühlen soll, wenn meine Ehre angegriffen wird, oder die Ehre meiner Mutter, meiner Schwester, meines Weibes, meiner Tochter, oder wenn man heilige Begriffe wie Kaiser und Vaterland vor meinen Ohren roh besudelt, solange werde ich elementar fühlen: d.h. ich werde als Mann zur Waffe greifen.

Und trotzdem, lieber Robert – – ein Menschenleben! Ja, das ist etwas seltsam Großes.

Oder wird es nur so wuchtend, so groß, so bedeutungsvoll durch die Umstände?

Mein alter Onkel Körlegg – Du erinnerst Dich seiner? – sprach oft zu mir vom Kriege. Er hat ihn als Hauptmann mitgemacht. Seine Brust ist voll Orden, sein Leib voll Wunden. Er war ein Held und Mann. Und weißt Du, was er sagt? Er sagt: der Mensch an sich ist eine feige Bestie. Scham vor dem Nebenmann und eiserne Disciplin hindern ihn zu fliehen. Aus Naturtrieb zöge keiner in den Kampf. Die meisten hatten bleiche Wangen, und ein heimliches Zittern war in ihnen allen. Bis der erste Schuß fiel. Bis der erste Kamerad tot hinstürzte! Dann wurden sie Berserker! Voll Wut und Mut stürzten sie auf den Feind. Tod und Wunden waren nichts mehr. Der Anblick des ersten Blutstropfens hatte sie zu Helden gemacht. Ja, zu lachenden Helden, die Rache wollten.

Das war in der Masse. Da war es nicht der Mensch, der den Menschen tötete. Das war ein Volk, das seine Heiligtümer verteidigte.

Nun, ich habe auch ein Heiligtum verteidigt.

Ist das denn gleich so etwas anderes: einer gegen einen?!

Meinen alten Verwandten, denselben, der mit einer objektiven Psychologie die naturgemäße und verborgene Feigheit vor der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0263.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2020)