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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Jetzt verlischt mit einem Male die Farbenglut, die Blumen sind ganz rasch verschwunden, das Grün verschmachtet unter dem immer stärkeren Gluthauch. Die Wege werden blendend weiß, eine Staubschicht legt sich über die Bäume; die Frühlingsstimmen verstummen, und die große glühende, farblose Stille des Hochsommers beginnt, wo nur die Cikade fort und fort bis zur Betäubung schrillt. Der große Strom der Touristen ist längst über die Alpen zurückgeflutet, jetzt fliehen erschreckt auch die letzten Nachzügler, und die Einheimischen geben sich der elementaren Gewalt der Hitze hin, wo der Geist die Arbeit einstellt und der Mensch sich bescheidet, als ein Stück Natur mit Busch und Wiese weiterzuvegetieren.


Blätter und Blüten.



Klaus Groth in seinem Arbeitszimmer. (Zu dem Bilde S. 237.) Das hohe Alter von 80 Jahren erreicht am 24. April der holsteinsche Dichter Klaus Groth, der Sänger des „Quickborn“, dieser vortrefflichen plattdeutschen Gedichte, welche aus der Volksseele herausgeschaffen scheinen. Die stille Werkstatt des liebenswürdigen Dichters in Kiel hat schon gar manches Mal der grüne Lorbeer geschmückt, auch der Berliner Schillerpreis ist dort eingekehrt. Das Bild von Ismael Gentz zeigt uns den Dichter, wie er, mit der Feder in der Hand, den Eingebungen seiner Muse folgt. Wie traulich ist die Idylle, die den Hochbetagten umgiebt! Die Thür ist geöffnet, die aus seinem Arbeitszimmer in den Garten führt: der Hauch und Duft des Sommers weht herein an den Arbeitstisch, wo wir den Dichter in seiner schöpferischen Thätigkeit erblicken. Eine Blumenvase steht auf dem Tische, auch die Kaffeekanne und Kaffeetasse – hat doch schon mancher Dichter und darunter einer der größten, Friedrich Schiller, mit dem aromatischen Mokkatrank seine Begeisterung belebt! Doch Schiller that dies, wenn er des Nachts dem Schlaf trotzte, Klaus Groth liebt die Arbeit beim Licht des Tages. Da draußen wandeln ja die Gestalten, denen er gleichsam ins Herz gesehen, die Männer des Volkes, denen er ihre Sprache abgelauscht hat. Dichtes Blättergerank umgiebt die Wand des Gartenhauses. Wer so den Greis bei seiner Arbeit sieht, mit den sinnigen liebenswürdigen Zügen, der wird ihm wünschen, daß noch manche Jahre der Sommer in seine stille Musenwerkstatt hineinblicken möge. †     

Die letzte Zuflucht. (Zu dem Bilde S. 232 und 233.) Ein Hochwasser ist über die Niederung gekommen, wie man es seit Menschengedenken nicht erlebt hat. Von Stunde zu Stunde wächst die Flut, das Wasser frißt das Land, Felder und Wiesen verschwinden und immer breiter, endloser wird der flimmernde Wasserspiegel, aus dem Hügel wie Inseln emportauchen und dessen Rahmen dunkle Wälder bilden. Die reißenden Wogen tragen Hab’ und Gut der Menschen fort, Haustrümmer und entwurzelte Bäume sieht man um die Wette treiben; wimmernd klagen die Sturmglocken von den Kirchtürmen der Dörfer, und die Not steigt aufs höchste, da nun die schützenden Dämme reißen und das feindliche Element mit furchtbarer Gewalt sich über die tiefer gelegenen Wiesen und Felder ergießt. Da winken nur noch wenige Hügel, die über die Flut emporragen, als einzige Rettung den bedrängten Menschen und Tieren. Unser Bild zeigt uns eine Koppel Pferde, die aus den Gründen, in denen sie weidete, auf die Reste eines Dammes sich noch retten konnte. Trefflich hat der Maler die Bestürzung und dumpfe Ergebenheit der von Todesgefahr bedrohten Rosse wiedergegeben. Hoffentlich hat die Katastrophe ihren Höhepunkt erreicht, so daß die hart Bedrängten mit dem Leben aus der Wassersnot davonkommen.

Ein Gericht bei den Helvetiern. (Zu dem Bilde S. 241.) Daß „Helvetia“ der offizielle lateinische Name der Schweiz ist, weiß man allgemein aus ihren Münzen und Postmarken. Es wäre aber ein Irrtum. die Namen Helvetier und Schweizer für gleichbedeutend zu halten. Jeder, der ein Gymnasium besucht hat, erinnert sich aus den Denkwürdigkeiten des Julius Cäsar über den gallischen Krieg, daß die alten Helvetier ein keltisches oder gallisches Volk waren, das nach der Versicherung des schriftstellernden Feldherrn alle übrigen Gallier an Tapferkeit übertraf, mit den Germanen beständig Krieg führte und den kühnen Plan faßte, die Oberherrschaft über ganz Gallien zu gewinnen. Die Helvetier bewohnten nur einen, freilich den größten Teil der heutigen Schweiz, nämlich denjenigen zwischen den Alpen und dem Jura und zwischen dem Genfer- und Bodensee. Sie teilten sich in vier Gaue oder Stämme, die in republikanischer Verfassung ohne Oberhaupt lebten, aber unter großem Einfluß eines Adels standen, der auf den Volksversammlungen den Ausschlag gab. Die Helvetier waren sehr eifersüchtig auf ihre Freiheit; sie wohnten in 12 Städten und ungefähr 400 Dörfern; ihre Hauptstadt war Aventicum (jetzt Avenches, deutsch Wiflisburg im Kanton Waadt). Ungebildet waren sie nicht, da sie, wie Cäsar bezeugt, sich griechischer Schrift bedienten, die sie wohl auf dem Handelswege des Rhodan (Rhone) aus der hellenischen Kolonie Massilia (Marseille) erhalten hatten, und Münzen, sogar Goldmünzen prägten.

Auch ihre Kunstfertigkeit war nicht gering, wie zahlreiche Waffen und Schmuckgegenstände aus Gräbern und verlassenen Wohnstätten beweisen (wahrscheinlich waren schon die vielen Pfahlbauten der Schweizerseen von Helvetiern bewohnt). Wie alle Kelten hatten auch sie ihre Druiden, eine festgefügte Priesterkaste, deren Glieder auch die Heilkunde übten, Schulen hielten und den Gerichten vorsaßen. Von ihrer Rechtspflege wissen wir nichts Bestimmtes. Unser Künstler dürfte indessen ziemlich richtig geraten haben, indem er einen ehrwürdigen Druiden in langem weißen Bart, neben ihm rechts einen Krieger und links wohl einen Bauer unter freiem Himmel zu Gericht sitzen läßt, vor dem die Parteien ihre Sache verfechten. Es scheint, daß die Leute in großen Eifer gekommen sind und sich sogar anschicken, mit Speer, Schwert und Steinwürfen aufeinander loszugehen. Das stimmt auch mit dem Charakter der Helvetier. Sie waren mehr Krieger als friedliche Ansiedler. Die Helvetier sind erst von den Römern und dann von den im 5. Jahrhundert in ihr Land eindringenden Alemannen und Burgundern aufgesogen worden. Jetzt hat die Schweiz keine keltischen Elemente mehr, sondern ist zu zwei Dritteln deutsch und zu einem Drittel romanisch. O. H. a. R.     

Kamelgespann am Pflug in Algerien.
Nach einer Zeichnung von R. Mahn.

Kamelgespann am Pflug in Algerien. (Mit Abbildung.) Das „Schiff der Wüste“ eignet sich weniger als Zugtier. Auf seinem Rücken trägt es in der Regel die Waren, welche afrikanische Händler quer über die Sahara zwischen den verschiedenen Völkern des Dunklen Weltteils austauschen. Der „Renner“ muß sich aber auch gefallen lassen, daß er vor einen Karren oder den Pflug gespannt wird. Mit Kamelen pflügt man in einigen Gegenden Nordafrikas. Das auf unserm Bilde dargestellte Gespann ist besonders originell durch die eigenartige Bauart des Joches, an welchem die Kamele den altertümlichen Pflug ziehen.

Sonntagnachmittag im Dekansgarten. (Zu dem Bilde S. 245.) Das ist ein Fest für die Frau Dekan: der erste Sonntagnachmittag im Frühjahr, der die ganze Familie wieder draußen im Garten um den Kaffeetisch versammelt sieht! Drinnen im alten stattlichen Pfarrhaus sind ja die Wohnräume groß genug, um der ganzen Familie, wenn am Sonntag Kinder und Enkel am festlichen Tische sich vereinen, recht gemütlichen Aufenthalt zu gewähren. Wie ganz anders aber kann sich das Familienleben in dem herrlichen Garten entfalten! Wie behaglich sitzt es sich im Duft des blühenden Flieders, in der natürlichen Wärme des Sonnenscheins, während die erwachsenen Töchter mit ihren jungen wackeren Männern sich aufs neue in den schattigen Laubgängen ergehen, in denen sie sich verlobten, und die kleinen Enkelkinder jubelnd herumspringen, daß die Augen leuchten und die Wangen in frischer Röte prangen! Und wie um Jahre verjüngt, nimmt der Herr Dekan an dem Treiben der Jugend teil. Er hat immer darauf gehalten, daß von seinen Kindern solche Spiele gepflegt werden, die alt und jung das gleiche Vergnügen bereiten. Seine vielberufene Meisterschaft im Wurfkegelspiel hat er gleich heute wieder in den ersten Partien bewährt. Nun aber ist der Herr Amtsbruder aus der nächsten Kreisstadt mit seiner Gattin zu Besuch gekommen. Der kinderlose alte Herr hat sonst wenig Gelegenheit, sich in solchen Dingen zu üben. Die frische Lust der anderen wirkt aber ansteckend auf ihn. Wohl erinnert er sich, daß er schon bei früheren Besuchen vergeblich versucht hat, sich als Kegler hervorzuthun, er mißtraut auch dem „Baumelschub“, denn die Kugel nimmt aus seiner Hand immer einen ganz anderen Lauf, als es seiner Absicht entspricht – aber warum soll es nicht in diesem wunderwirkenden Lenz einmal über ihn kommen? Die Frühlingsluft macht ihn unternehmungslustig und thatenkühn. Aber nicht ohne Bedenken

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0259.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2022)