Seite:Die Gartenlaube (1899) 0248.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Die Komödie des Todes.

Eine Dorfgeschichte aus Steiermark von Peter Rosegger.
(Schluß.)
2.

Am nächsten Tage war die ganze Gegend in Aufruhr. Hundert Beine liefen, um die Neuigkeit zu verbreiten, und weil die Leute nicht glauben konnten, so eilten sie herbei, um zu sehen. Der Ferge Meinhardt war erschossen worden. Der Kahn schaukelte, am Strange hängend, mitten im Flusse. Soviel man von den Ufern aus sah, war er leer. Man konnte lange nicht zu ihm, es wurde ein Notfloß gezimmert, doch bei dem hohen Wassergang wagte sich niemand dran. Endlich war der Wehrhauptmann von Ottenstein da, der konnte schwimmen und brachte den Kahn ans Land. Ein blaues Sacktuch lag unter dem Sitzbrett und mehrere angebrannte Streichhölzer. Der Ferge mußte spät abends noch eine nötige Ueberfahrt gehabt haben. Dann war er getroffen ins Wasser gestürzt und davongetragen worden. Mehrere Leute wollten abends zuvor vom Flusse her einen Schuß gehört haben.

Meinhardts Weib, Frau Josefa, eilte ganz verstört am Ufer auf und ab, durch Stauden und Gestrüpp dahin. Manchmal blieb sie stehen und rief den Namen ihres Mannes. Dumpf und fremd klang ihre Stimme – unheimlich. Man wollte sie anhalten und zu beruhigen suchen, sie riß sich los, lief dahin und schrie nach ihrem Manne. Die ganze vorhergehende Nacht hatte sie kein Auge geschlossen. In der ersten Hälfte, wie sie angab, aus Zorn, daß er so lange ausbleibe, in der zweiten aus Angst, daß ihm etwas geschehen sein könnte. Als der Morgenstern kam, sei sie zum Fluß hinabgegangen, und wie sie mitten auf dem Wasser den Kahn gesehen, habe sie’s gleich geahnt. – Die den Schuß gehört, mußten immer wieder davon erzählen, man wollte wissen, es seien zwei oder drei Schüsse gewesen, knapp nacheinander, sie hätten auch den Feuerschein gesehen. Es wäre wahrscheinlich so gewesen: der Meinhardt hätte verspätete Holzleute hinüberzuführen gehabt. Auf der Rückfahrt habe er aus irgend einem Grund Licht gemacht, und bei diesem Scheine sei vom Ufer aus auf ihn angelegt worden. Die wilde, heiße Frage aller war: Wer hat’s gethan? – Frau Josefa wurde endlich von ihren einsamen Streifungen durch die Au zurückgeholt und befragt, ob sie irgend eine Ahnung, einen Verdacht habe. – „Mein Gott, nein! Er hat ja keinen Feind gehabt!“ Aber als sie das letzte Wort sprach, war’s, als zuckte sie leicht zusammen. – Sollte es ein Raubmord gewesen sein? Da trat der Straßenwirt vor. Mit den Ellbogen grub er sich eine Gasse durch den Menschenknäuel, bis mitten hinein. Und als er drinnen war, schwenkte er den Hut und rief: „Aufgepaßt! Ich weiß was! Der Vagabund hat’s gethan, der Klacherl! Der ist gestern spät abends in meinem Haus gewesen. Ganz aufgeregt, eilig hat er’s gehabt. Nichts getrunken, ein Stück Brot, ein Trumm Fleisch und fort damit. Auch Geld hat er gehabt, viel Geld. Der Klacherl hat ihn umgebracht.“

Zur selben Zeit, als in Marienthal dieses Wort fiel, war es auch drüben im Eisenwerk lebendig geworden, und bald durchflog es kreuz und krumm die Gegend, vom Flußufer an bis hinauf zu den Bergspitzen. Landwächter strichen umher und spähten nach den Spuren des Mörders, während im unteren Gelände an den Flußufern nach der Leiche gefahndet wurde.

Hinten im Gebirgsgraben, an der Moosbachwand, war schon am frühen Morgen ein Mann laufend geworden, den es im Rehhüttel nicht länger bleiben ließ. Der Klacherl jedoch lag auf seinem Moosheu bis lange in den Tag hinein. Dann stand er etwas schwerfällig auf, rieb sich mit taufeuchten Kräutern, die unter der schattigen Wand wucherten, Gesicht und Hände, weil Wasser nicht vorhanden war. Er fand, daß dieses Waschen mit wohlriechenden Gewächsen ganz köstlich sei und daß er überhaupt ein beneidenswertes Leben führe. In dieser Wohlstimmung verzehrte er den Rest des gestrigen Abendmahles, dann ging er in die Schlucht hinauf und aß Sauerklee. Der ist gegen den Durst. Und hernach begann er auf den Höhen so herumzustreichen und darüber nachzudenken, ob sein guter Revolver sich nicht auch für Jagdzwecke eignen sollte. Als er nachher über den Schlag ging, wo Holzknechte arbeiteten, hörte er plötzlich rufen: „Da ist er! Festhalten, den Galgenstrick!“

Da auch das Wort Mörder fiel, ahnte der Klacherl, was das bedeutete, und hub an zu laufen. Ueber Stock und Strupp hin, über gefällte Bäume, dort und da mit seinem zerfetzten Rock hängend, sich losreißend, weiter, weiter. Wo er fiel, da nahm er sich nicht Zeit zum Aufstehen, kugelte auf dem Boden weiter, bis er doch wieder an Blöcke stieß, über die gehüpft werden mußte. Hinter ihm drein die Holzknechte, auch nicht ungeschickt im Laufen; immer näher kamen ihm ihre krachenden Sprünge. – Wenn sie dich erwischen, Klacherl, eh’ der andere von den Toten aufersteht, so erschlagen sie dich. Das konnte er sich noch vorhalten, dann – mitten im abgeschlagenen Astwerk – stürzt er wieder zu Boden, tief ins Reisig. Dort blieb er liegen, ganz unbeweglich, und die Verfolger, die ihn aus den Augen verloren hatten, über ihn hin und davon. Erst nach längerer Zeit wagte es der Klacherl, vorsichtig zuerst sein Haupt, allmählich den ganzen Kerl zu erheben. Und als er merkte, die Luft sei rein, huschte er nach der andern Seite in den finsterbewaldeten Graben hinab. – Es ist ein rechtes Hochgefühl, einen Menschen gerettet zu haben, besonders, wenn man dieser Mensch selber ist.

Nach Verabredung galt es, erst am zweitnächsten Tag ins Thal hinaus zu gehen. So mußte er sich jetzt in der Wildnis die Zeit vertreiben. Da gab es jählings eine ganz unerwartete Unterhaltung. Als der Klacherl über den Fußsteig eilen wollte, dessen knorriges Baumwurzelgeflecht treppenartig den Berg anstieg und der in die hinteren Waldeinsamkeiten leitete, nur von Wurzelgräbern, Ameisbeutern und Jägern begangen, sah er zuerst im Heidekraut die „schwarze Butten“ liegen, den Seidenhut. Gleich daneben kauerte über einer Wurzel, wie hingestolpert, der Kohlenschreiber aus dem Eisenwerk. Der Klacherl erkannte ihn sofort und dachte: Wenn es so ist, wie der Ferge meint, so brauch’ ich mich vor diesem Herrn nicht zu fürchten. Der Kohlenschreiber jedoch schien in Nöten zu sein. Er war fast betäubt, wollte sich aufrichten, aber sein Oberkörper fand das Gleichgewicht nicht und sein Haupt baumelte auf die Brust nieder. Sein Gesicht war bleich wie Lehm, an der Stirn hingen Tropfen. In diesen Dingen hatte der Klacherl einen guten Scharfblick: das waren die Nachwehen des Wirtshauses. – Der hat sein Gewissen ersäufen wollen, dachte er, will just einmal versuchen, ob’s schon hin ist.

Der Vagabund setzte sich auf die braunen Baumwurzeln, ganz nahe zum Kohlenschreiber, hing seinen Arm in dessen Ellbogen und sagte sehr teilnehmend: „Ist Ihnen übel, Herr Grassing?“

Zuerst zuckte er ein, der Schreiber, und wollte aufspringen, als er sich in der engsten Nachbarschaft dieses Gesellen sah. Dagegen aber wirkten zwei Gründe, erstens der Schwindel in seinem Kopf, zweitens der Arm im Ellbogen.

„Hol’ dich der –“. Das war alles, was der Schreiber sagte.

„Ich kann Ihnen den Weg ersparen, Herr Grassing,“ sagte der Klacherl freundlich, denn freundlich war der immer. „Sie wollten gewiß zu mir hinauf in die Rehhütte. Das ist ein verdammter Berg; ohne Umstände, Sie können mich gleich jetzt entlohnen. Es ist alles nach Wunsch geschehen.“

Da fuhr der andere wild auf: „Wer sagt das? Wer weiß mir was Schlechtes?“

Aha, dachte der Vagabund, wir sind schon beim Richtigen. Er wollte gleich schärfer anpacken, da bekam der Kohlenschreiber einen Krampfanfall. Er stand ihm bei, trocknete ihm mit zerfasertem Aermling die Stirn, und als es vorüber war, sagte er: „Ich kenn’s, ich kenn’s, das ist ein Giftmischer, dieser Fasselwirt. Den sollt’ man aufhenken. Richtig, weil wir schon davon reden, was ich sagen wollt’: das Doppelte bekomme ich. Sie wissen schon.“

„Weiß von nichts!“ stöhnte der andere, „nichts, hab’ Ihnen nichts geschickt, nichts, nichts!“

„Na, weil Sie sich nur daran erinnern,“ versetzte der Klacherl gemütlich, „ich hab’s ja gewußt, daß man sich verlassen kann auf den Herrn Grassing.“

„Los laß mich, Teufel!“ knirschte der Schreiber und wollte sich entwinden. Der Vagabund hielt ihn krampfig fest, und mit einer ganz andern Stimme, als vorhin, flüsterte er: „Es nützt dir nichts, mein Lieber! Ich weiß, wo du den Revolver her

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0248.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2020)