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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Mensch schon halten auf das, was er sagt!“ Und was ging ihn denn eigentlich die ganze Geschichte weiter noch an? „Nix! Aber rein gar nix!“ Für ihn hatte die Sache eigentlich nur noch ein theoretisches Interesse, zu dem sich das angenehm prickelnde Bewußtsein gesellte: „Ich hab’ recht g’habt!“

Mit dem Gefühl der Befriedigung, das den Praxmaler-Pepperl bei diesem Gedanken überkommen hatte, und mit dem heiligen Schwur: „Mich geht’s nix an, und ich scher’ mich da drum kein’ Teufi nimmer!“ wollte er schon ins Försterhäuschen treten. Da hörte er über das Almfeld herauf das Klirren eines Bergstockes.

Am Waldsaum drunten erschien ein alter, weißbärtiger Bauer, gebeugt und etwas unsicheren Ganges.

„Jesses! da kommt er!“ stotterte Pepperl, als er Burgis Vater erkannte, und wie ein Verrückter, mit drei Meter langen Sprüngen, rannte er über das Almfeld hinunter und schrie: „Brentlinger! He! Brentlinger! Da komm’ her! Da bin ich! Da!“

Der Alte blieb stehen und guckte mit seinen stumpfen, rotgeränderten Augen nach der Stimme aus, die er hörte. Der gebrochene, von einem sechzigjärigen Leben in Armut mürbgeklopfte Körper steckte in einer verwitterten und übel zugerichteten Hülle – es schien, als hätte der „gute alte Brentlinger“ eine der letzten Nächte im Straßengraben zugebracht und die Zeit noch nicht gefunden, die grauen Federn dieses harten Bettes von sich abzuklopfen.

Im Heuschuppen auf der Alm geboren, hatte er die Carriere seines Lebens als Hüterbub begonnen, war Galtviehsenn geworden, und mit vierzig Jahren, als Milchviehsenn und mit einem Jahreslohn von 137 Gulden 45 Kreuzern, hatte er geheiratet. Fünfzehn Jährlein später, als Burgi aus der Feiertagsschule kam, starb die Brentlingerin an einem Leiden, das kein Doktor kurieren konnte – weil man keinen holte. Und während sich nun das junge Mädel langsam hineinwuchs in die Almenarbeit, wurden dem Brentlinger von Jahr zu Jahr die Knochen immer müder, so daß man den Alten im Dorfe nur noch zu leichtem Tagwerk brauchen konnte, und bald zu gar keiner Arbeit mehr. Nun hatte er seinen Strohsack im Gemeindehaus liegen, und seinem Leben blühte nur noch jene einzige Blume, die nicht nach Honig, sondern nach Trebern duftet. Am liebsten hätte Burgi den Vater jeden Sommer zu sich in die Sennhütte genommen – aber dagegen wehrten sich die Almbauern, die den unnützen Kostgänger nicht auf ihrer Milchschüssel haben wollten. Also gab sie ihn, für 9 Gulden im Monat, beim Flurjäger in die Kost – denn in die Hand durfte sie dem Alten kein Geld geben, keinen Kreuzer – sonst hätte er nie an seinen Hunger, nur immer an seinen Durst gedacht. Aber die Sommerfrischler und Touristen, das sind mitleidige Seelen – die gingen nicht leicht mit geschlossener Hand vorüber, wenn der arme, durstige Brentlinger seinen Kummerblick zu ihnen aufhob. Freilich, da tröpfelten nur die roten Kreuzer – kein Wunder also. daß der durstige Brentlinger mit einem Juchezer das große Los begrüßte, das er neulich beim Haus des Maler-Emmerle gezogen hatte.

Zehn Gulden! Das hatte einen achttägigen Rausch gegeben! Keinen zehntägigen, nein – da hatte sich Pepperl gründlich verrechnet. Denn der gute alte Brentlinger liebte nicht nur seinen Namensvetter, den Gebrannten, er liebte als braver Vater auch sein Kind – und bevor er vom Haus des Maler-Emmerle den Weg zum Buschenwirt genommen hatte, war er beim Kramer eingetreten und hatte um zwei Gulden für sein Mädel ein seidenes „Tüchl“ gekauft. Das brachte er nun mit, an seiner Vaterbrust verwahrt und sorgfältig in eine alte Zeitung gewickelt. Aber auch noch etwas anderes brachte er mit auf die Alm: einen halb ausgeschlafenen Katzenjammer, einen „dürmeligen“ Kopf und einen so unsicheren Schritt, daß man Zweifel hegen konnte, ob sich der „gute alte Vatter“ für das Wohl und Weh seines Kindes so energisch auf die Füße stellen würde, wie es der Praxmaler-Pepperl von ihm erwartete.

„Brentlinger! He! Brentlinger! Da komm’ her! Da bin ich! Da!“

Diese aufgeregte Stimme drang nicht nur in die halbtauben Ohren des Alten, sie drang auch durch die Mauern der Sennhütte. Und mit einem Sprung war Burgi bei der Thür.

„Vater! Jesus Maria! Vaterl! Ja, grüß’ dich Gott! Ja, wo kommst denn du her?“

Da sah sie den Jäger wie einen Narren über das Almfeld herunterspringen – und erschrak. Nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, nein! Denn wenn ihr der Herr Jagdverwalter in spe beim Herd und am Kammerfenster auch schon ein Dutzend Küsse und drüber abgeschwatzt und gestohlen hatte – ein Kuß in Ehren, das ist doch keine Sünd’, am allerwenigsten ein Kuß von einem, der Jagdverwalter wird und „positivi“ heiraten will. Und doch erschrak sie, und als sie den Pepperl so rennen sah, hatte sie im Augenblick nur den einen Gedanken: die erste beim Vater zu sein! Sie machte einen Sprung wie ein Heuschreck, der die Sense blitzen sieht, und rannte was sie nur konnte. Da machte aber auch Pepperl noch längere Beine – und so liefen die beiden miteinander um die Wette. Gleichzeitig erreichten sie den Alten, und keuchend packte ihn Burgi am linken, Pepperl am rechten Arm.

„Vater! Zu mir kommst!“

„Na! Zu mir! Denn ich hab’ ihn b’stellt!“

„Zu mir kommst, Vater! Zu mir in d’ Hütten!“

„Z’erst kommst zu mir! Ich muß dir was sagen!“

Der Alte wußte nicht, wie ihm geschah, und stotterte immer: „Thuts mich nur net derreißen, Kinder! Net derreißen! Thuts mich nur net derreißen! Ja seids denn närrisch! Alle zwei!“

Mit Zerren und Streiten hatten sie den Alten bis zur Sennhütte gebracht – und Burgi blieb Siegerin. Sie schob den Vater über die Schwelle, schlug die Thüre zu und stieß den hölzernen Riegel vor. Aber für diesen Riegel – für den hatte Pepperl nur einen „Lacher“. Wie da zu helfen war, das wußte er. Erst verschnaufte er ein wenig, dann zog er das Messer aus der Tasche, schob die Klinge in den Thürspalt und begann zu schieben. Aber merkwürdig – der Riegel wollte nicht weichen, wie sonst.

Verwundert guckte Pepperl etwas näher zu, und da sah er statt des alten, morschen Holzstückes, das die Thür seit einem halben Jahrhundert gehalten hatte, eine blinkneue Latte durch die Spalte schimmern. Wann war dieser neue Riegel an die Thür gekommen? Und warum? Diese beiden Fragen gaben dem Praxmaler-Pepperl heiß zu denken. – –

Drin in der Stube hatte Burgi den Vater zum Herd geführt – und da sah sie den Zustand seiner Kleider.

„Ja, Vaterl! Um Gott’swillen!“ stotterte sie erschrocken. „Ja wie schaust denn aus! O du heilige Mutter!“

„Ausschauen? Ich? Warum? Wie schau ich denn aus?“

„Vater!“ Wie ernst das klang! Und tiefe Kümmernis sprach aus dem Blick des Mädchens. „Hast mir’s im Fruhjahr so versprochen, daß dich halten willst! Und heut’ kommst mir daher, daß ich mich dein’twegen schämen muß!“ Sie fuhr sich mit der Faust über die Augen. „Wann ich nur schon wieder draußten wär’ bei dir! Es taugt mir eh’ schon nimmer da heroben!“ Müden Ganges holte sie die Holzbürste, die zum Scheuern der Milchgeschirre diente. „Geh, laß dich wenigstens ein bißl abputzen!“ Seufzend zog sie den Vater in die Fensterhelle, kniete vor ihm nieder und begann von unten herauf die Arbeit.

Das ließ er sich eine Weile geduldig gefallen, aber als es gar zu lange dauerte, meinte er vorwurfsvoll: „Ein bißl g’nau machst es, g’nau … ein bißl g’nau, ja … so viel g’nau …“

„Heut’ braucht’s es aber auch! Und gelt, Vaterl …“ mit ihren nassen Augen schaute sie zu ihm auf, „so, wie heut’, so kommst mir nimmer?“

„Na na na na …“

„Thust mir’s versprechen? Auf der Mutter ihr Andenken.“

„Ja, Burgele … ja ja ja … ja, das thu’ ich dir, ja! Und und … und weil dein’ Vatern so viel gern hast, ja …“ er wühlte an der Brust herum und brachte das Päcklein zum Vorschein, „ja, jetzt hab’ ich dir was mit’bracht, schau!“ Langsam löste er mit seinen zitterigen Händen den Papierumschlag und entfaltete das seidene Tüchl.

„Jesses! Vater!“ Das Mädchen wurde rot vor Freude. Aber erschrocken fragte sie gleich: „Um Gott’swillen, Vaterl, was hat denn das Tüchl ’kost’t?“

„Zwei, ja … zwei Gugulden, ja!“

„Zwei Gulden! Vater! Mar’ und Josef! Wo hast denn so viel Geld herg’habt? Du wirst mir doch um Gott’swillen net ’bettelt haben, oder …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0239.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2020)