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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Dienst des Jägers annehmen und seine Kräfte schonen möchte. Doch er sah ihr in die Augen, schüttelte den Kopf und flüsterte dem Knaben zu: „Leg nur die Arme um meinen Hals, Bubi … so … nicht wahr, so ist’s bequemer?“

„Ja!“

Während sie auf ebenem Pfad durch den Wald hinauseilten, klang hinter ihnen auf dem Latschengehäng das Klopfen und halblaute Rufen der anmarschierenden Treiber: „Hup hup hup! Brrrrr! Hup hup!“ Pepperl guckte sich einmal um, und da wollte es ein böser Zufall gerade, daß er zwei gute Hirsche gemütlich über die Lawinengasse spazieren sah. „Teufi, Teufi, Teufi, drei Hirschen hätten wir haben können!“ träumte seine Jägerseele mit Jammer und Kummer.

Ettingen plauderte während des ganzen Weges mit dem Knaben. Gustl hielt sich wie ein kleiner Held, verbiß den Schmerz und schwatzte unverdrossen, um der Schwester alle Sorge auszureden. Viel mehr als sein verletzter Fuß beschäftigte ihn die Frage, was wohl aus „Hansi“, dem Grauen, geworden wäre.

„Der kommt schon wieder!“ tröstete Lo’.

„Ja, schon, aber die Forellen, Lo’! Die Forellen! Wenn er mit dem Netz einen halben Tag in der Sonne herumläuft – dann hab’ ich sie umsonst für Mama gefangen!“ In Schmerz verzog sich der Mund des Knaben, und das Wasser schoß ihm in die Augen; doch er seufzte nur: „Ach Gott, ach Gott, die schönen Forellen!“

Sie hatten schon fast das Jagdhaus erreicht, als „Hansi“ nachgetrottet kam, in höchst nervöser Stimmung. An den locker gewordenen Gurten war ihm die Packtasche mit dem Almrosenbusch unter den Bauch gerutscht, und da ihn die Zweige kitzelten, schlug er fortwährend mit den Hinterfüßen aus, schüttelte die Ohren und machte drollige Sprünge.

Als Pepperl den Esel in den Stall führte, rief ihm Ettingen nach: „Tragen Sie das Fischnetz nur gleich in die Küche hinauf. Man soll die Forellen auf Eis legen, damit sie nicht verderben!“

Seine Stimme klang schwer und gepreßt, so daß Lo’ ihm besorgt in das erhitzte Gesicht blickte. Er hatte doch wohl seiner Kraft zu viel zugemutet. Als er den Knaben über den letzten Hang zum Jagdhaus hinauftrug, ging sein Atem müd und seine Arme zitterten.

Martin kam aus der Sennhütte gelaufen, mit dunkelrotem Gesicht, als hätt’ es dort unten soeben eine Scene gegeben, die nicht ganz nach seinen Wünschen ausgefallen war. Verdutzten Blickes musterte er seinen Herrn und das schöne Mädchen.

„Schnell, Martin! Hinauf! Und richte das Bett im Grafenzimmer!“

Erschrocken verfärbte sich der Lakai; doch wortlos eilte er ins Haus.

Als Ettingen in den Flur trat, kam Martin seinem Herrn über die halbe Treppe entgegen und stotterte: „Ich bitte um Vergebung, Durchlaucht … aber das Zimmer ist abgesperrt, und …“ er schluckte, „und im Augenblick weiß ich nicht, wo die Leute den Schlüssel haben.“

„Aber Mensch! So mache doch mein Zimmer auf!“

Martin rannte, und als sein Herr mit dem Knaben in das sonnige, weiße Zimmer trat, war das Bett schon abgedeckt. Während Lo’ dem Bruder half, sich zu entkleiden, brachte Ettingen das ganze Haus in Aufruhr – der Lakai, die Köchin und die Küchenmagd, alles mußte laufen und bringen: Wasser, Eis, Verbandzeug, Cognac, den ganzen Inhalt der Hausapotheke.

Als Lo’ den verletzten Fuß des Knaben untersucht hatte, atmete sie auf. Der Knöchel war hoch geschwollen und glühte – aber die Sache war unbedenklich: eine Bänderzerrung, die, obwohl sie schmerzhaft war, in wenigen Tagen wieder gut sein konnte. Ein paar Stunden Ruhe, meinte Lo’, und „Hansi“ könnte den Knaben nach Hause bringen, ohne daß sich das Uebel verschlimmern würde.

„Jetzt muß ich dir aber ein wenig weh thun, Bubi … doch du wirst sehen, das hilft!“

„Ja, Lo’, mach nur, was du meinst!“

Sie begann die Geschwulst zu massieren – und so schmerzhaft das auch war, der Junge überwand es ohne einen Laut und ärgerte sich, weil ihm wider Willen die Thränen in die Augen kamen. Dann wurde der Knöchel bandagiert, und drüber kam der Eisumschlag. Die Schürfwunden im Gesicht und an den Händen wurden mit Karbollösung gereinigt und mit Pflästerchen verklebt.

Lächelnd sah Ettingen dem Mädchen zu. „Sie machen ja das alles wie ein gelernter Arzt!“

„Hier in den Bergen, wo man eine Tagreise bis zum Doktor hat, da lernt sich das halb von selbst. Und ich hatte doch auch einen guten Lehrer, der sich auf alle Hilfe verstand.“

„Ihren Vater?“

„Ja!“ Sie küßte den Knaben auf die Stirne. „Brav hast du dich gehalten, Bubi!“ Die seidene Steppdecke glättend, richtete sie sich auf. Tief atmend, als wäre jetzt erst alle Sorge von ihr gewichen, streifte sie mit ihren schlanken schönen Händen die Zaushärchen von den Schläfen zurück. Sie blickte im Zimmer umher, und eine leise Verwirrung schien sie zu überkommen. In jäher Bewegung streckte sie Ettingen die Hände hin, blickte mit glänzenden Augen zu ihm auf und sagte leis: „Wie gut Sie mit ihm waren! Ich danke Ihnen!“

Er nahm ihre Hände. „Dank? Nein! Der Schuldige bin doch ich … mit dieser dummen Jagd. Aber weil nur alles noch so leidlich gut vorüber ging! Wirklich, jetzt atme ich auf … wie Sie! Und freue mich, daß ich Sie hier habe … unter meinem Dach! So hübsch und traulich ist es freilich nicht bei mir, wie ich es bei Ihnen fand … da draußen, in der schönen Sturmnacht!“ Noch immer hielt er ihre Hände fest, und lächelnd sahen sie sich in die Augen.

Gustl, der mit der Wange auf den Händen lag, lind in die Kissen geschmiegt, schaute mit staunendem Blick an den beiden hinauf, und das verpflasterte Gesichtchen des Knaben färbte sich dunkelrot.

Lautlos trat Martin in das Zimmer, um Ordnung zu machen. Er schien keine Augen zu haben, nur Hände, die geräuschlos hantierten. Doch als er mit dem Wasserbecken und mit den Tüchern über dem Arm das Zimmer verlassen hatte, sah er mit dünnem Lächeln die geschlossene Thüre an und wiegte den Kopf. Studierend stieg er über die Treppe hinunter. In der Küche legte die Jungfer Köchin gerade die drei Forellen, welche Pepperl gebracht hatte, in den Eiskasten, als Martin eintrat. Beim Anblick des Kammerdieners gab es dem Jäger einen „Riß“, halb vor Wut und halb vor Schadenfreude; aber er mußte der Köchin Antwort geben, als sie fragte:

„Ja hat denn unser’ Durchlaucht das Fräul’n schon gekannt?“

„Aber g’wiß! Und gut auch noch! Z’erst hat er’s droben am Sebensee ’troffen, neulich is er draußen g’wesen bei ihr in der Luitasch, und gestern nacht, wie das Wetter g’wesen is, da haben wir unterstehn müssen bei ihr, vom Abend bis auf d’ Fruh. Ja, Sie, unser Duhrlaucht und d’ Fräul’n Petri, die zwei, die verstehn einander! Was die für g’studierte und aus’tipfelte Sachen reden … da reißt unsereiner die Luser aus, sperrangelweit, und es geht doch nix ’nein!“

Martin schien diesem Gespräch keine Achtsamkeit zu schenken. Kaum aber hatte er die Küche verlassen, als er in seine Stube eilte und hinter sich die Thüre verschloß.

Nachdem er an den Fenstern die Vorhänge zugezogen hatte, schrieb er eine Depesche in englischer Sprache, nur die Adresse deutsch:

„Baronin Pranckha, Hietzing, Wien. – Soeben flog der edle Falke mit weißer Taube in den Waldhorst. Erkenne Gefahr und warne.“

„The faithful“, unterschrieb er – „der Getreue!“ – und schob die Depesche in die Tasche, um sie bei der Hand zu haben, wenn der Postbote käme. –

Draußen vor dem Fenster ging Pepperl vorüber. Er machte langsame Schritte, und immer wieder schielte er zur Sennhütte hinunter, aus deren Schindeldach in dicken Wolken der Herdrauch quoll. Am liebsten wäre Pepperl in seiner Schadenfreude schnurstracks hinuntergelaufen, um dem „verloffenen Lampl“ mit allem Hochgenusse menschlicher Bosheit ins Gesicht zu schreien: „Jagdverwalterin? Ja! Ein’ Schmarren!“ Aber da lagen ihm zwei verwünschte Worte wie eiserne Riegel im Weg: „Wir zwei sind fertig miteinander!“ und „Mich siehst nimmer!“ Daß er nach solchen Worten noch einmal die Schwelle dort unten überschreiten sollte – das war denn doch eine etwas heikle Sache für einen, der in sich die Ueberzeugung trägt: „Ein bißl was muß der

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